Der Wendehals in Budapest

Seit Beginn des Ukraine-Krieges erwähnt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine langjährige Freundschaft mit Putin nicht mehr so gern. Zur Wahl am Sonntag tritt die Opposition geschlossen gegen die Regierungspartei an

  • Edmond Jäger
  • Lesedauer: 4 Min.

In Wahlkampfzeiten befinden sich Viktor Orbán und seine Anhänger in ihrem Element. Der Ministerpräsident, der auch Vorsitzender der Regierungspartei Fidesz ist, hält vor Menschenmengen lange Reden, in denen er mit der Geste des großen Staatsmannes die Weltpolitik analysiert und Ungarns Rolle darin erklärt. Gern porträtiert er sich als einen David, der gegen den Brüsseler Goliath kämpft.

Seine Fans reisen zu den Veranstaltungen nicht nur aus dem ganzen Land an, sondern auch aus den Gebieten der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern. Solche Events finden selbst ohne Wahlkampf mindestens jährlich statt, sind aber derzeit von besonderer Bedeutung, um die Anhänger zur Wahl zu mobilisieren und zusammenzuschweißen. Im krassen Gegensatz zum üblicherweise vorherrschenden martialischen Ton heißt das wichtigste jährliche Fidesz-Event »Friedensmarsch«. Dieses Jahr freilich scheint der Name erstmals zu passen, denn Orbán hat die Kriegs- und Kampfmetaphern aus seinem Repertoire gestrichen. Sie wurden wohl als unpassend erachtet, da nur wenige Autostunden von Budapest entfernt Raketen einschlagen. Unvermeidbar dominiert der russische Krieg gegen die Ukraine auch den ungarischen Wahlkampf.

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In einer dieser raschen Wendungen, die für die Geschichte des Fidesz typisch sind, präsentiert sich Orbán nun als Garant des Friedens und Bastion der Besonnenheit. Plötzlich will er einer sein, der Gewähr dafür bietet, dass Ungarn nicht in den Krieg hineingezogen wird. Die über Jahre hinweg besonders beschworene Freundschaft zu Russlands Präsident Wladimir Putin wird mit keinem Wort erwähnt und seine Sprecher bemühen sich auf Pressekonferenzen darum, diese wegzudiskutieren. Dass Ungarn einen 30 Jahre laufenden Kredit aufgenommen hat, um mit russischer Technik einen neuen AKW-Reaktor zu bauen und dass Orbán Russland als eines der Vorbilder des eigenen illiberalen Staates betrachtete, ist nun unangenehm und wird verdrängt.

Gerne betonen Regierungsmitglieder etwas kleinlaut, dass man sämtlichen Sanktionen der EU gegen Russland zugestimmt habe und ansonsten versuche, das Land aus dem »Konflikt zweier Länder« herauszuhalten, wie der Krieg in Fidesz-Kreisen gern bezeichnet wird.

Ein kleines Zugeständnis an den alten Freund bleibt, dass Ungarn über sein Staatsgebiet keine westlichen Waffentransporte in die Ukraine durchlässt. Die Restnähe zu Putins Russland hat auch dafür gesorgt, dass zum ersten Mal seit acht Jahren keine Delegation der polnischen Regierungspartei PiS zum »Friedensmarsch« am 15. März angereist war, um Fidesz ihre Unterstützung zu bekunden. Die Abkühlung in den polnisch-ungarischen Beziehungen ist allenthalben zu spüren und könnte für den Stand der ungarischen Regierungspartei in der EU zum ernsten Problem werden - unterstützten sich die beiden autoritären Regierungen doch bisher in jedem Zwist mit Brüssel gegenseitig.

Der unabhängige konservative Bürgermeister von Hódmezövásárhely, Péter Márky-Zay, der die vereinigte Opposition anführt, hat sich wiederum für die volle Unterstützung aller Maßnahmen der EU und der Nato gegen Russland ausgesprochen. Dazu gehört für ihn auch eine militärische Unterstützung der Ukraine, wie er in einem Interview bekundete. Für die von Fidesz kontrollierten Medien wurde dies zum gefundenen Fressen. Die Opposition wolle Ungarn in den Krieg hineinziehen, verkünden sie auf allen Kanälen.

Das Bündnis der Herausforderer wiederum wird nicht müde vorzurechnen, wie sehr Orbán als Putins Schüler und Juniorpartner betrachtet und abgelehnt werden müsse, damit Ungarns Mitgliedschaft in EU und Nato nicht gefährdet werde. Die Wiederannäherung an den Westen ist die verbindende Klammer der Opposition, ein Bündnis meist linker und liberaler Kräfte, aber auch mit der rechten Jobbik. Ob sie Orbán wirklich ablösen kann, bleibt offen. Alle Umfrageinstitute sehen Orbáns Fidesz seit Wochen vorne, mit 3 bis 13 Prozent Vorsprung. Nur schwer zu kalkulieren sind außerdem die Effekte des ungarischen Wahlsystems, das eine Mischung aus landesweiten Listen und Einerwahlkreisen ist. Da auch die Wahlkreise zugunsten von Fidesz neu eingeteilt wurden, ist anzunehmen, dass der Vorsprung der Partei bei den Parlamentssitzen am Ende noch größer sein wird, als es die aktuellen Umfragen erkennen lassen.

Zudem gibt es ernsthafte Zweifel daran, dass die Wahl korrekt ablaufen wird. Die OSZE schickt erst zum zweiten Mal überhaupt Wahlbeobachter in ein EU-Land. Dafür gibt es Gründe: So zeigte ein Artikel im ungarischen Wochenmagazin »HVG« auf, wie in der serbischen Vojvodina die dortige Partei der ethnischen Ungarn (VMSZ) Stimmzettel bei Wählern einsammelte und diese völlig unkontrolliert an eine Institution des ungarischen Staates übergab.

Doch selbst wenn die Opposition gewinnen sollte, wird sie es nicht leicht haben. Fidesz-Leute kontrollieren - mit neunjährigen Mandaten ausgestattet - Gerichte, Medien sowie wichtige staatliche Institutionen. Orbán wird daher so oder so weiterhin die Fäden in der Hand halten, wenn nötig aus dem Hintergrund.

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