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  • Prozess gegen Antifaschistin

Hauptgewinn für die Anklage

Im Verfahren gegen die Gruppe um Lina E. sagt der Kronzeuge weiter aus

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Beginn des Prozesses gegen die Gruppe um Lina E. gab es immer wieder Solidaritätskundgebungen vor dem Gerichtsgebäude.
Seit Beginn des Prozesses gegen die Gruppe um Lina E. gab es immer wieder Solidaritätskundgebungen vor dem Gerichtsgebäude.

Der Prozess läuft seit mehr als einem Jahr: Am 8. September 2021 begann am Oberlandesgericht Dresden die Verhandlung gegen vier Antifaschist*innen, denen vorgeworfen wird, in einer Art politischer Selbstjustiz teils brutale Überfälle auf Rechtsextreme verübt und zu dem Zweck eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. In bisher 65 Sitzungen verhandelte der Staatsschutzsenat gegen Lina E., die in der von der Generalbundesanwaltschaft vertretenen Anklage als »Kommandogeberin« bezeichnet wird und wegen ihrer vermeintlich herausgehobenen Stellung seit immerhin 687 Tagen in Untersuchungshaft sitzt, und ihre drei Mitangeklagten.

Trotz des erheblichen zeitlichen Aufwands aber trat das Verfahren lange auf der Stelle. Die Angeklagten schwiegen eisern; Zeugen schilderten zwar minutiös den Ablauf von Attacken, erkannten aber keinen der Täter. Belege für eine feste organisatorische Verbindung gab es nicht. Der entsprechende Ordner in der Anklage ist leer, im Prozess gab es keine neuen Indizien. Die Verteidiger sprachen von einer »Vereinigung, die keiner kennt«.

Die Wende brachte erst ein Mann, der zunächst im Juli und August vier Tage lang aussagte und heute und morgen erneut auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt, flankiert von sechs Personenschützern. Die Sicherheitsvorkehrungen hält das Gericht für nötig, weil Johannes D. als besonders gefährdet gilt. Der 30-Jährige, in Bayern gebürtig und dort zunächst in einer »Dorf-Antifa« aktiv, war fest in der linksradikalen Szene in Leipzig verwurzelt, einer Szene, in der es als ungeschriebenes Gesetz gilt, nicht mit staatlichen »Repressionsorganen« zu kooperieren. D. indes, der an mindestens einem der jetzt verhandelten Überfälle beteiligt war, hat genau das getan: Er packte zunächst beim Bundesamt für Verfassungsschutz aus und seit Mai auch beim Landeskriminalamt Sachsen. Nun sagt er in dem Dresdner Prozess, der immerhin als einer der bedeutendsten in der Bundesrepublik gegen eine linksautonome Gruppierung gilt, aus – als Kronzeuge.

Ein Grund dafür, dass D. mit den Sicherheitsbehörden kooperiert, dürften Anschuldigungen einer ehemaligen Partnerin sein, die ihm in einem öffentlichen »Outcall« schwere psychische und sexuelle Gewalt vorwarf. Er wurde daraufhin in der Szene geächtet. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden im Frühjahr eingestellt. Ein ungestörtes Leben sei aber selbst im Ausland nicht mehr möglich gewesen. Im Prozess gab D. an, er habe wieder selbstbestimmt leben und deshalb reinen Tisch machen wollen. Die Behörden nahmen ihn in ein Zeugenschutzprogramm auf. Das Solidaritätsbündnis Antifa Ost, das den Prozess begleitet, sprach von »verabscheuungswürdigem Verrat«. Eine Demonstration, die während seiner Aussage an diesem Mittwoch vor dem Gericht stattfindet, steht unter dem Motto »Unsere Solidarität gegen politischen Verrat«.

In seiner bisherigen Aussage nannte D. viele Namen und berichtete über Strukturen und Netzwerke der linksautonomen Szene in Leipzig und anderen Städten; er schilderte Details zu Tatwerkzeugen und Tarnung, zu Kommunikation und Trainings für die Überfälle. Es sind Aussagen, deren Bedeutung für ein mögliches Urteil nicht hoch genug einzuschätzen ist. Linas Unterstützer fürchten einen »apokalyptischen Prozessausgang«. Ein Prozessbeobachter sagt, der Kronzeuge sei »wie ein Sechser im Lotto für die Generalbundesanwaltschaft«.

Bisher wurde der Kronzeuge vier Tage lang vorwiegend von den Richtern befragt. Nun muss er sich den Fragen der Generalbundesanwaltschaft, der Nebenkläger und vor allem der sieben Verteidiger stellen. Ihnen dürfte daran gelegen sein, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Szeneaussteigers zu säen. Gelingt das nicht, dürften seine Aussagen maßgeblich das Urteil prägen, mit dem eventuell im Oktober zu rechnen ist – mehr als ein Jahr nach Prozessbeginn und fast zwei Jahre, nachdem Lina E. verhaftet wurde.

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