• Berlin
  • Geflüchtete aus der Ukraine

Berlin ruft nach dem Bund

Senat erklärt, dass er die Zahl der ankommenden Kriegsflüchtlinge nicht mehr allein bewältigen kann

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Angesichts von Tausenden Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine, die tagtäglich in Berlin ankommen, bereitet der Senat inzwischen nicht mehr nur den Betrieb eines neuen Ankunfts- und Verteilzentrums auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel vor. Wie Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus angekündigte, soll »möglichst noch heute Abend« auch das Messegelände am Funkturm für die Unterbringung der Geflüchteten zur Verfügung stehen. Und: »Wir beziehen den Flughafen Tempelhof in unsere Planungen ein.«

Was die Bereitstellung von Übernachtungsplätzen betreffe, werde man mit den Bezirken »alles prüfen, was irgend geht«, sagte Giffey. »Es geht darum, dass wir in den nächsten Tagen massiv zusätzliche Unterkunftsplätze schaffen.« Der Senat wolle dabei auf jeden Fall verhindern, dass noch einmal wie nach 2015 Turnhallen belegt werden müssen. Bisher habe das Land Berlin seit dem Beginn der russischen Invasion Schlafplätze für weit über 8000 Menschen bereitgestellt. Wie viele Flüchtlinge letztlich in landeseigenen oder vom Land organisierten Unterkünften noch untergebracht werden müssen, »das können wir auch heute nicht sagen«. Aber, so Giffey weiter: »Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir jeden Abend mindestens 1000 Betten in der Stadt brauchen.«

In der vorangegangenen Debatte des Abgeordnetenhauses hatte nicht zuletzt CDU-Landeschef Kai Wegner mit Blick auf die Zahl der ankommenden Kriegsflüchtlinge dem Senat und hier vor allem Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) vorgeworfen, »die Tragweite dieser Herausforderung völlig unterschätzt« zu haben. Auch beschwerte sich Wegner, die ehrenamtlichen Helfer am Berliner Hauptbahnhof seien »zumindest in den ersten Tagen alleingelassen« worden: »Das sind Dinge, die so nicht weitergehen.«

Wenig verwunderlich, wollten die Rednerinnen und Redner der rot-rot-grünen Koalition die Vorwürfe Wegners so nicht stehen lassen. So verteidigte Franziska Giffey die »große Leistung«, die das Land innerhalb von wenigen Tagen vollbracht habe. Und man soll doch »wegkommen von der Haltung des Vorwurfs, hin zu einer Haltung des Zusammenstehens, auch über Parteigrenzen hinweg«.

Giffey erneuerte dabei noch einmal die Forderung nach Unterstützung durch den Bund. Berlin werde die Unterbringungs- und Verteilungsfrage allein nicht stemmen können. »Ich glaube schon, dass Berlin als die Stadt, die sehr betroffen ist von dieser Situation, mehr als alle anderen Bundesländer, auch das Anrecht haben kann, Unterstützung des Bundes einzufordern«, so Giffey.

Schon am späten Mittwochabend hatte die Regierende angekündigt, die Bundeswehr um Unterstützung zu bitten, um die hohe Zahl der Geflüchteten zu bewältigen. Davon rückte sie am Donnerstag nun ein Stück weit ab. Ob das nun die Bundeswehr sei oder das Technische Hilfswerk: »Elementar« sei, dass Berlin Hilfe von außerhalb bekomme. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bekräftigte indes später, dass noch am Donnerstag ein Amtshilfeersuchen an Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in Sachen Bundeswehrhilfe herausgehen soll.

Nahezu fraktionsübergreifend wurde unterdessen gefordert, dass für die aus der Ukraine in Berlin ankommenden Kinder und Jugendlichen rasch Kita- und Schulplätze bereitgestellt werden. »Diesen Kindern und Jugendlichen müssen wir jetzt schnell ein schulisches Angebot machen, wir haben den Anspruch, jedem Kind den Zugang zu Bildung zu ermöglichen - und das ab Tag eins«, sagte etwa Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel.

Tatsächlich sollen an Berlins Schulen erst mal 50 zusätzliche Willkommensklassen eingerichtet werden. Wie Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) am Mittwoch bekannt gab, richte sich dieses Angebot zunächst nur an ukrainische Jugendliche ab 16 Jahren und beziehe sich allein auf die Berufsschulen. »Die beruflichen Schulen haben gesagt, sie können das sofort einrichten. Das finde ich großartig«, sagte Busse. Weitere Klassen speziell für geflüchtete Schülerinnen und Schüler würden in Abstimmung mit den Bezirken eingerichtet. Die Bildungsverwaltung prüfe zudem, wo in den bereits vorhandenen 540 Berliner Willkommensklassen noch Plätze frei seien, um »dort eventuell auch ukrainische Kinder unterzubringen«.

In der Plenardebatte am Donnerstag hatte CDU-Chef Kai Wegner hinsichtlich der Schulen indes nicht nur die neu ankommenden Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine im Blick, sondern machte auch generelle Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung. »Deutschland muss wehrhaft bleiben«, begrüßte Wegner die von der Bundesregierung angekündigte 100-Milliarden-Euro-Aufrüstung der Bundeswehr, das lästige Klein-Klein der Landespolitik dabei abstreifend. Um im Anschluss dann doch noch zu den Berliner Schulen zu kommen. Denn weil die Bundeswehr »auch Anerkennung, Wertschätzung und Respekt« verdiene, gelte es nun, Berufssoldaten zu Informationsveranstaltungen in die Schulen zu schicken, so Wegner.

»Ich schäme mich ein wenig für die Debatte, wie sie von Teilen der Opposition geführt wird«, sagte im Anschluss Linksfraktionschef Carsten Schatz. Er erinnerte bei der Gelegenheit an die Forderung seiner Partei, dass die schnelle und unbürokratische Aufnahme allen Geflüchteten garantiert werden müsse, und zwar unabhängig davon, »welchen Pass sie besitzen oder nicht besitzen« - Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ausdrücklich eingeschlossen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal