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Noch mehr Bürokratie befürchtet

Eine neue Pflegepersonalregelung für die Krankenhäuser sieht jede Menge Ausnahmen vor

Nur wenn genügend Pflegepersonal da ist, können Patienten gut versorgt werden. Mit diesem Ziel soll ab 2024 eine Personalregelung in den Krankenhäusern eingeführt werden, die schon bis jetzt einen langen Vorlauf hat. Gelten soll diese Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) für die bettenführenden Stationen aller zugelassenen Krankenhäuser. Läuft alles nach Plan, startet die PPR 2.0 im Januar 2023 in ausgewählten Kliniken. Aber der jetzt bekannt gewordene Referentenentwurf löste vor allem bei den ursprünglichen Initiatoren der PPR lautstarke Kritik aus.

Dass in den Krankenhäusern Pflegepersonal fehlt, ist gefühlt schon immer so. Das stimmt jedoch nicht ganz: Mindestens in den vergangenen drei Jahrzehnten gab es sowohl einen Abbau dieser Beschäftigtengruppe in den Kliniken als auch wieder eine Zunahme, parallel waren aber die Fallzahlen, mit Ausnahme der Pandemiejahre, stetig gestiegen. Stress und Überlastung blieb für die Pflegekräfte ständig an der Tagesordnung.

Das Problem bei der Finanzierung von ausreichend Pflegepersonal waren und sind nicht nur die Fallpauschalen. Auch die niemals in voller Höhe geleistete Übernahme der Investitionskosten für die Krankenhäuser seitens der Bundesländer ist indirekt für die Personalengpässe in der Pflege mitverantwortlich. Damit die Kliniken weiter bauen, anbauen oder neue Geräte anschaffen konnten, auch ohne ausreichend Geld von den Bundesländern, sparten sie beim Personal und dort vor allem in der Pflege.

Um das internationale Spitzenniveau bei der pflegerischen Versorgung zu erreichen, hatte die Hans-Böckler-Stiftung kurz vor der Pandemie errechnet, es müssten 272 700 zusätzliche Vollzeitkräfte eingestellt werden – das entspräche dann der Situation in Norwegen. Im Juni 2022 ergab eine weitere Studie, dass allein in der Intensivpflege bundesweit bis zu 50 000 Vollzeitkräfte fehlen. Um hier endlich das Ruder herumzureißen, reicht es nach bisherigem Stand auch nicht aus, dass die Pflege seit 2020 nicht mehr über die Fallpauschalen abgerechnet werden muss, sondern mit einem Extra-Budget vergütet wird. Auch dieses hat in der Praxis seine Nachteile, es gibt unzählige Streitfälle in der Abrechnung mit den gesetzlichen Kassen.

Einen Schritt voran sollte es nach den Vorstellungen wichtiger Akteure im Bereich mit einer bedarfsgerechten Personalbemessung gehen. Bereits Anfang 2020 hatten Pflegerat, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Gewerkschaft Verdi eine Regelung dafür vorgelegt, die sogenannte PPR 2.0. Knapp zwei Jahre später vereinbarte die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag, die Vorgaben einzuführen, um die Arbeitsbedingungen schnell und spürbar zu verbessern.

Der jetzt vorliegende Referentenentwurf für das künftige Gesetz löste jedoch an mehreren Stellen Widerspruch aus. Nachbesserungsbedarf sieht zum Beispiel der Pflegerat: Die PPR 2.0 und auch die Kinder-PPR 2.0 müssten explizit benannt, die Intensivstationen beachtet werden. Das beanstandet auch die Krankenhausgesellschaft. Sie befürchtet einen Flickenteppich von Regeln, auch weil bisherige Vorgaben wie Pflegepersonaluntergrenzen bestehen bleiben. Einig ist man sich mit dem Pflegerat, dass es keine Ausnahmen für die Pflicht zur Anwendung der PPR 2.0 geben sollte, auch nicht für Krankenhäuser, die sich in diesen Fragen tarifvertraglich gebunden hätten.

Vor allem seitens der Kliniken wird durch verschiedene Vorschriften nebeneinander eine noch mehr überbordende Bürokratie befürchtet. Der DKG fehlt zudem der sogenannte Ganzhaus-Ansatz. Demnach würden alle Krankenhäuser, die mindestens 80 Prozent des PPR 2.0-Niveaus erfüllen, von den jetzt gültigen Vorschriften für Personaluntergrenzen befreit. Damit könnten die Krankenhäuser flexibler auf Patientenbedarf reagieren, also Personal intern einfacher umsetzen.

Unklar erscheinen Pflegerat und Krankenhausgesellschaft die sichere und langfristige Finanzierung des Pflegepersonals unter PPR 2.0-Vorgaben. Vergessen wurden im Referentenentwurf die vielen anderen medizinischen Professionen, die in den Teams an Patienten tätig sind, darunter zum Beispiel Hebammen oder Physiotherapeuten. Qualität in der Praxis könne nur erreicht werden, wenn die anderen Berufsgruppen mitgedacht würden.

Grundlegende Einwände gegen den Referentenentwurf kommen ebenfalls von den Krankenkassen. So moniert Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, dass das Personalbemessungsinstrument ja eigentlich nur als Übergangslösung gedacht war, jetzt aber unbefristet gelten soll. Auch die Kasse sieht den Aufbau unnötiger Parallelstrukturen, die Ressourcen binden würden und Geld kosteten. Mehrausgaben lehnt Reimann ab. Zusätzlich sieht die AOK Tausende offene Verfahren in Sachen Pflegebudget und befürchtet, dass diese zu Lasten der gesetzlichen Kassen – und damit der Beitragszahler – geregelt würden.

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