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Keine Bühne für die Mullahs
Eine Frauenrechtsgruppe fordert, dem Iran die Teilnahme an der Fußball-WM in Katar zu verwehren
Bereits mehr als 40 Jahre lang werden iranischen Frauen selbst grundlegende kleine Freiheiten verweigert, zu denen es ganz selbstverständlich auch gehört, in einem Stadion das Lieblingsteam anzufeuern. Auf Druck des Fußballweltverbands Fifa dürfen seit Kurzem zwar einige Frauen Spiele live verfolgen, aber die iranische Frauenrechtsgruppe »Open Stadiums« befürchtet, dass mit dem Abpfiff der WM im Dezember in Katar auch damit wieder Schluss sein dürfte, wenn der Fokus des Fußballs diesen Teil der Welt wieder verlässt.
Also forderte »Open Stadiums« nun, dem Iran eine Teilnahme an der Männer-WM in sechs Wochen zu verwehren. Somit sollte Vertretern des Mullah-Regimes auch keine Bühne in den Ehrenlogen der Stadien geboten werden, wie die Gruppe in in einem Brief an Fifa-Präsident Gianni Infantino schrieb. Ein Ausschluss des iranischen Teams sei im Hinblick auf die derzeitigen Demonstrationen vor allem von Frauen ein wichtiges Signal. Die zum Symbol der Proteste gewordene Mahsa Amini »wurde schließlich in genau der Haftanstalt getötet, in die weibliche Fußballfans, die es wagten, ein Spiel zu besuchen, gebracht und gefoltert wurden«, so »Open Stadiums«. So war auch Sahar Khodayari 2019 dort inhaftiert worden, nachdem sie als Mann verkleidet versucht hatte, sich ein Spiel anzusehen. Bevor sie verurteilt werden konnte, hatte sie sich vor dem Gerichtsgebäude angezündet und war bald darauf an ihren schweren Verletzungen gestorben.
Auch weibliche Fußballfans wurden bei den Protesten von der iranischen Polizei getötet: Sarina Esmaeilzadeh, eine junge Demonstrantin, die gern Fußballspiele besucht hätte, wurde von Sicherheitskräften totgeschlagen. Einige der Videos, die die 16-Jährige unter anderem bei Telegram veröffentlicht hatte, wurden von Aktivistinnen mit englischen Untertiteln versehen. In einem spricht das Mädchen kurz über das Leben im Iran und darüber, dass Frauen nicht einmal Fußballspiele besuchen dürfen.
Das brutale Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte dürfe von den internationalen Fußballverbänden nicht hingenommen werden, zumal zu erwarten sei, dass Angehörige der Revolutionsgarden verdeckt auch in Katar anwesend sein und das Verhalten iranischer Fans überwachen würden, so »Open Stadiums«. Die Gruppe befürchtet vor allem für weibliche Anhänger nach der WM drastische Konsequenzen. Eine Reaktion der Fifa auf den Brief gab es bislang noch nicht.
Über die Boykottforderungen wird in den sozialen Medien heftig gestritten. Befürworter erhoffen sich ein Signal an das Mullah-Regime und vor allem auch an die Protestierenden, dass die internationale Gemeinschaft sehr genau hinsieht, was im Iran gerade passiert. Gegner wenden ein, dass es dadurch keine Gelegenheit zu öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen an den Austragungsorten gebe. Vor vier Jahren hatten Hunderte iranische Frauen tagelang die Berichterstattung über die WM in Russland beherrscht, weil sie ohne Kopftuch und geschminkt ihr Nationalteam im Stadion anfeuerten. Die Bilder gingen um die Welt. Zumindest von Ausländerinnen wird das Tragen eines Kopftuchs in Katar übrigens nicht erwartet.
Doch sind Boykotte überhaupt geeignete Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen? Streng genommen ist die Forderung, die iranische Nationalmannschaft von der WM in Katar auszuschließen, kein Boykottaufruf. Es fehlt vor allem an einem geeigneten Druckmittel. Andererseits aber ging es bei einem der ersten Boykotte der Sportgeschichte um nicht weniger als das Frauenrecht auf Teilhabe an den Olympischen Spielen in Amsterdam. Damals reisten britische Sportlerinnen ganz bewusst nicht an, weil sie sich nicht damit abfinden wollten, dass Frauen von den Leichtathletiksportarten weitgehend ausgeschlossen waren. Von 1933 bis 1943 organisierten unzufriedene Athletinnen überdies demonstrativ ihre eigenen Olympischen Spiele.
Das Fernbleiben westlicher Länder von den Spielen in Moskau 1980 und der Gegenboykott des Ostblocks vier Jahre später in Los Angeles hatten kaum Auswirkungen. Andererseits gibt es sehr wohl Boykotterfolgsgeschichten. So blieben ab den 1960er Jahren afrikanische Länder internationalen Sportveranstaltungen mit dem Ziel fern, den Apartheidsstaat Südafrika sowie Rhodesien international zu isolieren. Wie sehr diese Boykotte die Funktionäre beunruhigten, zeigte sich 1972, als IOC-Präsident Avery Brundage nach dem Anschlag auf israelische Sportler seine Rede mit dem Titel »The Games must go on« hielt. Darin verurteilte er die Morde, bevor er sagte: »Die Spiele der XX. Olympiade waren zwei brutalen Angriffen ausgesetzt. Wir haben den rhodesischen Kampf gegen nackte politische Erpressung verloren.«
Der sich mehrfach rassistisch äußernde Brundage setzte damals also die Ermordung von zwölf Menschen durch Terroristen mit der boykottbedingten Ausladung des heutigen Zimbabwe von den Spielen gleich. In Rhodesien stellte die weiße Minderheit die Regierung und setzte die Rassentrennung durch. Schwarze durften die meisten Sportstätten nicht benutzen. Südafrika durfte erst 1992 wieder an Olympia teilnehmen. Ohne das gemeinschaftliche Vorgehen der anderen afrikanischen Staaten wäre die sportliche Isolierung des Landes nicht vollzogen worden. Es braucht also internationale Solidarität für einen erfolgreichen Boykott.
Wie schnell ein drohender Boykott enden kann, wenn er nicht auf Resonanz stößt, zeigt ein aktuelles Beispiel: Ende Februar hatte der niederländische Fußballverband KNVB beschlossen, aus Protest gegen den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine keine Spiele mehr gegen Russland und Belarus auszutragen. Die erhoffte Signalwirkung blieb jedoch teilweise aus, denn Fifa und Uefa schlossen lediglich russische Teams von ihren Wettbewerben aus. Belarus durfte dagegen weiterspielen. Dagegen gab es kaum Proteste, und die niederländischen Frauen traten im Juni letztlich doch in der WM-Qualifikation gegen Belarus an.
Zu den Forderungen von »Open Stadiums« in Bezug auf das Männerteam des Iran bei der anstehenden WM hat sich bis heute übrigens weder der niederländische noch irgendein anderer Fußballverband geäußert.
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