Linke fordert Auskunft über Bespitzelung

Politikerin verlangt auf Gerichtsweg Informationen, warum Niedersachsens Verfassungsschutz sie ausforschte

Lange galt die Partei Die Linke deutschen Behörden als »extremistisch«. Mindestens das Wirken von innerparteilichen Gruppen wie der Kommunistischen Plattform und der Antikapitalistischen Linken richte sich gegen die »freiheitlich-demokratische Grundordnung«, heißt es bis heute in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Nur wurden auch immer wieder Politiker der Partei ausgeforscht, die eher zum sogenannten Reformerlager der Partei gehören. Der prominenteste von ihnen dürfte der heutige Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, sein.

Auch mindestens fünf Aktive der niedersächsischen Linken sind lange vom dortigen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beobachtet worden. Davon erfuhren sie aber erst sehr viel später durch eine Mitteilung des Amtes selbst. Maren Kaminski, ehemalige Landesgeschäftsführerin der Partei, ist eine von ihnen. Vor einem Jahr erhielt sie ein Schreiben des LfV. Darin wurde der heute 43-Jährigen mitgeteilt, von 2007 bis 2013 sei über ihre Person eine »Informationsbeschaffung mit nachrichtlichendienstlichen Mitteln« erfolgt. Laut niedersächsischem Verfassungsschutzgesetz müssen von einer solchen Maßnahme Betroffene unterrichtet werden, wenn diese abgeschlossen ist - eigentlich spätestens fünf Jahre nach deren Ende.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Kaminski, die heute Gewerkschaftssekretärin in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist, und ihr Genosse, der Soziologe Thomas Goes, stellten über ihren Anwalt Sven Adam im April 2021 einen Antrag auf Auskunft über Gründe und Details ihrer Bespitzelung. Niedersachsens Innenministerium ließ sich indes Zeit mit der Antwort. Erst kurz vor Silvester 2021 gingen entsprechende Schreiben bei Kaminski und Goes ein.

Doch welche konkrete Rechtfertigung für die Ausforschung bestand, geht aus den Schreiben ebenso wenig hervor wie die Art der Informationsbeschaffung. Deshalb hat Kaminski über Rechtsbeistand Adam beim Verwaltungsgericht Hannover Klage gegen das Ministerium eingereicht und beantragt, das Innenressort zur Erteilung weiterer Auskünfte über die Gründe der Datensammlung über sie zu verpflichten.

Inwieweit die Klage Aussicht auf Erfolg hat, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Das Ministerium hat jedenfalls umgehend beantragt, sie abzuweisen. In dessen Schreiben vom 8. Februar, das »nd« vorliegt, heißt es, der Klägerin stehe »kein Anspruch auf vollständige Auskunft zu«. Ihr Auskunftsrecht könne aufgrund der in Paragraf 30 Absatz 2 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes genannten »Versagungsgründe eingeschränkt werden«. Im Gesetz heißt es, dass genauere Auskünfte verweigert werden dürfen, wenn »Interessen eines Dritten« gefährdet seien und/oder die »Auskunftserteilung Informationsquellen als auch Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde« offenlegen könnten. Dies wie auch Formulierungen in der Antwort des Ministeriums auf Kaminskis Auskunftsersuchen legen nahe, dass in ihrem Umfeld V-Leute eingesetzt wurden. Im Antrag auf Klageabweisung heißt es, zusätzliche Informationen an die Klägerin könnten »Rückschlüsse über den Erkenntnisstand, das Beobachtungsfeld und die Engmaschigkeit der Beobachtung« zulassen. Bestimmte Mitteilungen würden »schon wegen ihrer Natur Informationsquellen gefährden«. Bei der bisherigen Auskunftserteilung seien die Interessen der Klägerin gegenüber denjenigen des LfV »und damit auch dem öffentlichen Interesse an einem funktionsfähigen Verfassungsschutz« abgewogen worden.

Aber warum wurde Kaminski bespitzelt? Dazu finden sich auch in der Antwort auf das Auskunftsersuchen nur Allgemeinplätze. Es hätten »tatsächliche Anhaltspunkte« bestanden, dass die Linke-Politikerin »an Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, beteiligt war«. Es folgt eine Auflistung der Aktivitäten Kaminskis im Beobachtungszeitraum. Auf vier Seiten sind nicht nur Kandidaturen für Landtags- und Kommunalwahlen aufgelistet, sondern akribisch auch ihre Teilnahme an diversen Kreismitgliederversammlungen, von ihr verfasste Artikel für Mitgliederzeitschriften und das Versenden von Einladungen und Newslettern.

All das, sagte Kaminski am Montag im Gespräch mit »nd«, zeige, dass es keinen echten Grund für die Bespitzelungen gegeben habe. Es handele sich dabei um nichts anderes als einen »Einschüchterungsversuch«. Von Innenminister Boris Pistorius (SPD) erwartet sie eine Erklärung zu den Vorgängen und auch eine Distanzierung von der Ausforschung Linker unter der Ägide seines Amtsvorgängers Uwe Schünemann (CDU).

Thomas Goes, der ebenfalls bespitzelte Vorsitzende des Göttinger Linke-Kreisverbandes, sieht gerade die Ausforschung seiner Genossin als Beleg dafür, dass der Geheimdienst willkürlich vorging und Die Linke »in ihrer Breite« beobachtete. Denn anders als er sei die Gewerkschafterin eher dem Reformerlager in der Partei zuzurechnen, sagte Goes am Montag gegenüber »nd«. Er selbst werde eher dem linken Flügel zugerechnet, seine Aktivitäten seien aber unspektakulär: Hochschulpolitik während des Studiums, gewerkschaftliche Bildungsarbeit und politische Arbeit im Linke-Kreisverband.

Goes selbst will keine Klage auf weitere Auskünfte einreichen. Der Antwort, die er auf sein Auskunftersuchen erhielt, sind indes gar keine Details über die vom LfV über ihn gesammelten Informationen zu entnehmen. Auch zu den Gründen seiner Ausforschung fänden sich keine über die auch bei Kaminski enthaltenen Allgemeinplätze hinausgehenden Aussagen, sagte der Soziologe.

Gegen die Bespitzelung der niedersächsischen Genossinnen und Genossen hatten im Januar auch die beiden Linke-Bundesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler protestiert. Hennig-Wellsow versicherte, die Partei werde sich durch die Bespitzelung »nicht einschüchtern lassen«. Wissler stellte fest, der Verfassungsschutz sei eine »unkontrollierbare Behörde«, deren Methoden »jeglichen demokratischen Grundkompass vermissen lassen«. Ihr Fazit: »Dieser Überwachungsapparat ist kein Demokratieschützer, sondern ein antidemokratischer Verein, der politisch motiviert nach seinen eigenen Gesetzen handelt.« Der aktuelle Fall zeige erneut, dass es »höchste Zeit für die Auflösung« des Dienstes sei.

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