Laut denken, aber ruhig bleiben

Der ZDF-Kommentator Béla Réthy tritt nach dem WM-Halbfinale ab

Neulich fragte mich eine Freundin: »Seit wann ist Beckenbauer tot?«. Gar nicht, sagte ich, man hört nur nichts mehr von ihm, nach den ganzen Korruptionsvorwürfen. Aber vorher war er überall präsent, als Vertreter des alten Fußballs: Einer Zeit, in der noch der größte Blödsinn munter in die Kameras gezwitschert wurde, als wäre Fernsehen eine Art Stammtisch mit versteckter Kamera. Die Spieler und Trainer redeten noch nicht so, als wären sie bei der UNO, sprachlich gecoacht und ästhetisch völlig auswechselbar gestylt – erkennbar nur noch an der Frisur. Beckenbauer hatte die besondere Fähigkeit, laut in die Kamera zu denken.

Béla Réthy vom ZDF kann das auch noch, mit seiner sympathischen kehligen Stimme und seiner besonnenen Art. Er war seit 1986 bei allen Weltmeisterschaften für das ZDF dabei und hat jeweils drei Endspiele bei einer WM (2002, 2010, 2018) und bei einer EM (1996, 2004, 2012) kommentiert. Und am Mittwoch das Halbfinale Frankreich gegen Marokko. Es war sein 66. Geburtstag und sein letzter Einsatz. Und später im Studio ein Abschied unter Tränen.

Als die schlimme WM in Katar begann, sagte er: »Auch wenn Sie vielleicht nur heimlich kucken, geht es heute los.« Réthy hatte die Ruhe weg, während seine jüngeren Sportreporterkolleg*innen schreien und und delirieren, als wären sie im Radio. Das ist das schwere Erbe des Privatfernsehens, wo immer das Augenscheinliche rausgebrüllt wird. Besonders abstossend Tom Bartels von der ARD beim Finale 2014 (»Mach ihn, mach ihn, er macht ihn, Mario Götze! Das ist doch Wahnsinn!«).

Er habe versucht, »alle zu unterstützen und alle auch irgendwie mitzunehmen«, sprach Réthy ein Schlusswort in eigener Sache. Sein Co-Kommentator Sandro Wagner verabschiedete sich mit einer Verneigung: »Danke, Vorbild. Danke, Legende«. Vorher hatte er ihn gefragt, was für eine Art Trainer er wäre, wenn er eine Mannschaft trainieren müsste. Réthy antwortete: »Ein Umschaltspiel-Trainer, das ist am einfachsten.« Wagner brummte etwas zweifelnd. Er ist übrigens ein guter Mann. Er schreit nicht so rum und erkennt sehr viel. Das ist der neue Fußball. Den gibt es wirklich.

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