Medialer Täterschutz

Für Sexismus in der Linkspartei stehen bislang nur Frauen öffentlich gerade

Am Rande – Medialer Täterschutz

Eine gähnende Leerstelle fällt der aufmerksamen Leserin in der Berichterstattung über die sexuellen Übergriffe in der Linkspartei auf: Wer ist denn eigentlich der mutmaßliche Täter? Zu Beginn der Angelegenheit wurde er zumeist immerhin als Adrian G. identifiziert, mittlerweile firmiert er überall unter der Identität »früherer Lebensgefährte« einer Parteiangehörigen (Tagesschau.de). Das Privileg, nicht geoutet zu werden, kommt den Frauen, die in die Angelegenheit – wenn auch nur als Nebenstehende – verwickelt sind, nicht zu. Im Gegenteil, rauf und runter gebetet werden ihre Namen, auf deren Nennung an dieser Stelle aus gegebenem Anlass einmal verzichtet wird. Die ebenso verrückte wie real existierende Logik dabei ist: Gerade weil diese Frauen selbst keine tätlichen Übergriffe begangen haben, weil sie nicht im harten Sinne Täterinnen sind, sind sie es, die faktisch für den sexistischen Status quo geradestehen.

Dass bereits mehrere Frauen von ihren Parteiposten zurücktraten, die mutmaßlichen Täter aber (bislang) ungenannt auf ihren Leitungspositionen hocken – wie es solche Männer in diesen Fällen dreist zu tun pflegen – war nur zu erwarten. Adrian G. wird im Fall des konkreten Übergriffs also vor den Konsequenzen der Vorwürfe gegen ihn geschützt, die der »Spiegel« im April – durchaus genüsslich? – »enthüllte«. Geschützt wird aber auch die männerbündlerische Struktur, die in der Linkspartei offenbar besteht und den notwendigen Kontext bietet für Misogynie und Sexismus. Kein einziger der »Männer mittleren Alters, die bestimmte Positionen innehaben – etwa in Vorständen – und entsprechend mit Macht ausgestattet sind« sei bisher namentlich genannt worden, erklärte die Sprecherin des Linkspartei-Jugendverbands Solid gegenüber nd.DerTag. Und das, obwohl es hier sogar um konkrete Vorwürfe ginge – aber was will man erwarten, zumal zu diesem Personenkreis »auch Bundespolitiker und bekannte Namen« zählen.

Kein einziger mutmaßlicher Täter musste sich also bislang öffentlich mit dem »Sexismus-Skandal« (RTL.de) in Verbindung bringen lassen. Wie ist dieser mediale Täterschutz zu erklären? Ein wesentlicher Faktor ist – im konkreten wie im allgemeinen Fall – das Recht. In der Regel sitzen Normalbürger*innen einem Irrtum auf, wenn sie das Recht als ein geeignetes Mittel für die Durchsetzung der eigenen Zwecke halten. Geht es allerdings um sexuelle Übergriffe, wird deutlich: Das Recht steht auf der Seite des Patriarchats. Anders formuliert: Männer, die Frauen erniedrigen, belästigen, vergewaltigen, haben den Staat durchaus auf ihrer Seite. Und zwar nicht nur aufgrund sexistischer Haltungen individueller Richter*innen, sondern durch die grundsätzliche Verfasstheit des bürgerlichen Rechts. In einem System, in dem sich ein Gewaltmonopol vorbehält, über gesellschaftliche Konflikte zu entscheiden, darf keine andere Instanz dieses Urteil vorwegnehmen – nicht einmal spekulativ. Die juristische Figur des »Rechtsfriedens« legt es außerdem nahe, möglichst ohne Prozess zur Einigung zu kommen; dies gibt Tätern die Gelegenheit, ihre Opfer mit Geldsummen abzufinden und sie durch Geheimhaltungsverträge ans ewige Beschweigen der Tat zu binden. Und vor einer möglichen prozessualen »Beilegung« des Konfliktes gibt es noch das Rechtsmittel der Unterlassungsklage, dessen sich Adrian G. vermutlich derzeit bedient – was zwar mindestens peinlich und wohl auch dreist wäre, aber sicher ein Aufwand, der sich lohnt…

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