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Die Tragik des triefenden Selbstbräuners

Die Doku »I am the Tigress« begleitet Tischa Thomas auf ihrem Weg, die weltbeste Bodybuilderin zu werden

Tischa Thomas (ganz vorn) hat in ihren Körper extrem viel investiert.
Tischa Thomas (ganz vorn) hat in ihren Körper extrem viel investiert.

Ein Glitzervorhang. Stück für Stück schiebt sich ein muskulöser Arm zum Rhythmus der Musik ins Bild. Dem Arm folgt ein noch viel gewaltigerer eingeölter Körper. Ein Rücken wie ein Hochgebirge bewegt sich zu den Beats hin und her. Das Video, mit dem Smartphone aufgenommen, wirkt wie ein x-beliebiges Dokument heutiger Selbstinszenierung. Aber dann schaltet Tischa Thomas die Musik ab und setzt zu einem Monolog über Köperwahrnehmung an.

Tischa wog mal 136 Kilo und fühlte sich nicht wohl, wurde gemobbt, wehrte sich nie, weil sie auch irgendwann glaubte, abstoßend zu sein. Sie begann zu trainieren, immer härter und härter, bis schließlich, auch mithilfe von Hormonen, dieser massive Körper entstand. Sie spricht davon, ihn »kreiert« zu haben. Tischa ist Bodybuilderin, Domina, Mutter, Großmutter, Frau. Sie würde die Reihenfolge wahrscheinlich anders wählen, aber der Dokumentarfilm »I am the Tigress« lässt kaum eine andere Wahrnehmung zu. Wir sehen sie im Wettkampf posieren, jeder Muskel wird einzeln präsentiert, dafür machen die Teilnehmerinnen die krassesten Verrenkungen. Dann sitzt sie mit ihren Enkeln in ihrem runtergerockten Wohnzimmer, in dem sie arbeitet, isst und schläft, schaut sich Bodybuilderzeitschriften mit ihnen an, lackiert den Mädchen die Fingernägel.

Als die Kinder gegangen sind, schaltet sie das Tablet an, das Wertvollste, was sie besitzt, und geht live. Das Chatfenster füllt sich. Sie zeigt ihren enormen Bizeps und säuselt gekonnt lasziv in die Kamera. Irgendwo muss das Geld ja herkommen. Bei den Wettbewerben landet sie immer auf den hinteren Plätzen, was sie regelmäßig frustriert und langsam, aber sicher in eine Sinnkrise stürzt.

Die Filmemacher Philipp Fussenegger und Dino Osmanović zeigen eine sensible, sehr verletzliche Frau, die sich einen Schutzpanzer erschaffen hat, der sie abschirmt von dem, was war, und von dem, was ist. Ohne Kommentar oder Einzelinterviews begleitet die Kamera Tischa in ihrem Alltag. Zeigt, wie sie angepöbelt wird, wie ihr sogar jemand nachläuft, um sie in einer Tour zu beleidigen. Zeigt, wie mutig sie pariert, wie oft sie das alles schon gehört haben muss. Die Verletzungen zeigt er nicht, dafür hat Tischa selbst gesorgt. So nah wird ihrem Inneren niemand kommen. Da ist der Körper im Weg. Und vielleicht ist das der Gewinn und gleichzeitig der große Nachteil des Films.

»I am the Tigress« präsentiert eine Persönlichkeit, die aus einer tiefen Kränkung heraus eine körperliche Stärke entwickelt hat, die aber eigentlich nicht bereit ist, sich für irgendjemanden zu öffnen. Ihre Unruhe, die Unzufriedenheit, dass ihre Lebensleistung nicht anerkannt wird, den eigenen Körper nach ihrem Ideal transformiert zu haben, das fängt der Film mit geschickten Kameraeinstellungen ein. Osmanović zeigt Tischa oft von hinten, ihre monströsen Rückenmuskeln dabei immer in Bewegung. Am schönsten löst sich ihre Rastlosigkeit in der langen Schlusseinstellung am Strand von Florida auf, in der zum ersten Mal das Wummern der Welt für einen kurzen Augenblick verstummt und Tischa zwischen den Wellen im Ozean verschwindet.

Zwar begleitet sie der Film in den intimsten und absurdesten Momenten, kommt ihr mit der Kamera so nah, dass man die vom Testosteron sprießenden Bartstoppeln am Kinn erkennt, ihre Brüste sieht, die einen deformierten Mix aus Muskeln und überschüssiger Haut darstellen. Sich und den eigenen Körper so zu zeigen, erfordert eine Menge Mut, denn fast nichts an ihr ist, was die meisten weiblich nennen. Aber zu ihrem Wesenskern verweigert sie konsequent den Zutritt. Das ist ihr gutes Recht, dem Film jedoch verleiht das eine spröde Distanz.

Was genau bindet sie an Edd, der sie bei allen Shows und Tiefpunkten begleitet? Der all ihre Stimmungsschwankungen und Wutausbrüche über heruntertriefenden Selbstbräuner stoisch erträgt, dem sie aber verweigert, sie als Partnerin zu bezeichnen und der ihr am Ende sogar einen der skurrilsten Heiratsanträge macht, den es im Kino wohl je gegeben hat. Was denkt ihre Tochter über sie? Wie hat sie die Transformation zur Tigerin erlebt? Das will der Film bewusst nicht zeigen. Die Person Tischa Thomas bleibt die ganze Zeit über eine starke Inszenierung.

»I am the Tigress«, Deutschland, USA, Österreich, 2021. Regie: Philipp Fussenegger und Dino Osmanović. 80 Min. Start: 14.4.

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