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Geschwächte Friedenskraft

Linke Anti-Kriegs-Demos und die Gefahr der rechten Vereinnahmung

Auf der Demo "Heizung, Brot und Frieden" am 3. Oktober gab es nicht nur unverfängliche Losungen wie diese. Deren Träger wurden aber von den Ordnern mit Nachdruck weggeschickt.
Auf der Demo "Heizung, Brot und Frieden" am 3. Oktober gab es nicht nur unverfängliche Losungen wie diese. Deren Träger wurden aber von den Ordnern mit Nachdruck weggeschickt.

In Berlin brachte am 3. Oktober ein linkes Bündnis unter dem Motto »Protestieren statt frieren! Heizung, Brot und Frieden!« etwa 1000 Menschen auf die Straße. In Hamburg wird, initiiert vom dortigen Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung, in dem auch Mitglieder der Linkspartei engagiert sind, für den 22. Oktober zu einer Demonstration unter einem ähnlichen Motto aufgerufen: »Sicheres Leben, Wohnung, Brot und Frieden!« Der Unterschied zwischen beiden Veranstaltungen: Von der Hamburger Demo hat sich der Landesvorstand der Partei Die Linke bereits vorab distanziert, in Berlin ist sie über den Landtagsabgeordneten Alexander King und andere Teil des Demobündnisses. Der Vorwurf in Hamburg lautet, auf der Friedensdemo habe sich eine »Querfront« gebildet.

Linke, Krieg und Frieden
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.

Dagegen erntete das Berliner Bündnis durchaus Bekundungen von Respekt für ein gelungenes Konzept zum Fernhalten rechtslastiger und verschwörerischer Parolen. Vorab war auch in Berlin von Linken geargwöhnt worden, dass es zu einem Fraternisieren mit »rechtsoffenen« Gruppen kommen könnte. Mit diesem Vorwurf sah sich die Berliner Friedenskoordination konfrontiert, die am 1. Oktober ebenfalls eine Demo veranstaltet hatte, zu der gegen Ende Teilnehmer einer rechtslastigen Kundgebung unter anderem mit Russland-Fahnen gestoßen waren.

Von der Hamburger Demo am 1. Oktober verbreitete Antira Info Hamburg auf Twitter Fotos, um zu belegen, dass diese sich »wie erwartet als Querfront-Event entpuppt« habe – und dass folglich auch die kommende am 22. Oktober eines werde. Der Vorwurf: Es habe Ordner gegeben, die schon bei Impfgegnerprotesten dabei gewesen seien, und ein Schild zeige die Nato-Windrose, modifiziert zu einem Hakenkreuz. Ein weiteres Bild zeigt ein Transparent, auf dem das Logo der von Linken als »rechtsoffen« bezeichneten Partei »Die Basis« zu sehen ist. Die Losung darauf: »Diplomatie statt Waffen – Wirtschaftskrieg beenden«. Auf einem weiteren von Antira Info Hamburg einem rechten Impfgegnerbündnis zugeordneten Banner ist zu lesen: »Wir zahlen nicht für eure Kriege und die Krise des Kapitalismus«.

Demoanmelder Andreas Grünwald, Mitglied der Linken und aktiv im Hamburger Forum, wird wiederum vorgeworfen, er habe Mitglieder der »Basis« vom Lautsprecherwagen aus begrüßt. Das bestreitet Grünwald nicht. Er beharrt aber darauf, dass dies nur ein Akt der gebotenen Höflichkeit gewesen sei. Eine Beteiligung von »Basis« und anderen Gruppen aus der »Querdenker«-Szene am Organisationsbündnis habe es aber nicht gegeben, schreibt Grünwald auf Facebook. Für ein Gespräch war er für »nd« bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht zu erreichen. Grünwald betont zugleich, für das Demobündnis sei es selbstverständlich, dass Transparente, Losungen und Reden, die »rassistische, diskriminierende, gegen andere Völker hetzende« Inhalte verbreiteten, »niemals geduldet« würden. Der Aktivist findet es diffamierend, als Querfrontler abgestempelt zu werden. Und er hätte sich vom Linke-Landesvorstand Kritik im persönlichen Gespräch statt über die Medien gewünscht.

Die erst im September gewählten Hamburger Landesvorsitzenden Sabine Ritter und Thomas Iwan hatten der »Hamburger Morgenpost« nach der Demo ein Interview gegeben, in dem sie sich scharf von dieser distanzierten. Ritter sagte dem Blatt, es sei für sie fraglich, ob Die Linke Mitglieder, die etwa die Schuld Russlands am Ukraine-Krieg relativierten und bereit seien, »mit Rechten und Querdenkern zu demonstrieren«, noch »tolerieren« könne.

Im Gespräch mit »nd« sagte Ritter, das Hamburger Forum stehe schon länger in der Kritik, weil es ein »Abgrenzungsproblem nach rechts« habe. Deshalb habe Die Linke bewusst nicht zur Veranstaltung am vergangenen Samstag aufgerufen. Dass es sich bei zahlreichen Teilnehmern dort um »Querfrontler« gehandelt habe, sei erkenntlich gewesen, sagte sie unter Berufung auf die Beobachtungen des Antira-Teams. Ritter verwahrt sich vor allem auch gegen die von manchen Friedensfreunden betriebene »Schuldumkehr« in Bezug auf den Ukraine-Krieg. Zugleich betonte sie: »Selbstverständlich stehen wir hinter der Forderung, dass die Eskalationsspirale gebrochen werden muss und dass dafür auch die EU und die Bundesregierung in der Verantwortung stehen.« Und sie räumt ein, dass ihre Forderung, dass Demobündnisse sich auch von allen verschwörungsideologischen Inhalten abgrenzen müssten, »nicht immer ganz einfach umzusetzen« sei. Querdenker und »Basis«-Leute dürften aber »keinen Raum für ihre Losungen bekommen«.

Der Linke-Landesvorstand hat nach Angaben von Ritter am Mittwochabend mit großer Mehrheit ein Papier beschlossen, in dem die von ihr genannten Abgrenzungskriterien festgehalten sind.

Die Hamburger Debatten werfen ein Schlaglicht auf die Schwäche der gesellschaftlichen Linken wie auch der gleichnamigen Partei: Sie verfügt einerseits nicht über die personelle Kraft, um von eher unpolitischen, bürgerlichen bis rechtsoffenen Bündnissen initiierte Proteste gegen die Sanktionspolitik der Bundesregierung und für die Weiterversorgung Deutschland mit fossilen Energieträgern ihrerseits zu »kapern« und damit ihre Forderungen nach Abrüstung, Mietenstopp, Vergesellschaftung von für die soziale Daseinsvorsorge existenziellen Unternehmen, nach vorn zu bringen.

Andererseits muss sie auf jeder ihrer Demonstrationen darum kämpfen, nicht ihrerseits von rechts infiltriert zu werden. Denn AfD und Neonazis sind gut organisiert. Zudem hacken Linke vor lauter Angst, mit ihnen gleichgesetzt zu werden, ständig auf den eigenen Leuten herum und erstellen lange Listen von Gruppen, die neben Nazis und Rassisten unbedingt ferngehalten werden müssten. Das »Sauberbleiben« ist aber eine schier unlösbare Aufgabe, gerade angesichts dessen, dass Losungen wie jene, die »Basis«-Leute in Hamburg vor sich hergetragen haben, viele Linke unterschreiben könnten. Und strittig ist auch, in welchem Umfang auf Demos die evidente langjährige Eskalations- und Destabilisierungsstrategie insbesondere der USA, aber auch der EU gegenüber Russland und dem postsowjetischen Raum thematisiert werden darf. Entscheidend dürfte sein, dass klargestellt wird, das Russland die Ukraine überfallen hat und zum Abzug aufgefordert wird.

Klar dürfte sein: Ohne mehr Solidarität statt Häme auf Twitter und Co. wird die Linke gewiss nicht aus der Defensive kommen. Gesine Lötzsch, Vizechefin der Linksfraktion im Bundestag, meint, mit gegenseitigen Diffamierungen schade sich die Linke nur selbst. »Konkurrierende Parteien und einige Medien werfen uns gern in einen Topf mit der AfD. Das ist eine seit Jahrzehnten bekannte Methode«, sagt sie dem »nd«. Das dürfe aber nicht dazu führen, »dass wir uns lähmen lassen und zurückhaltend in der Kritik gegenüber der Regierung werden«.

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