76 Jahre gegen Sozialismus

In seiner Heimat feiert der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz christdemokratische Gewissheiten

Dienstagabend, die Schützenhalle im Arnsberger Stadtteil Hüsten. Die Tischreihen sind gut gefüllt, mit meist älteren Anhängern der CDU. Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz ist Heim ins Sauerland gekommen. Gemeinsam wird gefeiert. Vor 76 Jahren hat die CDU in der damals noch eigenständigen Stadt Neheim-Hüsten eines ihrer ersten Parteiprogramme verabschiedet. Zudem wurde Konrad Adenauer als Vorsitzender der Christdemokraten in der britischen Besatzungszone bestätigt. Das Programm von Neheim-Hüsten ist sonst eher etwas, was die lokalen Christdemokraten mit stolz erfüllt oder für Historiker und Parteienforscher von Relevanz ist.

In diesem Jahr ist es anders. Friedrich Merz will seine Heimat offenbar beschenken. Die Bundeszentrale hat sich in die Veranstaltung eingeklinkt. Eine überdimensionierte Bühne steht in der Schützenhalle. Der Festakt wird über CDU-TV live ins Netz übertragen. Merz freut sich darüber sichtlich. Es ist eine Veranstaltung nach seinem Geschmack. Er ist der Star. Vor seinem Auftritt gibt es eine kurze Begrüßung, danach eine Abmoderation. Die Bühne gehört an diesem Abend Merz. Der Anlass passt zum Vorsitzenden der CDU. 1946, als 27 Christdemokraten und eine Christdemokratin das Neheim-Hüstener-Programm beschlossen haben, verabschiedeten sie sich auch von Ideen des christlichen Sozialismus. Sie gaben sich ein vom Krieg geprägtes Parteiprogramm und orientierten sich an der Marktwirtschaft. Das ist der perfekte Rahmen für die Rede von Merz. Er kann ausschweifen, die Vergangenheit hochleben lassen und sich selbst darstellen. Er lobt oft die großen alten Männer der CDU. Ludwig Erhard und natürlich Konrad Adenauer. Dessen Entscheidung zur Westbindung und zum Nato-Beitritt der Bundesrepublik seien »keine Selbstverständlichkeiten« gewesen. Adenauer habe diese »auch gegen den Willen einer Mehrheit der Bevölkerung« durchgesetzt. Für Friedrich Merz ist das Ausdruck von »politischer Führungsstärke«. Natürlich spricht der CDU-Vorsitzende auch über den Krieg in der Ukraine. Dieser verändere die »Weltgeschichte« und sei eine »tiefe Zäsur«. Durch den Krieg würden »alte Gewissheiten« umgestoßen. Die aktuellen Ereignisse erinnerten ihn an den 11. September 2001. Merz betont, dass er auch damals Oppositionsführer war. Jetzt will er wieder konstruktiv mit der Bundesregierung zusammenarbeiten. Im Klartext bedeutet das wohl ein Freifahrtschein für neue Rüstungsprojekte.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Damit ist Merz in der Gegenwart angekommen. Seine Themen sind die »Neuausrichtung« der CDU und natürlich die Neuausrichtung Deutschlands. Denn ohne die CDU werde Deutschland nicht ordentlich geführt. Das macht er immer wieder deutlich. Zur Neuausrichtung Deutschlands gehört für Merz die Feststellung: »Wir werden ein Einwanderungsland sein müssen.« Das sei doch sicher jedem Handwerksmeister im Saal klar. Der Mangel an Fachkräften könne anders nicht behoben werden. Merz stellt auch fest, dass Deutschland schon ein Einwanderungsland ist. Bisher gebe es aber eine »ungeordnete« Einwanderung in die »Sozialsysteme«. Für die CDU wünscht sich Merz, das christliche Profil zu erhalten. Auch wenn das »provoziert«. Dafür gibt es viel Applaus. Dass es auch konservative Muslime gibt, die in der CDU eine Heimat suchen, ist im Hochsauerland wohl noch nicht angekommen.

Ein bisschen Selbstkritik gibt es dann aber auch noch. Merz verspricht, die christliche Soziallehre zu stärken. Dass junge Familien sich in Großstädten kein Haus oder eine Wohnung und ein »bescheidenes Vermögen« aufbauen können, findet er verkehrt. Die Ungleichheit nehme zu. Das sei eine »offene Flanke der Sozialen Marktwirtschaft«. Für die CDU konstatiert der Parteivorsitzende, dass sich etwas in der Mitgliedschaft ändern müsse. Die Partei müsse dafür sorgen, dass wieder Menschen bei ihr eintreten, die »normal arbeiten«. Sie seien das notwendige »Fundament« für auf Zeit gewählte Politiker.
Die Selbstkritik kommt am Ende einer Rede, in der Friedrich Merz, der stolz ist, der neunte Nachfolger von Konrad Adenauer zu sein, vor allem zwei Dinge hervorhebt: Die Größe und Bedeutung der CDU für die alte Bundesrepublik. Und seine Absicht, in die Reihe großer CDU-Männer einzugehen.

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