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Flaggschiff unter Beschuss

Während der Senat die Fortschritte der Berliner Schulbauoffensive feiert, befürchten andere Akteure massive Verzögerungen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.
"Da werden Träume wahr": Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) bei einer Grundsteinlegung für den Neubau eines Oberstufenzentrums in Charlottenburg
"Da werden Träume wahr": Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) bei einer Grundsteinlegung für den Neubau eines Oberstufenzentrums in Charlottenburg

An der Lilli-Henoch-Straße am Rand des Ernst-Thälmann-Parks in Prenzlauer Berg sollte eigentlich irgendwann ein Gymnasium hochgezogen werden. Eigentlich. Denn seit einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Pankow am Mittwoch steht der Schulstandort auf der Kippe. Stattdessen wurde erst mal der Weg freigemacht für ein Hochhausprojekt mit bis zu 600 Wohnungen, für die geplante Schule muss nun ein Flächentausch mit dem Investor angeleiert werden. Ein Unding, findet Pankows SPD, die zusammen mit der Linksfraktion gegen den Beschluss gestimmt hat. »Kinder des Bezirks werden verlängerte Schulwege hinnehmen müssen und schlechte Bedingungen für die Bildung haben«, befürchten die Sozialdemokraten. Bedanken könnten sich die Schüler »bei den investorennahen Fraktionären der Grünen, AfD, CDU und FDP«. 

Der Fall liegt zwar vermutlich etwas komplizierter. Und ungewöhnlich ist auch, dass sich Die Linke in Pankow für die Neugründung eines Gymnasiums stark macht – und damit von der in der Partei vorherrschenden Favorisierung des Modells Gemeinschaftsschule abweicht. Dennoch: Der Zoff um das Areal nahe des S-Bahnhofs Greifswalder Straße steht symptomatisch für die vielen Vor-Ort-Probleme bei der Schaffung von dringend benötigten zusätzlichen Schulplätzen. 

Mal wird nach Protesten von Eltern, Schülern, Lehrern – und Oppositionspolitikern – ein auf einem Schulgelände geplanter sogenannter Modularer Ergänzungsbau mit gut 200 Plätzen zu Fall gebracht, wie bei der Obersee-Schule in Lichtenberg. Mal muss eine Schule aufgrund von Sanierungsmaßnahmen umziehen und es wird eine Frist nach der nächsten gerissen, bis die Arbeiten abgeschlossen sind. In einem extremen Fall, der Kurt-Schumacher-Grundschule in Kreuzberg, ist nach fast einem Jahrzehnt Rumgemurkel mit Firmeninsolvenzen und Firmenkündigungen gerade der erste Bauabschnitt übergeben worden. 

Das Motto von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bei alldem lautet offenbar: Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit’ren Stunden nur. »Man hört immer so viele Klagen, was alles nicht läuft, was alles noch nicht gut ist, aber ich finde, wir müssen auch ab und zu mal über das reden, was hervorragend funktioniert«, sagt Giffey am Mittwochabend im Kino »International« in Mitte bei einer Art Werbeveranstaltung zu den Schulbauprojekten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge, über die in den kommenden Jahren 17.500 neue Schulplätze geschaffen werden sollen. 

Die Howoge ist neben der Stadtentwicklungsverwaltung, der landeseigenen BIM Berliner Immobilienmanagement und den zwölf Bezirken einer der vier Akteure der »Berliner Schulbauoffensive«. Und folgt man Giffey, »funktioniert« die vor dem Hintergrund jahrzehntelang verschleppter Investitionen 2016 gestartete »Offensive« eben »hervorragend«. »Wir haben schon ganz, ganz viel geschafft«, sagt die SPD-Politikerin und verweist auf die über 21.000 Schulplätze, die seither geschaffen wurden, und die weiteren 40.000, die noch bis 2030 hinzukommen sollen. Giffey findet: »Da muss Berlin sich nicht verstecken.« Zwar hieß es vor etwa eineinhalb Jahren von der Bildungsverwaltung auf nd-Anfrage, dass bis zum Sommer 2021 »rund 31.400 neue Schulplätze entstanden sein« werden. Aber das ficht Giffey nicht an.

Ähnlich Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), deren Haus damals per Senatsbeschluss die »Federführung« für die milliardenschwere Schulbauoffensive übertragen bekam. »Meine Vorgängerin hat da was Tolles angeschoben«, sagt Busse, seit Dezember im Amt, mit Blick auf die langjährige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Es gehe »wirklich sehr schnell voran«. Das sehe sie: »In meiner jetzt noch relativ kurzen Amtszeit habe ich ja schon neue Schulbauten übergeben oder Teile oder Grundsteine gelegt. Also, das ist jetzt praktisch, ich würde nicht sagen: täglich, aber wöchentlich steht das an.« Letzteres ist etwas übertrieben, aber gut. 

Wenn aber die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey feierlich erklärt, »dass die Schulbauoffensive auch in dieser neuen Legislaturperiode ein Flaggschiffprojekt der Entwicklung unserer schönen Stadt Berlin sein wird«, gehört zur Wahrheit dazu, dass die Fregatte aktuell unter Beschuss steht. Nicht nur, weil Schulsanierungen teilweise kaum vorankommen oder Neubauprojekte aus unterschiedlichsten Gründen torpediert werden. Sondern auch, weil im Entwurf zum Doppelhaushalt 2022/2023 die Gelder für die »Offensive« radikal zusammengestrichen wurden – so jedenfalls der von etlichen Seiten erhobene Vorwurf. Die Rede ist von 136 Millionen Euro, die nun für den Bau von neuen Schulen, Mobilen Ergänzungsbauten – kurz: MEBs – und Typensporthallen fehlen würden. Seit Wochen laufen bildungspolitische Initiativen, Elternvertreter, Bezirkspolitiker und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft dagegen Sturm. 

Am Donnerstag schlossen sich auch die Landesarbeitsgemeinschaften für Bildung der drei Koalitionsparteien dem Protest an. »Wenn wir nicht wollen, dass zum Ende dieser Legislatur die einzige Lösung für den Schulplatzmangel die Erhöhung der Klassenfrequenzen bleibt, muss das Tempo des Schulbaus beibehalten werden und die Kürzungen bei MEBs sowie bei Neubauvorhaben wieder zurückgenommen«, heißt es in einem an die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und Die Linke gerichteten Schreiben.

Angesprochen auf die Rotstift-Vorwürfe, atmet Finanzsenator Wesener am Rand der Veranstaltung am Mittwoch kurz tief durch. »Ich habe mal gelernt, wenn man mehr Geld ausgibt, ist das das Gegenteil von kürzen«, sagt Wesener zu »nd«. Er gestehe es dem Landeselternausschuss und Schulpolitikern zu, »dass sie sagen: Es braucht mehr Geld.« Aber im aktuellen Haushaltsentwurf sei für die Schulbauoffensive mit rund 900 Millionen Euro pro Jahr – die zusammen fast 450 Millionen Euro für die von der Howoge verantworteten Großprojekte nicht eingerechnet – eben einfach mehr, nicht weniger Geld im Topf als in den Vorgänger-Haushalten. 

Richtig sei: »Wir haben in der Tat, anders als im ersten Entwurf des Doppelhaushalts 2022/2023 aus dem Juni vergangenen Jahres, die damaligen Ansätze abgesenkt. Warum? Weil wir im Hinblick auf die 2021 abgerufenen Zahlen gesehen haben, dass wir das Geld gar nicht ausgegeben kriegen«, sagt Wesener. So sind ihm zufolge etwa 250 Millionen der für 2021 bereitgestellten 800 Millionen Euro liegengeblieben. Die Gründe dafür sind vielfältig – von der bombigen Auftragslage auf dem Baumarkt bis zur demonstrativen Inaktivität einzelner Bezirksschulstadträte.

Man habe den Erstentwurf aus dem Sommer vergangenen Jahres nun lediglich angepasst. Wesener geht nicht davon aus, dass das Konsequenzen für konkrete Schulbauprojekte nach sich zieht. Zumal sogenannte Verpflichtungsermächtigungen in den Haushalt geschrieben worden seien. »Das heißt, wenn es mehr Geld braucht, weil wir wider Erwarten schneller werden, steht dieses Geld auch zur Verfügung«, sagt Wesener. 

»Ich nehme in der Tat erfreut zur Kenntnis, dass die Bedarfe nicht in Abrede gestellt werden«, sagt hierzu Torsten Kühne (CDU), der Schulstadtrat von Marzahn-Hellersdorf, der die 136-Millionen-Euro-Frage vor wenigen Wochen wesentlich mitskandalisiert hat und dabei sogar von mehr als dem doppelten »Fehlbetrag« ausgeht. Das Aber folgt dann auch prompt, denn Verpflichtungsermächtigung hin oder her: Kühne traut dem Braten nicht. Die Schulen in seinem Bezirk würden zum Teil überquellen. »Und wenn es an einem Ort einen Bedarf für eine Schule gibt und die jetzt erst in fünf Jahren gebaut wird, da habe ich ein Problem. Denn: Was mache ich in den fünf Jahren bis dahin?«, sagt Kühne zu »nd«. Wesener hält dagegen: »Am Ende ist es so, dass jeder Schulplatz, der gebraucht wird, auch gebaut wird.«

Noch ist es nicht offiziell, aber offenkundig haben sich SPD, Grüne und Die Linke nun darauf verständigt, dass die Haushaltsansätze für die fraglichen Schulbauposten wieder hochgesetzt und weitere Verpflichtungsermächtigungen ergänzt werden. »Es gab eine Einigung, damit alle geplanten Schulneubauten auch wirklich errichtet werden können«, sagt Hendrikje Klein, die für die Linksfraktion die Nachjustierung im Hauptausschuss mitverhandelt hat, am Freitag zu »nd«. Details werden erst am Ende dieses Wochenendes erwartet. Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse, der nicht zuletzt SPD-Landeschef Raed Saleh vorgehalten hatte, sie habe sich bei den Haushaltsverhandlungen »über den Tisch ziehen« lassen, hat sich bislang nicht zu den »Korrekturen« zu ihren Gunsten geäußert. 

Schon beim Podiumsgespräch am Mittwochabend hatte Busse das leidige Thema Finanzen auffällig außen vor gelassen. Angesichts der im Kino »International« im Modell präsentierten künftigen Howoge-Schulen mit ihren zum Teil durchaus ambitionierten pädagogischen Raumkonzepten schwelgte die Senatorin dafür ein wenig in der Vergangenheit und erinnerte an ihre Zeit als Grundschulleiterin in Neukölln – und weit davor. Letztlich komme es doch immer auch auf die Lehrkräfte an, so Busse, denn: »Was nützt eine schlechte Pädagogin in einer schönen Schule?« Sie habe auch in den 70er Jahren »sehr viel gemacht, denn, wenn man will, kann man aus allem etwas machen und gestalten«. Selbstverständlich sei ihr aber bewusst, dass Schüler und Lehrer heute »ganz andere Ansprüche« haben. »Aber das werden unsere neuen wunderbaren Schulbauten natürlich erfüllen, und da werden Träume wahr.«

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