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  • »Ulysses Jenkins: Without your Interpretation«

Musealisierte Kämpfe

Als einer der ersten Medienkünstler übte der Afroamerikaner Ulysses Jenkins scharfe Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen der USA. Nun ist sein Werk in Berlin zu sehen – und macht melancholisch

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Medienkritik mit Pistole: Ulysses Jenkins 1979 während einer Performance in Los Angeles
Medienkritik mit Pistole: Ulysses Jenkins 1979 während einer Performance in Los Angeles

Im weißen Westen interpretiert man, zumindest seit der flächendeckenden Christianisierung, sehr gerne Welt und Mensch. Dabei heißt Interpretation, wenn auch unerlässlich, auch, man vermutet einen Hintersinn, weiß es besser, ohne danach handeln zu müssen, schafft einen Blick, der festkrallt, unterstellt. »Without your Interpretation« lautet der Titel einer großen Werkschau des afroamerikanischen Medienkünstlers Ulysses Jenkins: Kuratiert von Erin Christovale und Meg Onli zeigt Julia Stoschek, die als Erbin eines im Nationalsozialismus gewachsenen Vermögens seit Längerem Milliardärin, Sammlerin und Kunstwohltäterin ist, in ihrem Ausstellungshaus in Berlin-Mitte wichtige Werke des 1946 in Los Angeles geborenen »Video Griot«. Griots nennt man berufsmäßige Geschichtenerzähler und Sänger in afrikanischen Gemeinschaften, die als Medium den Menschen ein Bild von sich, ihrer Zusammengehörigkeit, ihren Konflikten geben.

Und so wirkte Jenkins anfänglich vor allem aus den Räumen heraus, die einen kritischen Zusammenschluss Gleichgesinnter erleichtern und einem Werkzeug überlassen, mit dem man erst mal anstellen kann, was man will: Kunst-Unis. Etwas vorinterpretiert zu kriegen, Blicke zu bestätigen, kommode Unterhaltung schaffen, das wollte man nicht. In der berühmten Arbeit »Two Zone Transfer«, die mit den Kommilitonen Kerry James Marshall, Ronnie Nichols und Greg Pitts am Otis College 1979 entstand, schauen wir in einen Traum, den Jenkins inszeniert: Anzugträger mit Fratzenmasken, die an Nixon oder Gerald Ford erinnern, allerdings geblackfaced sind, verlangen marktgängige Unterhaltungskunst von Schwarzen. Jenkins spielt nicht mit, verwandelt sich, trägt bald das Kostüm eines Pfarrers und predigt gegen Sklaverei, singt dann in Gestalt von James Brown und gibt so diskursiv wie künstlerisch Contra. Er und seine Mitstreiter wollen Bilder schaffen, die den Erwartungen eines weißen, konservativen Blicks widersprechen. Bilder, in denen Ausbeutung nicht mehr selbstverständlich ist und der Rückzug ins kleine bis auf die Zähne bewaffnete Privateigentum keine Option.

Das Watts Festival, initiiert nach den Aufständen in einem gleichnamigen Viertel in Los Angeles, denen rassistische Polizeigewalt vorausging, hat Jenkins in den Jahren 1972 und 1973 ausführlich dokumentiert. Er zeigt Konzerte, führt Interviews. So übt Jenkins eine explorative Kritik der Verhältnisse, Geschlecht und Rasse stehen dabei im Fokus, durch Zweckentfremdung von Gerät, das den Massenmedien dazu dient, Menschen mit schlechtem Alltag abzuspeisen, in dem es ihnen Bilder vor den Latz knallt, die stumpf und zufrieden machen. In der Videoarbeit »Inconsequential Doggereal« von 1981 wechseln sich Bilder von politischem Protest ab mit generisch runtergeratterten Nachrichtensendungen, die wie nebenbei von Inflation und Armut berichten. Sie werden abgelöst von kitschigen Aufnahmen eines Schmusepärchens, gehen über in Sport. Immer wieder zeigt die Kamera Jenkins selbst, der sich nackt und ohne Aufgabe zwischen die vorgeformten Bilder schiebt und irritiert. Die Theoriearbeit, die Jenkins in Vorbereitung seiner Performances und Videos geleistet hat, wird in der Ausstellung auch dokumentiert: »Der Inhalt meiner Arbeit ist didaktisch und besteht aus vielen Schichten: ist experimentell, dokumentarisch und narrativ. Meine Struktur aber ist Doggereal; ist Kontemplation. (…) Dieser schöpferische und einzigartige Dialog: Mein Doggereal: wo Metaphern sich ausdehnen und fragen nach sich selbst und nach uns stellen; nach der Welt, in der wir leben.« Dieser unübersetzte Begriff, der für Jenkins wichtig ist, bezeichnet in der englischsprachigen Lyrik Unregelmäßigkeiten in Rhythmus und Reimform, die Komik hervorruft: bewusste, zumindest zugelassene Fehler im System, wo etwas Ungebändigtes durchbricht, das nicht in Bild oder Strophe passt. Mit der Zeit bekam Jenkins für diese Experimente Räume: Im Zuge einer Reihe von Open-House-Events, die er während eines Aufenthaltsstipendiums veranstaltete, schuf er »Virtual Rituals« und baute einen »Talking Hut«, in dem afrikanische Architektur mit Videocollagen zusammenkam. Ein andermal schickt er Tänzerinnen und Tänzer in Museen, um sich vor höheren Objekten zu verrenken; die titelgebende Performance »Without your Interpretation« war ein Konzert in Downtown Los Angeles mit schrillen Kostümen und Jimi-Hendrix-Reverenz.

Auf einem Bildschirm in einem kleinen Raum der Julia Stoschek Collection spaziert und parliert der Theoretiker Eugene Youngblood vor sich hin. Der schrieb 1970 ein Buch mit dem Titel »Expanded Cinema«, was man mittlerweile als Betätigungsfeld an Kunsthochschulen studieren kann. Sinngemäß sagt er, dass Kommunikation stets in einem präexistenten Kontext stattfindet, dieser Kontext wiederum die Bedeutung dessen bestimmt, was kommuniziert wird. Die Julia Stoschek Collection als umfunktionierter Bau (ehemals war das tschechoslowakische Kulturzentrum darin beheimatet) im Niemandsland Berlin-Mitte kontextualisiert Jenkins’ Werk selbstredend auf ihre Weise. Das, was einst als Community-Action (oftmals im Freien) als Sabotage sich abzeichnender Mediengewohnheiten entstand, wird in den entkernten Räumen fragmentiert, teils hinter Vorhängen versteckt, zu einer begehbaren Geschichte von Widerstand gemacht, die man sich anguckt und gut ist. Das führt zu Symptomen linker Melancholie. In dem Film »Dream City« (1981), der im großen Kinoraum gezeigt wird, fällt der Satz: »In the time to show change, it happened.« Diese Lektion sucht einen bei jeder ästhetischen Erfahrung zeitbasierter Kunst heim, die mehr will als Sedierung. Sitzt man aber vor der großen Spiegelwand in Frau Stoscheks Sammlung auf einem gemütlichen Sessel, der auf pastellrosa Teppichboden platziert ist, und lauscht dabei Jenkins’ Musik mit Blick auf Himmel, Platte und die Billardbar im Hotelgebäude gegenüber, fällt es schwer, wo Jenkins in seinem Stück von Unterdrückung und Grausamkeit singt, die von ihm eingeforderte Gegenkraft nicht mehr nur als Zitat zu verstehen. Denn in der Gegenwart versteht man sich darauf, die Kämpfe der Vergangenheit auszubezahlen und zu musealisieren.

»Ulysses Jenkins: Without your Interpretation«, bis zum 30. Juli, Julia Stoschek Collection Berlin

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