Auch Linksfraktion ringt um angemessenen Umgang mit Parteikrise

Seit dem Bundestagswahldebakel waren Forderungen nach neuen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion laut geworden. Im Zuge der Me-Too-Debatte gibt es sie erneut

Kathrin Vogler ist mit den Strukturen des Bundestages vertraut: Seit 2009 ist sie Mitglied der Linksfraktion. Auch dass Die Linke immer wieder Probleme mit Sexismus in den eigenen Reihen hat, trotz vieler fortschrittlicher Regelungen, weiß sie. Auch deshalb setzt sich die 58-Jährige auch zusammen mit Abgeordneten anderer Parteien für die Schaffung einer unabhängigen Anlaufstelle für Mitarbeiter*innen von Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen ein. Im Gespräch mit »nd« berichtete Vogler am Mittwoch, die Einrichtung einer solchen Institution sei ein Anliegen, dem sich Mitglieder mehrerer Fraktionen bereits seit zwei Jahren widmen. Ziel sei es, die Struktur »innerhalb der nächsten Monate formal auf den Weg zu bringen«, sagt die Abgeordnete.

Eine weitere Aufgabe sei es, für Beschäftigte, die bei der Linksfraktion beschäftigt sind, ähnliche Strukturen zu schaffen. Vogler begrüßt die Beschlüsse des Linke-Bundesvorstands vom 20. April zu Prävention von und zum Umgang mit sexualisierten Übergriffen und abwertendem und nicht wertschätzendem Umgang insbesondere von Männern gegenüber Frauen. Entsprechende Schritte müssten auch in der Fraktion gegangen werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Vogler, die zu den Unterzeichnerinnen eines Appells von 23 Linke-Politikerinnen für eine Erneuerung des feministischen Grundkonsenses der Partei gehört, mahnt aber auch Differenzierung an. Es gehe nicht, dass jedes Fehlverhalten unterschiedslos als Gewalt bezeichnet und verurteilt werde. Definitiv nötig sei aber »antisexistische Bildungsarbeit für die Abgeordneten«.

Sexismus und sexualisierte Übergriffe waren auch Thema auf der geschlossenen Sitzung der Linksfraktion. Deren Kovorsitzende Amira Mohamed Ali hatte am Montag im Deutschlandfunk erklärt, man habe »bereits Strukturen« zur Unterstützung Betroffener und zur Bekämpfung von Sexismus. In der Sitzung solle beraten werden, ob es »da noch Verbesserungspotenzial« gebe. Sollte dies der Fall sein, werde man handeln. Mohamed Ali zufolge gibt es in der Fraktion bislang keine Meldungen zu Übergriffen.

Die Abgeordnete Gökay Akbulut, die sich vor der Sitzung im Kurznachrichtendienst Twitter als »Betroffene von systematischem Mobbing und Sexismus« geoutet hatte, erklärte indes gegenüber »nd«, sie wolle sich zu dem Thema derzeit nicht äußern. Akbulut hatte auch eine Erneuerung der Linken und indirekt einen personellen Wechsel an der Fraktionsspitze gefordert. Anders werde man die Krise nicht überwinden können.

Auch die Personalfrage war - wie mehrfach seit der Bundestagswahl, bei der die Linke unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht war - Gegenstand von Debatten auf der Fraktionssitzung. Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte indes am Dienstag vor Journalisten, der Fraktionsvorstand habe einstimmig beschlossen, sich trotz der Krise der Partei nicht vorzeitig neu zur Wahl zu stellen. »Es gibt aus meiner Sicht dafür auch keinen Grund«, fügte er hinzu.

Entsprechende Forderungen waren laut geworden, nachdem die Ko-Vorsitzende der Partei, Susanne Hennig-Wellsow, am 20. April ihr Amt niedergelegt und dies unter anderem mit der Notwendigkeit der Erneuerung der Partei begründet hatte.

Seither wurde der verbliebenen Vorsitzenden Janine Wissler von der Thüringer Landtagsabgeordneten Katja Maurer direkt und von anderen Genoss*innen indirekt nahegelegt, auch zurückzutreten. Ihr wird vorgeworfen, sie habe in einem Fall sexueller Nötigung, von dem sie erfahren habe, nichts unternommen bzw. nicht den hessischen Landesverband der Linken informiert. Wissler hatte dies zurückgewiesen.

Massive Vorwürfe gegenüber Wissler hatte zuletzt Vorstandsmitglied Julia Schramm geäußert. Sie sagte dem »Freitag«, sie habe ihre Mitarbeit in der im Herbst 2021 gegründeten Vertrauensgruppe für Betroffene von Belästigung und Nötigung bis hin zur Vergewaltigung bei Bundesvorstand beendet, weil dieses Gremium und seine Herangehensweise komplett ungeeignet sei. Ihren Austritt aus der Gruppe hatte zuvor auch Vorstandsmitglied Melanie Wery-Sims bekannt gegeben.

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