»Nicht unter 20 Euro netto kalt«

Wäre beinahe nicht in der ARD gelaufen: ein Gespräch mit Hauke Wendler und Christoph Twickel über ihren Recherchefilm »Immobilienpoker«

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 6 Min.
Die teuerste Brache Düsseldorfs: Ein Grundstück am Hauptbahnhof in Toplage, aber unbebaut. Das Projekt nennt sich »Grand Central«, die Leute nennen es »Grand Hole«.
Die teuerste Brache Düsseldorfs: Ein Grundstück am Hauptbahnhof in Toplage, aber unbebaut. Das Projekt nennt sich »Grand Central«, die Leute nennen es »Grand Hole«.

Deutschland braucht dringend mehr Wohnraum und zwar günstigen. Warum aber bleiben in vielen Städten Grundstücke in bester Lage unbebaut? Warum wird der Bau von Wohnungen immer wieder angekündigt, aber nicht verwirklicht? Mit Grundstücken wird spekuliert, wem nützt das? Die Ausstrahlung des Films »Immobilienpoker Die dubiosen Geschäfte eines Wohnungskonzerns« stand bis zuletzt auf der Kippe, weil Anwälte sie verhindern wollten. Am vergangenen Montagabend lief der Film von Michael Richter und Christoph Wickel, produziert von Hauke Wendler, in der ARD. Die Dokumentation ist eine investigative Recherche über das Geschäftsgebaren des Immobilienkonzerns Adler Group.

Interview


Hauke Wendler ist Produzent und Regisseur von Dokumentarfilmen für Kino und Fernsehen. Mit Carsten Rau war er unter anderem für die Kinofilme »Wadim« und »Willkommen auf Deutsch« verantwortlich, die sich mit dem Schicksal von Flüchtlingen in Deutschland befassen. Für den Film »Deportation Class« erhielt er den Grimme-Preis. Christoph Twickel ist freier Journalist und Radiomoderator. Gentrifizierung ist ein Schwerpunkt seiner Arbeit. 2010 erschien in der Edition Nautilus sein Buch »Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für Alle«.

Herr Wendler, am vergangenen Montagabend lief in der ARD Ihre Produktion »Immobilienpoker – Die dubiosen Geschäfte eines Wohnungskonzerns«, eine Dokumentation über das Geschäftsgebaren der Adler Group. Die Ausstrahlung stand bis zuletzt auf der Kippe. Wer wollte sie aus welchen Gründen verhindern?

Hauke Wendler: Wir haben den Film in den vergangenen acht Monaten produziert. Er wirft einen sehr tiefen kritischen Blick hinter die Kulissen von Unternehmen, die offensichtlich lieber mit Grundstücken und Immobilien spekulieren, statt Wohnungen zu bauen. Dabei sind unsere beiden Regisseure Michael Richter und Christoph Twickel auch auf brisante interne Dokumente gestoßen, die uns von Informanten und Whistleblowern zugespielt wurden, darunter Listen mit unbezahlten Rechnungen in Höhe von insgesamt fast 78 Millionen Euro. Diese Summe hat ein Tochterunternehmen der Adler Group offenbar systematisch nicht bezahlt, was Handwerksbetriebe an den Rand des Ruins getrieben hat. Das zeigen wir in unserem Film und genau das wollte die Gegenseite offensichtlich verhindern. Zumindest sind bei uns seit vergangener Woche mehrere E-Mails und Schreiben von sehr bekannten Anwaltskanzleien eingegangen, wohl um die Ausstrahlung der Dokumentation noch im letzten Moment zu verhindern.

Wie ist die Sache am Ende ausgegangen?

Wendler: Der Film hatte am Montag seine Preview im Kino, wurde im Ersten gesendet und steht jetzt in der ARD-Mediathek. Aber allein hätten wir das als Produktionsfirma nicht geschafft. Wir haben das große Glück, dass die beteiligten Fernsehsender NDR und RBB uns mit ihren Justiziaren unterstützt haben. Insbesondere das Justiziariat des NDR in Hamburg hat sich in den vergangenen Jahren einen exzellenten Ruf erarbeitet. Da gibt es eine medienrechtliche Kompetenz, ohne die wir als Produktionsfirma so einen Auftrag gar nicht übernehmen könnten. Dafür ist die Gegenseite, in diesem Fall ein milliardenschwerer Immobilien- und Wohnungskonzern, oft viel zu aggressiv und ausdauernd, wenn es um Unterlassungserklärungen, einstweilige Verfügungen oder sogar Prozesse geht. Natürlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung, doch dass unliebsame Berichterstattung schon vor der Ausstrahlung torpediert werden soll, halte ich für eine sehr bedenkliche Entwicklung. Und auch jetzt bleibt natürlich zu befürchten, dass die Anwälte der Gegenseite doch noch einen Weg finden, um den Film aus der Mediathek zu kicken.

Herr Twickel, Sie haben in den letzten Jahren viel zum Thema Immobilienmarkt und Mieten recherchiert. Ist das Geschäftsgebaren der Adler Group, das Sie in Ihrem Film beleuchteten, eher die Ausnahme oder nur die Spitze eines Eisbergs?

Christoph Twickel: Wir sind Journalisten, keine Juristen, wir können nicht darüber urteilen, ob etwas an den Geschäftspraktiken der Adler Group kriminell sein könnte. Da wünsche ich mir, dass eine ambitionierte Staatsanwaltschaft sich einmal damit auseinandersetzen würde. Allerdings haben wir festgestellt, dass es offensichtlich in der Branche wenigen aufstößt, dass hier ein Konzern mit Wertsteigerungen seiner Projekte Bilanzgewinne in Millionenhöhe macht, die schwer zu erklären sind, aber die eigene Kreditwürdigkeit steigern. Immerhin hat Adler es geschafft, rund 7,5 Milliarden Euro bei internationalen Investmentfonds einzusammeln.

Was halten Sie von der These, wonach der sonst so vielgepriesene Markt hier schlicht versagt? Dass vernünftige Mietpreise nur gehalten werden können, wenn ein großer Teil der Wohnungen in der öffentlichen Hand verbleibt, wie es beispielsweise die Stadt Wien macht?

Twickel: Das Problem ist, dass Immobilien seit den letzten zweieinhalb Jahrzehnten einfach »asset« sind, dass sie an den Finanzmärkten gehandelt werden. Das erzeugt einen Renditedruck, der Wohnungsbau zu sozial verträglichen Preisen unmöglich macht. Die Kommunen können die Investoren zwar dazu zwingen, auch einen gewissen Anteil an Sozialwohnungen zu bauen, aber der Preis dafür ist, dass diese sich dann an den frei vermietbaren Wohnungen schadlos halten. Für das Holstenquartier in Hamburg-Altona hat die Adler Group ja schon angekündigt, die freifinanzierten Wohnungen nicht unter 20 Euro pro Quadratmeter netto kalt zu vermieten. Natürlich wäre es angezeigt, dass die öffentliche Hand mehr Grundstücke aus diesem Preisrennen herausnimmt.

Im Film wird unter anderem ein Shortseller, also jemand, der auf fallende Aktienkurse spekuliert, als Zeuge präsentiert. Kann jemand, der ein Interesse daran hat, dass Firmen möglichst viel Börsenwert verlieren, eine verlässliche Quelle sein?

Twickel: Shortseller machen heute oftmals den Job, den die Finanzaufsicht Bafin, die Staatsanwaltschaften und andere Behörden offensichtlich nicht machen: Sie schauen sich die Bilanzen von Konzernen genau an und veröffentlichen Unstimmigkeiten. Dass ein Milliardenkonzern jahrelang in Deutschland so agieren kann, ohne dass ermittelt wird, dass erst ein Shortseller kommen muss, um darauf aufmerksam zu machen, das ist skandalös. Wir haben herausgefunden, dass das Finanzamt Berlin-Neukölln im Falle Adler Steuerschulden von 21 Millionen Euro auflaufen ließ – unfassbar. Wenn ich mal 14 Tage zu spät mit der Umsatzsteuer bin, wird mein Konto gepfändet. Und ist es nicht gespenstisch, dass Leute, die davon leben, dass Werte vernichtet werden, also in letzter Instanz auch gesellschaftlicher Reichtum – etwa wenn Handwerker nicht bezahlt werden –, zu den wenigen gehören, die bereit sind, dabei zu helfen, die schlimmsten Betrügereien aufzudecken?

Was sagt das über die Verfassung der bürgerlich-kapitalistischen Welt aus?

Twickel: Moment, die Handwerker wurden ja von der Adler Group nicht bezahlt, obwohl der Konzern auf dem Papier Millionengewinne gemacht hat. Das kann man nicht den Shortsellern anlasten. Die leben davon, dass sie die Blase platzen lassen, sprich, dass sie öffentlich machen, was ökonomisch ohnehin der Fall ist, dass nämlich ein Konzern mit falschen Versprechungen operiert.

Wendler: Ich glaube, wir als Gesellschaft haben es in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, Konzernen, die global und mit einer überwältigenden Finanzmacht ihre allein auf Gewinnstreben ausgerichtete Unternehmenspolitik aggressiv vorantreiben, Grenzen aufzuzeigen. Aber wenn ich mit mir selbst ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich beim Thema Wohnen in den vergangenen Jahren viel zu oft nur gemeckert habe, anstatt mich vernünftig zu informieren und dann auch politisch einzubringen oder zumindest diese politischen Forderungen gegenüber Parteien zu formulieren. Da frage ich mich manchmal schon, warum wir es selbst bei einem Thema, das den allermeisten Menschen in diesem Land Sorgen und Angst macht, nicht schaffen, zu besseren Ergebnissen zu kommen? Deshalb hoffe ich sehr, dass dieser Film für mehr Menschen ein Anfang sein kann, um diese extrem komplizierten Geschäftspraktiken zu durchschauen und sich dagegen auch zu wehren.

»Immobilienpoker Die dubiosen Geschäfte eines Wohnungskonzerns« ist in der ARD-Mediathek zu finden. Ausserdem gibt es einen fünfteiligen Podcast von Christoph Twickel zum Thema unter www.ndr.de/immobilienpoker

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