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»Es sind neue Schieflagen dazugekommen«

Die Soziologin Andrea Schäfer über die ungleiche Aufteilung von Care-Arbeit

Diesen Dienstag findet der Equal Care Day statt - mit virtuellen Vorträgen und Workshops zum Thema Care-Arbeit. Eigentlich wurde von der gleichnamigen Initiative der 29. Februar auserkoren, um auf die unfaire Aufteilung der Care-Arbeit aufmerksam zu machen. Warum ein Tag, der nur im Schaltjahr existiert?

Andrea Schäfer
Andrea Schäfer
Andrea Schäfer

Andrea Schäfer ist Soziologin und Mitinitiatorin des Projekts carat – caring all together – der Universität Bremen, in dem sie sich für einen Austausch und die Vernetzung von Akteur*innen zum Thema Care-Arbeit im Land Bremen einsetzt.

Die Wissenschaftlerin engagiert sich auch bei der überregionalen Initiative Equal Care Day, die den 29. Februar als Aktionstag etabliert hat. Lisa Ecke sprach mit ihr über die Gründe der ungleich verteilten Care-Arbeit und über Möglichkeiten der Veränderung.

Das soll daran erinnern, dass die unbezahlte Care-Arbeit unsichtbar ist, also oft nicht wahrgenommen wird. Das Schaltjahr verweist zudem auf das Verhältnis von Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen. Frauen investieren viermal so viel Zeit in die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit wie Männer. Aber faktisch fand der Equal Care Day seit 2016 jährlich statt, weil wir es als wichtig erachten, jedes Jahr auf die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit aufmerksam zu machen. Diesmal findet der Equal Care Day gleichzeitig an vier Orten im Rahmen einer größeren zentralisierten Städtekonferenz statt.

Unter Care-Arbeit fällt etwa das Putzen, die Kinderbetreuung oder auch das Pflegen von Verwandten. Wie kommt es, dass diese Arbeiten innerhalb von Familien meist von Frauen übernommen werden?

Zum einen liegt das an den sozialen Normen, Geschlechterstereotypen und geschlechtsspezifischen Zuschreibungen. Zum anderen an Aushandlungsprozessen, Strategien und Routinen in den Familien. Aber auch an einer defizitären Infrastruktur sowie an der Verfasstheit und Struktur der Erwerbsarbeit selbst und an den an Erwerbsarbeit orientierten sozialstaatlichen Leistungen, dem Sozialversicherungssystem und Einkommenssteuersystem. Also an sehr unterschiedlichen Ursachen, die miteinander verwoben sind.

Wie wirken die sozialen Normen in den Paarbeziehungen?

Bei der Aushandlung der Arbeitsteilung scheinen traditionelle Geschlechterbilder und gegenseitige Erwartungen einen Einfluss auszuüben. Paare selbst begründen ihre ungleiche Verteilung bei der Care-Arbeit häufig mit einer biologischen Geschlechterdifferenz. Also der Mutter werden quasi natürliche Kompetenzen und Fähigkeiten für die Care-Arbeit zugeschrieben. Das verdeutlicht die Wirkung von Stereotypen und traditionellen Rollenzuschreibungen sehr anschaulich. Dabei bieten soziale Normen und Geschlechterrollenzuschreibungen einen Orientierungsrahmen, der fortgeschrieben wird und die bestehende Geschlechterordnung reproduziert.

Und was hat die Erwerbsarbeit mit der ungleich verteilten Care-Arbeit zu tun?

Auch hier sind Normen wieder Orientierungspunkte, weil wir in Deutschland immer noch das Idealbild des in Vollzeit tätigen, allzeit verfügbaren männlichen Arbeitnehmers haben. Dieses Leitbild hat enorme Folgen für die Organisation von Care-Arbeit. Wir wissen, es gibt die Erwartung einer Präsenzkultur. Es gibt sehr unflexible Arbeitszeiten, vorausgesetzte Überstunden, oft Dienstreisen. Kommen dazu noch Lohnlücken, Diskriminierung, Geschlechterstereotype und Hierarchien, dann führt das zu einer nachhaltigen Benachteiligung von Frauen, und insbesondere von Müttern in der Erwerbsarbeit.

Hat die schlecht bezahlte Sorgearbeit in Pflegeberufen usw. auch etwas damit zu tun, dass die häusliche Care-Arbeit nicht wertgeschätzt wird, nicht als Arbeit gilt?

Eher andersherum. Wobei die Verbindung zwischen Gender Care Gap und Gender Pay Gap nicht ganz eindeutig ist. Wir wissen: Wenn wir die Einkommenslücke bei den in der Regel schlecht bezahlten sozialen und Pflegeberufen schließen, hat das einen Effekt auf den Gender Care Gap.

Welche Auswirkungen hat die Übernahme der häuslichen Care-Arbeit für Frauen?

Frauen leisten ungefähr 53 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Also anderthalb Mal so viel, täglich rund 87 Minuten mehr. Das hat starke Auswirkungen auf ihre ökonomische Situation. Dadurch, dass Frauen mehr unbezahlte Care-Arbeit übernehmen, sind sie nicht im gleichen Maße für den Arbeitsmarkt verfügbar wie Männer. Oft arbeiten sie im geringen Umfang oder steigen zeitweise aus der Erwerbsarbeit aus. Dadurch haben sie weniger oder gar kein Einkommen, was zu Abhängigkeiten führen kann. Abhängigkeiten vom Sozialstaat auf der einen Seite und Abhängigkeit von der eigenen Familie auf der anderen Seite.

Hat sich während der Pandemie an der Aufteilung der Care-Arbeit etwas verändert?

Es ist mittlerweile relativ gut belegt, dass die Corona-Pandemie die bestehende geschlechtsspezifische Ungleichheit - und ich vermute, damit auch einhergehende soziale Normen - verstärkt hat und neue Schieflagen dazugekommen sind. Studien haben gezeigt, dass Frauen in der Pandemie zunehmend die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat aktuell darauf hingewiesen, dass für beschäftigte Mütter mit kleinen Kindern die aufgewendete Zeit für Erwerbsarbeit, Pendeln, Kinderbetreuung und Haushalt im Frühjahr 2020 um acht Stunden pro Woche, für Väter um drei Stunden anstieg. Auch wissen wir, dass sich parallel dazu bei Müttern die Lebenszufriedenheit verringert und das Ausmaß an empfundenen Zukunftssorgen und Sorgen überhaupt vergrößert hat.

Was kann neben einer besseren Bezahlung von beruflicher Care-Arbeit getan werden? Sollte Care-Arbeit im Privaten entlohnt werden?

Die Forderung nach Bezahlung von häuslicher Care-Arbeit gibt es ja schon eine ganze Weile. Schon mit der Erklärung, das Private ist politisch. Ein Ansatz ist, die Auslagerung von Care-Arbeit aus den privaten Haushalten zu unterstützen. Das wurde jetzt auch politisch umgesetzt, indem haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich gefördert werden. Was wir aber in erster Linie brauchen, ist ein Abbau von Geschlechterstereotypen und eine Zuweisung von Frauen auf unbezahlte Care-Arbeit.

Bei dem Gutscheinsystem für Haushaltshilfen soll es einen staatlichen Zuschuss von 40 Prozent geben, 60 Prozent müssen selbst gezahlt werden. Das würde allerdings nur jene Frauen von Care-Arbeit entlasten, die genügend Geld haben. Wer sich das nicht leisten kann, geht doch leer aus?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wissen wir durchaus, dass sich durch die Externalisierung von Haushaltstätigkeiten Berufsbilder entwickelt haben, die in den vergangenen Jahrzehnten oftmals im Niedriglohnsektor verortet waren, womit eine Abwertung von bestimmten Tätigkeiten einhergegangen ist. Auf der anderen Seite können solche Maßnahmen dazu beitragen, dass mehr sozialversicherungspflichtig abgesicherte Beschäftigung geschaffen wird und Frauen von Care-Arbeit entlastet werden. Und auch, dass Frauen - wenn sie das wollen - mehr Erwerbstätigkeiten nachgehen können. Letztlich wird zu prüfen sein, wer diese sozialversicherungspflichtigen Leistungen in Anspruch nimmt.

Was muss sonst noch getan werden, um eine gerechtere Aufteilung der Care-Arbeit zu ermöglichen?

Wir müssen Care-Arbeit als Arbeit sowie als eine Grundlage unserer Gesellschaft verstehen und ihre Relevanz anerkennen. Zudem braucht es einen Abbau von Geschlechterklischees und Geschlechterstereotypen. Darüber hinaus brauchen wir auf jeden Fall eine geschlechtergerechte Finanzierung und Folgeabschätzung von staatlichen Maßnahmen. Also eine bessere Einschätzung der Wirkung von Maßnahmen auf Gleichstellung. Denn wir wissen, weder die Coronakrise noch die Maßnahmen zu ihrer Überwindung und auch andere Maßnahmen sind geschlechterneutral. Als Grundlage dafür brauchen wir nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Daten - also ein Monitoring.

Einige fordern auch eine Care-Abgabe von Unternehmen, ähnlich der Ökosteuer. Weil alle Unternehmen davon profitieren, dass Care-Arbeit geleistet wird.

Ich finde durchaus, dass sich der Markt und damit auch die Unternehmen stärker an den Kosten der Care-Arbeit beteiligen sollen - denn sie profitieren davon. Die Wirtschaft fußt auf den Leistungen und der Arbeit der Frauen, die die Reproduktion der Gesellschaft tragen. Den Zusammenhang zwischen Care-Arbeit und Wirtschaft, aber auch das Ausmaß und die Wege aus der Pflegekrise und die Auswirkungen der Flexibilisierung von Kinderbetreuung, wollen wir am diesjährigen Equal Care Day am 1. März im Bremer Städteraum ausführlich diskutieren.

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