Not okay, Boomer!

Wie Klassenkonflikte zu Generationenkonflikten gemacht werden

Junge Leute stehen heute vor einer ganzen Reihe privater und gesellschaftlicher Probleme: Wohnen wird immer teurer, der Job wird immer unsicherer ebenso wie die Rente. Dazu kommen Klimawandel und explodierende Staatsschulden, die laut Politiker:innen eine schwere Hypothek für kommende Generationen sind. Sofern man sich als junger Mensch auf die Suche nach Ursachen für diese Probleme begibt, erhält man von vielen Seiten ein Erklärungsangebot inklusive Schuldigen: Die Alten haben es sich zu gut gehen lassen, die Jüngeren werden die Zeche zahlen müssen. Sieben Beispiele dafür, wie aus Klassenkonflikten »Generationenkonflikte« gemacht werden – wie also alle aktuellen Folgen des Kapitalismus jenen angelastet werden, die schon etwas länger in ihm leben.

Eins: Die Rente

OXI – Wirtschaft anders denken

Nach und nach übernehmen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Personen die Verantwortung, die keine andere Gesellschaftsformation mehr kennen als den Neoliberalismus. Das bleibt nicht ohne Folgen. Wir schauen uns Karrieren, Kompetenzen, Konsummuster und Kommunikationsformen genauer an. Es geht um Start-ups und Selbstoptimierung,ökologisches Gewissen und ökonomische Ungleichheit – und nicht zuletzt um die Frage: Wer wehrt sich gegen die Kinder des Neoliberalismus?

Die Ausgabe kommt am 13. Mai zu den Abonnent:innen, am 14. Mai liegt sie für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exklusiv bei.

Das Thema Rente ist der Klassiker unter den Generationenkonflikten. Laut gängiger Darstellung ist das Problem der gesetzlichen Rente ein demografisches: Die Babyboomer und nachfolgende Generationen haben zu wenig Kinder geboren. Schrittweise stehen daher in Zukunft immer mehr Alte relativ weniger Jungen gegenüber, also immer mehr Rentenempfänger:innen weniger Beitragszahler:innen. Folge: Schon heute liegt das Rentenniveau nur noch bei knapp der Hälfte des durchschnittlichen Nettolohns. Und in Zukunft wird es weiter sinken oder die Rentenbeiträge müssen steigen. In beiden Fällen erleiden die Jungen von heute Einbußen, weil es sich die Alten gut gehen ließen.

Das Problem des Umlagesystems der gesetzlichen Rente lässt sich aber auch anders beschreiben: Es basiert darauf, dass die meisten Menschen als abhängig Beschäftigte vom Lohn leben, die Unternehmen diesen Lohn aber nur für geleistete Arbeit zahlen. Menschen stehen damit vor dem Dilemma, dass sie am Ende ihres Erwerbslebens immer noch am Leben, aber ohne Einkommen sind. Diesem Problem begegnet die gesetzliche Rentenkasse, indem sie Lohnanteile innerhalb der Gruppe der abhängig Beschäftigten einzieht und umverteilt. Auf diese Weise soll die gesamte Lohnsumme so gestreckt werden, dass sie auch für alte Menschen reicht.

Für die Unternehmen aber ist der Lohn ein Kostenfaktor, den sie im Betriebsinteresse minimieren, was unter anderem zu Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen, Prekarisierung und »gebrochenen Erwerbsbiografien« führt und damit die Einnahmeseite der Rentenkasse belastet. Naheliegend wäre es zwar, die Löhne zu erhöhen, um auch künftigen Rentnergenerationen ein auskömmliches Leben zu ermöglichen. Aber genau diese Erhöhung soll nicht sein, da sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schädigt. So zurechtkonstruiert, bleibt als Lösung nur noch übrig, künftig Rentenansprüche zu kürzen oder den Arbeitenden mehr von ihrem Nettolohn zu nehmen oder sie »privat« für das Alter vorsorgen zu lassen. Als Kompensation können sich die Menschen dann bei ihrer Elterngeneration beschweren.

Zwei: Die Inflation

Der demografische Wandel zeitigt aber noch weitere »Generationenkonflikte«: Da die Alten nicht genug Kinder in die Welt gesetzt haben, schrumpft künftig die Arbeitsbevölkerung, was laut Deutscher Bank erstens zu einer »demografiebedingten Wirtschaftswachstumsverlangsamung« führt. Zweitens »trifft eine geringere Zahl von Menschen im Produktionsprozess auf eine höhere Zahl von Menschen, die konsumieren, aber nicht produzieren«, erklärt Thieß Petersen, Senior Advisor der Bertelsmann-Stiftung. Daraus resultiere ein tendenzieller Nachfrageüberhang auf den Gütermärkten – dort nähmen die Knappheiten zu. Mögliche Folge seien höhere Inflationsraten. Wenn das Leben künftig teurer wird, dann sollen sich laut dieser Logik die Menschen nicht an die Unternehmen wenden, die zwecks Gewinn- und Umsatzerhöhung die Preise erhöhen. Sondern sich bei ihren kinderarmen Eltern beschweren.

Drei: Die Schulden

Der demografische Wandel bedroht laut Deutscher Bank aber auch »die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung wegen des absehbaren, drastischen Anstiegs der alterungsabhängigen Staatsausgaben«, die die »öffentlichen Haushalte in der nächsten Dekade massiv belasten dürfte«. Sprich: Die Alten sind schuld am Anstieg der Schulden, die ihre Enkel und Urenkel bezahlen müssen. Doch das Bild ist schief.

Erstens sind die Staatsschulden vor allem in den vergangenen Krisen gestiegen. Sicher, man hätte mitten in der Krise sparen können, so wie Griechenland. Aber damit hätten wir unseren Enkeln auch eine um 25 Prozent geringere Wirtschaftsleistung hinterlassen. Zweitens: Soweit mit dem geborgten Geld Straßen, Schulen, Brücken und 5G-Netze gebaut wurden, »erben« unsere Enkel nicht nur die Schulden, sondern auch die Infrastruktur.

Drittens ist die Erzählung von den vererbten Schulden einseitig. Man stelle sich vor, Frau A leiht Herrn B 100 Euro. Herr B hat damit eine Schuld, Frau A eine Forderung. Wenn beide sterben, erben ihre Kinder nicht nur die Schuld, sondern auch die Forderung. Das Gleiche geschieht bei Staatsschulden: Der Staat leiht sich Geld und gibt dafür Anleihen – Schuldscheine – heraus. Diese Anleihen sind ein Anrecht auf Rückzahlung plus Zins, also ein Vermögenstitel, ein Sparvermögen. Unsere Enkel erben daher nicht nur alle staatlichen Schulden, sondern auch alle in Staatsanleihen bestehenden Privatvermögen.

Das gesamte Privatvermögen in Deutschland ist dreimal so groß wie die staatlichen Schulden. Die eigentliche Frage lautet daher: Wer hat die Vermögen und wer die Schulden? Während die staatlichen Schulden auf alle verteilt werden, ist der Reichtum sehr konzentriert: Den reichsten 10 Prozent der Haushalte gehören in Deutschland über 60 Prozent des gesamten Vermögens. Der reale Gegensatz besteht also nicht zwischen Alten und Jungen, sondern zwischen Schuldnern und Gläubigern beziehungsweise zwischen Arm und Reich. Wenn unsere Enkel dereinst mal überschuldet sind, sollten sie nicht auf ihre Vorfahren schimpfen, sondern schauen, in wessen Händen der Reichtum liegt.

Vier: Die Zukunftsinvestitionen

»Wie es aussieht, war der strukturell bedingte Schuldenanstieg in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts nicht so sehr auf Mehrausgaben für Investitionen und/oder Bildung zurückzuführen, sondern vielmehr die Folge höherer Sozialausgaben wie z.B. für Renten oder Gesundheit«, schreibt die Deutsche Bank. Sprich: Weil die Alten immer mehr Sozialleistungen erhielten, blieb nicht genug Geld für Zukunftsinvestitionen übrig. Diese Investitionen könnte der Staat heute zwar über neue Schulden finanzieren – doch das verhindert die Schuldenbremse. Und an der sollen ebenfalls die Alten schuld sein: »Der demografische Wandel und die damit verbundenen Aufwendungen für die soziale Sicherung bedeuten ein hohes Maß an zusätzlichen impliziten Schulden für den Staat und verlangen eine Neujustierung der intergenerativen Lastenverteilung«, hieß es 2009 zur Begründung der Einführung der Schuldenbremse ins Grundgesetz.

Sind die Alten also schuld an maroden Brücken, Straßen, Schulen? Eher nicht. Das Geld für Investitionen ist ja vorhanden, es liegt bloß in privater Hand. Der Staat könnte es sich besorgen, zum Beispiel über höhere Steuern: Vermögensteuer, Finanztransaktionssteuer, Kapitalertragsteuer, Unternehmensteuer, das wären einige Ideen. Oder über höhere Erbschaftsteuern – die würden erstens nur die Reichsten treffen und wären zweitens sachgerecht, weil dadurch zwar das Erbe der (reichen) Kinder geschmälert, aber gleichzeitig für ihre Zukunft vorgesorgt würde. Solange die Steuern nicht erhöht werden, schont der Staat nicht die Alten, sondern den Reichtum.

Fünf: Die Immobilien

»Die Häuserpreise gehen durch die Decke!«, meldete im Februar die Commerzbank, es laufe »der stärkste Anstieg in dem mittlerweile zehn Jahre laufenden Boom«. Und wer profitiert davon? Jene, die vor dem Boom Eigentum erworben haben. Also eher die Älteren. Während ihre Häuser und Wohnungen immer wertvoller werden, können sich junge Menschen kein Eigenheim mehr leisten. Schaffte früher jeder Dritte im Alter zwischen 30 und 39 den Umzug in die eigenen vier Wände, so ist es mittlerweile nur noch jeder Vierte, meldete vor einem Jahr der Verband der privaten Bausparkassen. Das treibt die Ungleichheit in die Höhe – auch die zwischen den Generationen. Laut Bundesbank verfügen Eigentümerhaushalte im Durchschnitt über 277.000 Euro, nur rund 10.000 Euro Vermögen haben dagegen Mieterhaushalte, die zudem immer höhere Mieten stemmen müssen.

Zu diesem »Generationenkonflikt« nur zwei Anmerkungen: Erstens erben die Kinder der Eigentümer ja die Immobilien, sie profitieren also, nur zeitversetzt und nur jene Kinder von wohlhabenden Eltern. Zweitens ist es schon eine sehr verzerrte Wahrnehmung der Realität, wenn man die relative Armut der Jungen dem wachsenden Reichtum der Alten ankreidet und nicht den Renditeansprüchen der Investoren und ihrer Immobilienspekulation, die »die Alten« weder bestellt haben noch aktiv betreiben. Ihr Vermögenszuwachs ist – ebenso wie die Armut der Jungen – die bloße Folge eines Booms, dessen Verlauf und Stärke weit außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten liegen.

Sechs: Die Arbeitslosigkeit

Die französische Regierung kündigte vor einigen Jahren an, den Mindestlohn zu erhöhen. Leidtragende dieser Erhöhung, kommentierte damals Ifo-Präsident Clemens Fuest, seien die jungen Franzosen: »In Frankreich ist der Mindestlohn bereits so hoch, dass er die Beschäftigung der schwächeren Gruppen am Arbeitsmarkt verringert, vor allem die der Jugendlichen. Die Arbeitsplatzinhaber werden profitieren, die Jugendlichen und schlecht Ausgebildeten, die heute arbeitslos sind, werden aber noch schlechtere Chancen haben.« In diesem Fall sollen es die Geringverdiener sein, die die Jungen ausbeuten, weil der höhere Mindestlohn ihre Einstellung für die Unternehmen unattraktiv macht.

Auch in Deutschland wird regelmäßig behauptet, die »Privilegien« der »Arbeitsplatzbesitzer« (also der Arbeitnehmer) und die gute Versorgung der Arbeitslosen würden Arbeitssuchenden den Zugang zu Jobs versperren. Insbesondere der Kündigungsschutz schütze jene, die bereits Jobs hätten. Das Nachsehen hätten junge Menschen, die nach Jobs suchten und keine fänden, weil die Unternehmen sie wegen des Kündigungsschutzes gar nicht erst einstellten. Das Ganze existiert sogar als ausformulierte Theorie, nämlich der Insider-Outsider-Theorie zur Erklärung von Jugendarbeitslosigkeit: »Demnach verfügen die Insider als Arbeitsplatzbesitzer über eine gewisse Marktmacht, weil sie bereits gut eingearbeitet sind und sie zudem Kündigungsschutz genießen«, so das Ifo-Institut. Jugendliche, die neu in den Arbeitsmarkt einträten, hätten als Outsider das Nachsehen. Der Insider-Outsider-Theorie zufolge führt die Marktmacht der Insider zu fehlender Bereitschaft zur Lohnkonzession in einer Krise. »Die Kehrseite stabiler Arbeitsplätze und Einkommen der Insider ist dann die geringere Zugangschance bzw. die erhöhte Arbeitslosigkeit der Jugendlichen als Outsider.«

Eine kühne Erklärung, in der ausgerechnet jene Subjekte fehlen, denen die Arbeitsplätze tatsächlich gehören und deren Lohnkostenkalkulation permanent Arbeitslosigkeit produziert: die Unternehmen.

Sieben: Das Klima

In einem wegweisenden Urteil bezeichnete vergangenes Jahr das Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz als einen Fall von Generationengerechtigkeit: Der Staat müsse künftige Generationen vor dem Klimawandel schützen und dürfe Lasten nicht unnötig auf sie abwälzen. Hinter dieser Perspektive steht die Annahme: In der Vergangenheit haben es sich die Menschen auf Basis fossiler Energien und CO2-Emissionen gut gehen lassen und die Rechnung dafür – den Kampf gegen den Klimawandel – den Jungen aufgehalst, die künftig verzichten müssen.

Zunächst ist die Problemdefinition korrekt. Das herrschende Wirtschaftssystem beruht auf einem extensiven Verbrauch von Natur: Begrenzt vorhandene Rohstoffe werden aus dem Boden geholt und verarbeitet. Die dabei entstehenden Schadstoffe werden kostengünstig an die Umwelt abgegeben. Dieser Naturverbrauch heute hat global desaströse Auswirkungen in ferner, aber nicht allzu ferner Zukunft.

Die unterstellte Problemursache jedoch ist fraglich: eine Generation, die sich schlicht nicht um den Zustand der Natur kümmert, weil sie die Schäden nicht zu tragen hat, sondern bloß ihre Kinder. Laut ökonomischem Modell des »begrenzten Zeithorizonts nutzenmaximierender Individuen« ist solch ein Denken zwar logisch. Aber es möge sich jeder und jede selbst fragen, ob er oder sie sich in diesem Modell wiederfindet.

»Klimawandel als Generationenkonflikt« unterstellt zudem, dass in der Vergangenheit das maximale Wohlergehen der Menschen Sinn und Ziel des herrschenden Wirtschaftssystems war. Und dass jeder Einzelne durch sein individuelles Verhalten den Klimawandel hätte aufhalten können, wenn er nur mal an seine Enkel gedacht hätte. Das ist nicht ganz korrekt. Zwar könnten wir alle besser heizen und weniger fliegen. Als Konsument:innen haben wir jedoch nur begrenzten Einfluss auf die Art und Weise, wie die Dinge produziert werden. Das ist keine Frage des Alters, sondern des Systems.

Dieses System braucht erstens permanentes Wachstum – würden »die Alten« heute tatsächlich ihre Konsumausgaben zum Wohle des Klimas drastisch reduzieren, wäre eine Krise sicher. Zweitens beruht dieses System auf der betriebswirtschaftlichen Kalkulation mit Kosten und Erträgen. Internationale Vereinbarungen zum Klimaschutz scheitern daher nicht an der Engstirnigkeit »der Alten«, sondern daran, dass der Schutz des Klimas meist Kosten für die Unternehmen verursacht – zum Beispiel teurere Energie – und damit der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes schadet. In internationalen Verträgen wird daher versucht, diese Mehrkosten so zu verteilen, dass die eigene Wirtschaft keinen Schaden davonträgt. Dieser Kampf führt bislang dazu, dass der Klimaschutz stets hinter dem zurückbleibt, was nötig wäre.

Die Logik der Kapitalrendite – nicht die Engstirnigkeit der Alten – widerspricht also dem Umweltschutz. Dass alle Parteien versprechen, Ökologie und Ökonomie zu »versöhnen«, negiert diesen Widerspruch nicht, sondern unterstellt ihn: Versöhnt muss nur werden, was im Streit liegt. Im Streit liegen aber nicht Alte und Junge, sondern das betriebswirtschaftliche Kalkül an geringen Kosten und hoher Rendite mit den Notwendigkeiten der Natur. Ob beides »versöhnt« werden kann, ist offen.

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