Trump im Angriffsmodus

Der Ex-Präsident giftet vor den Midterms gegen die Demokraten und vergisst die Ermittlungen gegen ihn

  • Max Böhnel, Wilkes-Barre
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Hartgesottenen waren schon am Vortag da. Beim »Tailgating«, dem gemeinsamen Essen und Trinken von den Ladeflächen ihrer Pick-up-Trucks, warten ein paar Hundert Trumpisten auf einem hässlichen Parkplatz in Wilkes-Barre im Bundesstaat Pennsylvania auf den Auftritt ihres Idols. Ex-Präsident Donald Trump hat sich am Samstag für 19 Uhr angekündigt. Doch schon am frühen Nachmittag windet sich in der sengenden Hitze eine riesige Schlange auf dem überfüllten Parkplatz. In der Nähe des Haupteingangs sind gut 100 schwarze Harleys der »Bikers for Trump« geparkt. Auf Trump-Veranstaltungen stellen die Mitglieder des rechten Motorradclubs den Saalschutz und die Ordner, aus ihrer Gesinnung machen sie keinen Hehl.

Der Name des Ex-Präsidenten ziert die meisten der roten Hüte und T-Shirts an diesem Tag, oft kombiniert mit dem Kürzel MAGA (»Make America Great Again«). Gegen T-Shirts mit dem Q der durchgeknallten Verschwörungstheorie QAnon hat niemand etwas einzuwenden, auch nicht gegen die sonnenbebrillten Bartträger, die locker beisammensitzen und auffällig-unauffällig Gesichtskontrolle betreiben. Aber potenzielle Störer oder bekannte Antifaschisten können die vier Herren offenbar nicht ausmachen. Einer von ihnen präsentiert auf seinem schwarzen T-Shirt wie selbstverständlich »White Lives Matter«, das sich Neonazis als Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Bewegung zu eigen gemacht haben. Mit geschätzten 99 Prozent Weißen, davon die Mehrzahl Männer mittleren Alters, ist man unter sich.

Drinnen in der Arena sind die meisten Sitzplätze schon Stunden vor Trumps Auftritt belegt. Rechte Politprominenz zieht händeschüttelnd an der ersten Sitzreihe vorbei. Darunter auch die Kandidaten für die Midterm-Wahlen, die von Trump unterstützt werden: Doug Mastriano, der Gouverneur von Pennsylvania werden will, Mehmet Oz als Kandidat für einen Senatssitz für den Bundesstaat und Jim Bognet für das Repräsentantenhaus. Pennsylvania ist zu einem entscheidenden Swing-State geworden. Trotzdem dreht sich alles um Trump. Wird er bei diesem ersten Auftritt nach der Durchsuchung seines Anwesens in Florida durch das FBI vor drei Wochen seine Kandidatur für die nächste Präsidentschaftswahl ankündigen?

Doch vorher heizen die Organisatoren die Stimmung mit einem Zusammenschnitt von Präsident Joe Bidens Ausrutschern an. Biden stolpert, verhaspelt sich und stottert. »Joe kann nicht einmal vernünftig sprechen, wie soll er da führen?«, heißt es am Ende. Eine Steilvorlage für Trump. Minutenlang spottet er anschließend in seiner Wutrede über die »kognitive Beeinträchtigung« Bidens, bis er endlich zu seinem Hauptthema kommt: Die Durchsuchung seiner Villa Mar-a-Lago in Florida am 8. August. Der Ex-Präsident spielt das Opfer und sieht sich als Ziel einer »Hexenjagd« des FBI und des US-Justizministeriums. Beide bezeichnet er als »bösartige Monster«. Er, Trump, sei als »wichtigster politischer Gegner« das Ziel »politischer Verfolgung« geworden.

Tatsächlich hatte eine Richterin in Florida tags zuvor eine detaillierte Liste der beschlagnahmten Dokumente veröffentlicht. In mehreren Kisten befanden sich vertrauliche, geheime und streng geheime Akten, zusammen mit persönlichen Gegenständen. Insgesamt waren 11 000 Regierungsdokumente und 90 leere Ordner, darunter 48 mit der Aufschrift »Verschlusssache« sichergestellt worden. 18 Dokumente werden als »streng geheim« eingestuft. Trump könnte deshalb unter anderem wegen Geheimnisverrat vor Gericht gestellt werden.

Doch Trump redet über etwas anderes. »Ihr seid alle Staatsfeinde«, deutet er grinsend auf seine Anhänger. Präsident Biden hatte, ebenfalls in Pennsylvania, zwei Tage zuvor in einer Rede vor den »MAGA-Republikanern« als Feinde der Demokratie gewarnt. Kurz zuvor hatte er Trump-Fans als »Semi-Faschisten« bezeichnet.

Trump sehe sich drei Gerichtsbarkeiten gegenüber, analysierte das Internet-Magazin »The Intercept«: Der Öffentlichkeit, Justizminister Merrick Garland und einem Gericht, falls es zu einer Anklage gegen ihn kommen sollte. Keines der drei sei Trump gewogen. Im Gegensatz zu seinen Hochzeiten, als er im ersten Wahlkampf vor sechs Jahren schließlich mit der geballten Macht des Weißen Hauses ausgestattet über seine Wähler*innen hinaus auf Zustimmung stieß, ist er heute in der breiten amerikanischen Öffentlichkeit relativ unbeliebt. Zwar kann er sich nach wie vor auf seine Millionen von Fans verlassen, die ihm seine Halbwahrheiten und Lügen abnehmen. Aber eine Bevölkerungsmehrheit hat sich von ihm abgewandt. Eine Umfrage der Quinnipiac University von vergangener Woche ergab, dass 50 Prozent der Amerikaner*innen meinen, Trump müsse wegen des Diebstahls von Geheimdokumenten vor Gericht gestellt werden. 41 Prozent sind dagegen.

Trump hat sich verkalkuliert und Garland keine andere Wahl gelassen, als bei den Ermittlungen die Schrauben anzuziehen, nachdem er dem Justizminister gedroht hatte, seine Anhänger auf ihn loszulassen, falls Ermittlungen aufgenommen würden. Gibt Garland nun nach oder lässt sich auf Verhandlungen hinter den Kulissen ein, würde er Schwäche an den Tag legen – was sich ein Justizminister nicht leisten kann. »The Intercept« wies zudem darauf hin, dass Trump viele weitere Brücken zum Washingtoner Establishment verbrannt hat. Selbst Anwaltsbüros lehnen es ab, für ihn Vermittler zum Justizministerium zu spielen.

Auch in Pennsylvania legte sich Trump über eine potenzielle Kandidatur nicht fest. Mit einer jetzt erklärten Kandidatur könnte er sich durchaus weniger angreifbar machen. Denn einen Präsidentschaftsbewerber anzuklagen, das wäre mit erheblichen politischen Risiken für die Demokraten verbunden. Trump spricht von einem »Hausputz«, der in Washington anstehe und dass er »es noch einmal machen« werde. Aber erst müssen die Republikaner die Midterm-Wahlen gewinnen. Trump kalkuliert gewieft. Denn wenn er jetzt schon seine Kandidatur verkündet und die Partei im November schlecht abschneidet, würde ihm das angekreidet werden.

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