Unräumbar werden

Die Unterstützung für den Erhalt von Lützerath wächst. Tausende demonstrieren bei einem Dorfspaziergang

Mitte November in Lützerath, mehr als 2000 Menschen sind zu einer Demonstration für den Erhalt des Dorfes gekommen. Die Demonstrant*innen wissen, dass es bald ernst wird für das Örtchen in Nordrhein-Westfalen und seine Besetzer*innen. Trotzdem herrscht sowas wie Festivalstimmung. Musik schallt von der Bühne und aus den Reihen der Demoteilnehmer*innen. An vielen Stellen im Ort sind Essensstände aufgebaut, der Duft nach Fritten erfüllt die Luft um einen besetzten Bauernhof.

Ganz anders ist die Stimmung Anfang Januar. Seit vergangenem Montag rückt die Polizei auf Lützerath vor. Barrikaden am Rande des Ortes wurden geräumt. Der Energiekonzern RWE baut eine provisorische Straße um das Dorf. Sie soll dazu dienen, Lützerath einfacher abzuriegeln. Ab Dienstag darf sich niemand mehr legal dort aufhalten. Es gilt ein Betretungsverbot. Die Besetzer*innen sind seit Tagen in Alarmbereitschaft und beobachten die Bewegungen von Polizei und RWE genau. Mehrfach gab es Befürchtungen, die eigentliche Räumung des Dorfes könne früher beginnen. Ihre Tage verbringen viele damit, zu versuchen, sich den Arbeiten von RWE in den Weg zu stellen oder neue Barrikaden zu errichten. Bisher reagiert die Polizei größtenteils zurückhaltend auf die Aktivist*innen. Es geht ihr wohl auch darum, Bilder von Polizeigewalt zu verhindern. Bei den Besetzer*innen ist die Bandbreite der Stimmungen groß. Manche sprechen von wachsender Furcht, je näher die Räumung rückt. Andere verbreiten wütende Entschlossenheit. Sie verweisen auf die Unterstützung für die Besetzung und das Ziel, Lützerath unräumbar zu machen.

Dieses Ziel unterstützen am Sonntag mehrere tausend Menschen, die zu einem Dorfspaziergang nach Lützerath gekommen sind. Schon vor dem eigentlichen Spaziergang versammelten sich etwa 1000 Menschen, um mit Eva Töller und Michael Zobel, die mit ihren Waldführungen im Hambacher Forst einige Bekanntheit erlangten, gemeinsam von Holzweiler aus nach Lützerath zu gehen. Auf dem Weg spricht Zobel davon, dass es eine »beispiellose Hetze« gegen die Klimabewegung gebe. Der Staat verschwende Millionen für sinnlose und schädliche Polizeieinsätze, statt für einen klimagerechten Umbau der Gesellschaft zu sorgen. Zobel versprüht aber auch Zuversicht. Die Stimmung in Lützerath, die Menschenmassen, die unterwegs sind – das erinnert ihn an den Hambacher Forst und den dortigen Erfolg.

Die Unterstützung für die Besetzung Lützeraths wächst derzeit von Tag zu Tag. Schon am Samstag sind mehr als 500 Menschen in dem Dörfchen. Die meisten wollen sich der Räumung in den Weg stellen. Eine der neuen Bewohner*innen ist die Linke-Bundestagsabgeordnete und NRW-Landeschefin Kathrin Vogler. Sie sagt am Sonntagmittag gegenüber »nd«: »Ich ziehe jetzt hier ein.« Sie wolle sich »den Baggern in den Weg stellen« und gemeinsam mit vielen anderen versuchen, für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zu kämpfen. Auch auf juristischem Weg versucht Vogler, die Räumung zu erschweren. Beim Verwaltungsgericht Aachen hat sie einen Eilantrag gegen die Allgemeinverfügung des Kreises Heinsberg eingereicht, die ab Dienstag jede Versammlung untersagt. Vogler ist der Auffassung, »dass man mit dem Ordnungsrecht nicht einfach das höherrangige Grundrecht der Versammlungsfreiheit aushebeln kann«. Gelänge es der Bundestagsabgeordneten, die Allgemeinverfügung zu kippen, wären auch zukünftig Versammlungen wie die noch bestehende Mahnwache in Lützerath möglich.

Der Dorfspaziergang geht am Sonntagachmittag in einen Auftritt der Kölner Band AnnenMayKantereit über. Auch während ihres Konzerts werden immer wieder die Rufe laut, den Kohleabbau zu stoppen. An anderer Stelle graben Aktivist*innen Gräben aus oder schichteten Barrikaden auf.

Zeichen für eine Entspannung gibt es indes nicht. Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur von den Grünen hatte zuletzt betont, dass an der Räumung kein Weg vorbeiführe. Die Kohle unter Lützerath werde gebraucht, um die Energieversorgung sicherzustellen.

Dieser Argumentation widersprechen mehrere Gutachten, unter anderem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Bis die Kohle unter Lützerath wirklich in Anspruch genommen werden kann, werden nach Schätzungen außerdem noch drei Jahre vergehen. Von RWE wird in jüngster Vergangenheit auch seltener die energiewirtschaftliche Notwendigkeit der Abbaggerung Lützeraths betont, sondern eine gefährdete Standsicherheit des Dorfes. Die Abbruchkante des Tagebaus sei so nah an den Ort herangerückt, dass er in das Kohleloch abzusacken drohe. Eine Argumentation, die der Kohlekonzern bei der Räumung des Hambacher Forstes 2018 schon ähnlich anbrachte. Der Wald steht heute noch.

Ab Mittwoch ist damit zu rechnen, dass die Polizei mit der tatsächlichen Räumung Lützeraths beginnt. Verschiedene Gruppen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung haben dagegen ihren Widerstand angekündigt. Am kommenden Samstag soll eine Großdemonstration nach Lützerath führen.

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