Celine Dion: Behandelt sie wie eine Grande Dame!

Celine Dion schafft es nicht auf eine Liste der »größten Sänger*innen aller Zeiten«. Ihre Fans zeigen sich empört von der Missachtung.

Pünktlich zum Jahresanfang lieferte das US-amerikanische Magazin »Rolling Stone« eine 200 Personen umfassende Liste der »größten Sänger*innen aller Zeiten« – und sorgte damit ungewollt für den ersten Pop-Shitstorm 2023. Fans kritisierten das Musikmagazin, dass Pop-Sängerin Celine Dion aus dem »Best of« ausgeklammert wurde. Das könne nicht sein, beklagten sie – und die Pop-Empirie ist auf ihrer Seite.

Seit den frühen 1990er Jahren wird Dion immer wieder als eine der besten Sängerinnen der Welt gehandelt – und ist dazu auch eine der erfolgreichsten. Mit ihrem Plattenabsatz schafft sie es locker in die Top 20 der Stars mit den meistverkauften Tonträgern. Dazu gab es einen Oscar für den Titanic-Filmsong »My Heart Will Go On« und eine eigene Konzertshow im legendären Colosseum im »Caesars Palace Hotel & Casino« in Las Vegas, die 16 Jahre lief. In den 1980ern hatte Dion noch den eher piefigen Songwettbewerb Grand Prix d`Eurovision gewonnen und verwandelte sich danach scheinbar mühelos zum internationalen Weltstar. Das schafft man nicht, wenn man einfach nur nett und adrett ist – dafür muss man liefern. Und das tat Dion immer zuverlässig.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Neben einigen wenigen Stars wie Shakira und Gloria Estefan ist Dion zudem auch eine der wenigen Sängerinnen, die in direkt zwei Gesangssprachen (französisch und englisch) global zum Superstar wurde. Gesangstechnisch sei sie mit ihrer Stimme, die locker fünf Oktaven umfasst, fast schon zu perfekt, wurde ihr oft vorgeworfen – als sei es ein Vergehen, sich glatt und geschmeidig durch den eigenen Songkatalog zu singen. Und glatt und geschmeidig ist auch Dions Lebensstil schon immer gewesen: Wie eine Grande Dame bewegte sie sich elegant und fast schon unauffällig im Theater des Showbusiness: skandalfrei und diszipliniert.

Wer aber jemals dachte, Dion sei eine langweilige Technikerin gewesen, der hat sich wahrscheinlich noch nie einen ihrer TV-Auftritte angesehen, von denen viele ikonisch und einige auch unfassbar lustig sind. Einträge eines Telefonbuchs singen, und zwar auf der Melodie von »I Will Always Love You«, eine Episode von »Carpool Karaoke« in einen Klassiker verwandeln – Dion war im Laufe ihrer Karriere für allerlei Schabernack zu haben. Sie konnte sich selbstironisch schon immer gut auf die Schippe nehmen. Zeugnis davon ist auch die unterhaltsame Filmbiographie über Dion, die 2021 in die Kinos kam. Zwar operiert das skurrile Werk, in dem Schauspielerin und Regisseurin Valérie Lemercier das merkwürdige Kunststück vollbringt, Dion im Alter zwischen fünf und über 50 zu spielen, unter dem Titel »Aline«. Aber die Sängerin muss den Segen der Sängerin für das Projekt gegeben haben, schließlich wurde nicht nur die Lebensgeschichte Dions, sondern auch ihr Songkatalog für den Soundtrack freigegeben. Dion wird diesen Film gesehen und freigegeben haben – und allein das spricht für einen Humor der Extraklasse.

Für die Anerkennung der Kritiker*innen reichte all das oft nicht. Dion ist eine der Sorte Sängerinnen, die man trotz ihres phänomenalen Erfolgs in der Mainstream-Musikbewertung leicht übergehen kann: Nicht edgy genug, nicht auffällig genug, nicht sexy im Sinne des »Male Gaze«, sondern im Gegenteil zu sehr ausgestattet mit Massen an weiblichen und queeren Fans, denen man schon immer einen fragwürdigen Geschmack attestierte. Das reichte schon immer, um Künstler*innen musikalisch nicht ernstzunehmen.

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Dass sich jetzt großflächig und laut Kritik an der Ignoranz des »Rolling Stone« formierte, mag auch daran liegen, dass Dion erst im Dezember letzten Jahres eine bittere Nachricht für ihre Fans hatte: Sie sei am seltenen Stiff-Person-Syndrom erkrankt und müsse ihre für 2023 geplanten Bühnenshows absagen, verkündete sie den Tränen nah in den Sozialen Medien. Außerdem deutete sie an, dass es unklar sei, ob sie jemals wieder wie gewohnt auftreten könne, da die neurale Erkrankung auch ihre Stimme beeinträchtige und sie nicht mehr so performen könne, wie sie es gewohnt sei. So fasste es eine Twitter-Nutzerin aus den USA zusammen: »Weniger als einen Monat, nachdem Celine Dion mit ihrer gesundheitlichen Einschränkung an die Öffentlichkeit gegangen ist, ist sie von der Liste der besten Sängerinnen aller Zeiten des Rolling Stone gestrichen worden.« Und weiter: »Ekelhaft.«

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