Nicht alles gefällt? Na und, ist doch gut so

Ehemaliger Dresdner Oberbürgermeister und Wende-Zeitzeuge Wolfgang Berghofer wird 80

Nein, er wird nicht totgeschwiegen, wie er er selbst vermutet. War er doch etwa dieser Tage wieder einmal bei »Riverboat« im MDR zu sehen und zu hören. Auch in dieser Zeitung kam er mehrfach zu Wort. Offenbar möchte man doch an seinen Erfahrungen, Erlebnissen und Erkenntnissen vor allem aus turbulenten, dramatischen Umbruchsmonaten in der DDR teilhaben und ist ebenso neugierig auf seine Meinung und Kommentare zu aktuellen Geschehnissen. Wolfgang Berghofer hat viel zu erzählen. Sein sensibles Gespür für Stimmungswandel und Stimmungsmache sowie sein analytischer Blick sind in aufgeregten, geradezu hysterischen Zeiten zu schätzen. »Gewiss, nicht alles wird allen gefallen«, urteilt er über seine öffentlichen Interventionen. Aber: Ist das nicht auch gut so?

Er war der »Bergatschow« von Dresden. Dies hatte der am 25. Februar 1943 mitten im Krieg in Bautzen Geborene, dessen Erziehung sich Mutter und Großmutter geteilt hatten, nicht ahnen können – trotz oder gerade wegen einer geradlinigen Karriere in der DDR vom Beststudenten an der Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« am Bogensee über den FDJ-Zentralrat bis schließlich ins Amt des Oberbürgermeisters der einstigen Residenzsstadt der sächsischen Könige. In der Metropole an der Elbe entwickelt er sich zu einem Typus von Funktionär, der ihn von vielen anderen im kleinen Ländle DDR unterscheidet. Er hat Gehör für die Nöte der Arbeiter in den volkseigenen Betrieben und ebenso für die Sorgen der Intellektuellen und Künstler. Und ist dann doch überrascht, wie der Unmut der Bürger über die Sturheit einer reformunwilligen Partei- und Staatsführung sich auch in seiner Stadt entlädt. Es kommt zu einer explosiven Situation rund um den Hauptbahnhof in Dresden, nachdem Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989 in der Prager Botschaft den dort campierenden DDR-Bürger die Ausreise verhieß und eine selbstgefällige, den Ernst der Lage noch immer verkennende Riege alter Männer in Berlin beschließt, die Züge durch DDR-Gebiet in den Westen fahren zu lassen. Eine politische Fehlentscheidung, über die sich Berghofer bis heute wundert und ärgert. 

Nein, er ergreift nicht die Initiative. Es sind Kirchenvertreter, die nach dem 7. Oktober, »als wir noch den Sieg des Sozialismus feierten und das Volk längst beschlossen hat, nicht mehr mit uns« (Berghofer), den OB aufsuchen, um die gewaltschwangere Konfrontation von Demonstranten und bewaffneten Ordnungskräften aufzulösen. 2000 friedlich protestierende Menschen sind am 8. Oktober auf der Prager Straße eingekesselt. Berghofer sucht das Gespräch mit der Gruppe der 20, einer Abordnung der Demonstranten. Es gelingt, die Lage zu entkrampfen.

Ja, beteiligt gewesen zu sein, ein Blutvergießen im Herbst ’89 zu verhindern, bleibt ein Verdienst von Berghofer. Sein mit 19 Lenzen erworbenes Parteibuch der SED gibt er aber alsbald ab. Seine Intention, sich der jungen ostdeutschen sozialdemokratischen Partei anzuschließen, wird von deren Gründern vereitelt. Berghofer, nunmehr parteipolitisch heimatlos, wechselt in die Privatwirtschaft. Als Oberbürgermeister eines wissenschaftlich-technischen und industriellen Zentrums der DDR hatte er zahlreiche Begegnungen mit bundesdeutschen Managern, weiß wie sie ticken, hat Einblicke in deren Geschäftsgebaren gewonnen. Ein Vorteil gegenüber anderen DDR-Bürgern, die nach 1990 ebenso ihr Heil im freien Unternehmertum erhofften. 

Ja, als Gesprächspartner ist Berghofer nach wie vor gefragt, auch wenn er dies offenbar anders wahrnimmt, wie seinem neuen, just aus der Druckerei gekommenen Buch »Zwischen Wut und Verzweiflung« zu entnehmen ist. Man wünscht sich, dass der sich selbst »grimmiger Optimist« nennende Zeitzeuge und Zeitgenosse gelassen und geistreich weiterhin einmischt in aktuelle Debatten, die vorwärtsweisend sein mögen – in diesen wirren Zeiten, in denen es ob Kriegen und Klimakatastrophe tatsächlich ums Überleben der Menschheit geht. 

Hat der eiserne Fan des 1. FC (Eisern) Union gewiss eben noch den famosen Sieg der Berliner Elf über Ajax Amsterdam ausgiebig gefeiert, darf er sich an diesem Wochenende in fröhlicher Fortsetzung von Familie und Freunden feiern lassen. Berghofer tritt am Samstag in sein neuntes Lebensjahrzehnt. 

Am 9. März stellt Berghofer sein Buch »Zwischen Wut und Verzweiflung« (Edition Ost, 256 S., br., 18 €) im Kino Toni vor, 18 Uhr, Antonplatz 1, 13086 Berlin.

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