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Die Frauen sind mutiger

Bei der Schnellschach-WM sorgen iranische Spielerinnen und Spieler für politischen Zündstoff

Sara Khadem verzichtete an Tag eins der Schnellschach-WM in Almaty auf das Tragen eines Kopftuchs.
Sara Khadem verzichtete an Tag eins der Schnellschach-WM in Almaty auf das Tragen eines Kopftuchs.

Eine Weltmeisterschaft in der Zeit rund um die Weihnachtsfeiertage und Silvester zu terminieren, dafür waren bislang nur die Darts-Verbände bekannt. Mit Erfolg: Die Einschaltquoten steigen seit Jahren, und das Werfen der Pfeile wird immer häufiger als seriöser Sport angesehen. Der Schachweltverband Fide hatte offenbar ähnliche Pläne, als er dazu überging, die Schnell- und Blitzschach-WM in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr auszutragen. Besonders viel mediale Aufmerksamkeit bekommt die Veranstaltung, die seit Montag in Almaty läuft, jedoch nicht. Anders ist kaum zu erklären, warum gleich mehrere hochbrisante Vorfälle rund um Spielerinnen und Spieler aus dem Iran außerhalb der Schachszene für Aufsehen sorgen.

Repressalien gegen Ali Daei

Der bekannteste Fußballer des Iran, Ali Daei, lässt sich auch durch eine neue Eskalationsstufe der Repressalien nicht als Regimekritiker zum Schweigen bringen. Nach der vereitelten Ausreise seiner Familie am Montag hat er das bizarre Vorgehen der Sicherheitskräfte angeprangert.

Der Rekordnationalspieler hatte sich zuletzt mehrfach kritisch zur Regierung geäußert, nun wurde ein Linienflug von Teheran nach Dubai umgeleitet, sodass Daeis Familie nicht das Land verlassen konnte. »Meine Tochter und meine Frau wurden aus dem Flugzeug geholt, aber nicht verhaftet«, so Daei. Dabei gebe es offiziell kein Ausreiseverbot für sie.

Der frühere Bundesligaprofi (FC Bayern, Hertha BSC, Bielefeld) hatte zuletzt über Drohungen berichtet. Als Grund nannte der 53-Jährige seine Unterstützung der Proteste, die durch den Tod von Mahsa Amini ausgelöst wurden. Sein Reisepass war für kurze Zeit beschlagnahmt worden. Daeis Geschäft und sein Restaurant in Teheran wurden geschlossen. SID/nd

Da wären zunächst die beiden Männer Bardiya Daneshvar und Pouya Idani, die am ersten Tag jeweils den israelischen Großmeister Boris Gelfand als Gegner zugelost bekommen hatten, sich dann aber weigerten, gegen ihn anzutreten. Dieses Verhalten entspricht der mittlerweile Jahrzehnte alten Vorgabe ihrer Regierung, Duellen mit Athleten aus dem von Iran nicht anerkannten Staat Israel aus dem Weg zu gehen. Während viele internationale Sportverbände den Iran für dieses Vorgehen bestrafen und seine Einzelsportverbände suspendieren, wird bei der Fide einfach darüber hinweggesehen. Sie werteten auch in Kasachstan die beiden Partien für die Iraner zwar als verloren, ließen sie danach aber weiter mitspielen.

»Man muss es so deutlich sagen: Dass der iranische Schachverband seine Spieler zwingt, nicht gegen Israelis anzutreten, und die Fide das bei einer Weltmeisterschaft toleriert und die Spieler sogar weiter teilnehmen lässt, ist ein Skandal«, twitterte der Präsident des Berliner Schachverbands, Paul Meyer-Dunker, am Auftakttag der WM erbost. Dabei ist das Problem auch im Schach längst bekannt. Irans größtes Talent Alireza Firouzja verließ 2019 sogar das Land und nahm später die französische Staatsbürgerschaft an, weil er befürchtete, durch die Einmischung seines Verbands Weltranglistenpunkte zu verlieren oder vielleicht sogar gesperrt zu werden. Firouzja erreichte danach als jüngster Spieler überhaupt eine Elo-Zahl von 2800, eine Spielstärke, die nur 14 Spieler jemals erreicht haben.

Seinen beiden früheren Landsleuten Daneshvar und Idani nun Feigheit vorzuwerfen, wäre angesichts der ihnen und ihren Familien drohenden Konsequenzen allerdings auch falsch, vor allem, wenn man bedenkt, dass Daneshvar gerade einmal 16 Jahre alt ist. Feigheit liegt hier eher bei den Verbänden – auch bei der Fide, die dieses politische Problem wie so viele andere einfach aus dem Schach heraushalten will.

Verwunderlich ist das auch wieder nicht, wird die Fide doch immer noch von Arkadi Dworkowitsch als Präsident angeführt. Der Ex-Berater von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin hat im Gegensatz zu vielen anderen Präsidenten von Sportverbänden durchgesetzt, dass seine eigenen Landsleute im Schach weiterhin an Wettbewerben teilnehmen dürfen, wenn auch nicht unter russischer Flagge. Da den Russen die Einreise in viele Länder jedoch wegen des Einmarschs in die Ukraine derzeit verboten ist, gestaltet sich die Suche nach Veranstaltungsorten für große Turniere als sehr schwierig. So war auch zu erklären, dass die Fide die aktuelle WM vor nicht einmal zwei Monaten nach Kasachstan vergab.

Es gibt jedoch auch Signale iranischen Muts aus Almaty zu berichten. Die frühere Vizeweltmeisterin im Schnell- und Blitzschach, Sarasadat Khademalsharieh, die von den Schachfans nur Sara Khadem genannt wird, tauchte am Montag ohne Kopftuch im Baluan-Sholak-Sportpalast auf. Auch wenn sie den Verzicht auf den Iranerinnen vorgeschriebenen Hidschab bislang nicht näher erläuterte, sehen die allermeisten Beobachter darin einen Protest gegen die eigene Regierung oder zumindest eine Solidaritätsbekundung mit den Demonstrantinnen für mehr Frauenrechte in der Heimat. 

Mit derlei Zuschreibungen sollte man vorsichtig sein. Vor wenigen Monaten war die Sportkletterin Elnaz Rekabi bei einem Wettbewerb in Südkorea ohne Kopftuch angetreten. Alle Welt feierte sie für ihren Mut, auch wenn sie den Verzicht danach mit Zeitdruck in einem in der Tat chaotischen Wettbewerb begründete. Diese spätere Klarstellung solle auf Druck des Regimes erfolgt sein, wetterten Kritiker – auch das nicht grundlos, kam das doch schon häufig vor im Iran. So oder so wurde Rekabi allein durch die internationale Aufmerksamkeit in Gefahr gebracht.

Bei Sara Khadem dürfte die Lage jedoch klarer sein: Schon vor drei Jahren hatte sie sich erstmals gegen das Regime aufgelehnt, als sie sich mit Alireza Firouzjas Entscheidung solidarisierte und von der iranischen Regierung Reformen einforderte. Wenige Monate später trat sie selbst mit der Begründung aus dem Nationalteam zurück, dass »sie mich nicht in Ruhe arbeiten lassen. Sie verstehen einfach nicht. Niemand hat das Recht, mir zu sagen, wo ich hin oder wo ich bleiben soll.« Daraufhin wurde Khadem nach Angaben der ebenfalls emigrierten Schachschiedsrichterin Shohreh Bayat mit einem Einreiseverbot bestraft. Später schloss sich Khadem jedoch wieder dem iranischen Team an und spielt auch in Almaty für die Islamische Republik.

Die nun aufgeflammten Proteste und die überharten Antworten des Regimes in der Heimat haben die Schachspielerin nun offenbar abermals zum Umdenken gebracht. Ob sie mit ihrem nicht einmal ein Jahr alten Baby wieder in den Iran zurückkehren wird, ist mehr als ungewiss.

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