Oscar-Favoritin Cate Blanchett: House of Tár

Cate Blanchett gibt in »Tár« eine übergriffige Dirigentin, die nur eines ist: eiskalter Machtmensch

Lydia Tár (Cate Blanchett) auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Und von da an geht es schnell bergab.
Lydia Tár (Cate Blanchett) auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Und von da an geht es schnell bergab.

Es gibt eine Szene in Todd Fields Musik-Drama »Tár«, die stellvertretend für die Idee des Films steht. Die brillante Dirigentin Lydia Tár (Cate Blanchett) spielt mit ihrer Tochter Petra (Mila Bogojevic) eine Orchesterszene nach. Das Kind hat in seiner grenzenlosen Naivität jedem Kuscheltier einen Taktstock verpasst, woraufhin Tár entsetzt entgegnet: »Orchester sind doch keine Demokratie!«

Todd Field, der das letzte Mal vor 16 Jahren einen Film drehte (»Little Children«) und bisher mit jeder seiner raren Regiearbeiten (»In the Bedroom«, »Little Children«, »Tár«) und seinen Drehbüchern für einen Oscar nominiert war, hat mit »Tár« einen hochgradig ambivalenten, umstrittenen, handwerklich perfekten Film gedreht. Von einem anspruchsvollen Regisseur erwartbar. Anspruchsvoll, weil mehrere seiner Filmideen in der Tonne landeten, weil er sie nicht so umsetzen durfte, wie er wollte. Genauso vorhersehbar sind die sechs Oscar-Nominierungen für »Tár« (unter anderem Cate Blanchett als beste Hauptdarstellerin, Todd Field für Regie und Drehbuch).

Dabei ist der Einstieg in den Film brutal abschreckend, weil so hermetisch hochkulturell. Wir schauen lange 15 Minuten dabei zu, wie Tár, erste Dirigentin der Berliner Philharmoniker überhaupt, vom New-Yorker-Magazin zu ihrem neuesten Geniestreich befragt wird, der 5. Symphonie Mahlers, die sie aufführen will. Eine viertel Stunde; und wer sich weder für Kunst noch für klassische Musik interessiert, sitzt hier halbwegs lost vor Társ Ausführungen zur Rolle der Bedeutung der Wichtigkeit von Kunst und hört dieser unglaublich tiefen, autoritären, wissenden Stimme Blanchetts zu – allein das ist ein Erlebnis.

Dann wird der Film zugänglicher, erzählt von einer Frau, die es bis ganz nach oben geschafft hat. Mit allen wichtigen Auszeichnungen der Musikwelt bedacht, will Tár die erste Dirigentin werden, die den kompletten Zyklus Mahlers in ihrem Repertoire hat, nur die 5. Symphonie fehlt noch. Nebenbei hat sie ihre eigene Biografie geschrieben – nicht ohne Ironie heißt sie »Tár über Tár«. Es ist klar, diese Frau ist dort angekommen, wo es (kaum) jemand wagt, sie infrage zu stellen.

Ihre weit geschnittenen Hemden, die sie sehr männlich wirken lassen, sind von einem feinen Berliner Schneider maßangefertigt, ihre langen, strähnigen Haare sind streng nach hinten gekämmt. Schulkameradinnen ihrer Tochter stellt sie sich als Vater vor. Eine kleine, irritierende Szene, die aber so viel über die Dominanz männlicher Ikonen in ihrer Branche erzählt. Die Restaurants, in denen Tár und ihre Entourage dinieren, so exquisit, dass wohl die Stoffservietten teurer sind als mancher Menschen Kleiderschrank. Dieses distinguierte Leben lebt Tár in einer ausgesprochen selbstverständlichen Routine vor sich hin, dass absehbar ist, dass die alsbald Risse bekommt.

Lydia Tár, eine Frau und lesbisch, unterscheidet sich nicht von anderen Menschen mit Macht. Denn, das ist Fields These: »Macht (-missbrauch) hat kein Geschlecht«. Schicht um Schicht legt Field von einem Charakter frei, der manipulativ, egomanisch und besessen von Erfolg ist – und dafür über andere, von ihr abhängige Menschen, nach Belieben hinwegfegt; Tár ist die Frank Underwood der klassischen Musik.

Dem Film wird vorgeworfen (unter anderem von der berühmten lesbischen Dirigentin Marin Alsop), rassistisch, misogyn und queerfeindlich zu sein, weil er vertusche, dass Machtmissbrauch in der Kunst aus einem rein männlichen Netzwerk von Unterdrückern hervorgeht, die ihre Allmachtsfantasien ausleben und ihre Alpha-Stellung bewahren wollen. Anlass dieses Vorwurfs ist eine Szene, in der Tár den Schwarzen pan-sexuellen Musik-Studenten Max (Zethphan Smith-Gneist), der sich weigert, den alten cis-Proll Bach zu spielen, nach allen Regeln der Kunst niedermacht. Es stimmt, Társ Sicht ist im Film die dominante Perspektive. Die Kritik würde stimmen, hätte Field den Fehler gemacht, Lydia Tár auch nur eine Sekunde als (sympathische) Frau zu inszenieren. Weil er sie aber als eiskalte, berechnende, aber im Kern unsichere, eigentlich geschlechtslose, Karrierefigur zeigt, die an der Hybris zerbricht, für Menschen mit ihrem Weltrang würden keine moralischen Grundsätze gelten, funktioniert dieser Vorwurf nicht. Tár selbst hat eigentlich keine Identität, die hat sie sich abtrainiert.

Der Film erzählt von der besessenen Lydia Tár (eigentlich Linda Tarr, ein ungarischer Name, dessen scheinbare Plumpheit sie ablegte und gegen einen schicken Accent auf dem »a« tauschte), die es mit eiserner Disziplin aus der Arbeiterklasse von Staten Island nach ganz weit oben geschafft hat und die unfähig ist, die Welt außerhalb ihrer hochintellektuellen, aristokratischen Klassik-Bubble wahrzunehmen (sie kennt Clara Zetkin nicht); eine Person, die sich jeglicher progressiv orientierter Debatte mit erhobenem Haupt verweigert, weshalb diese sie schließlich eiskalt von hinten erwischt.

Ihre Tirade gegen den BIPoC-Studenten wird natürlich gefilmt und verbreitet sich in Windeseile in den sozialen Medien, was sie (neben anderen toxischen Verhaltensweisen) ihr hart erarbeitetes Renommee kosten wird. In mehrfacher Hinsicht ist Tár am Ende nicht mehr Herr ihrer eigenen Geschichte, und obwohl Field unterstellt wird, er stilisiere seine Hauptfigur zum Opfer, obwohl sie Täterin ist, ist das Drehbuch doch zu keiner Zeit auf Lydia Társ Seite. Den huldigenden Kameraperspektiven von unten (Kamera: Florian Hoffmeister), Társ Exaltiertheit, wie sie das Kinn hebt, wenn sie spricht, wie sie fast schon im militärischen Marsch einen Raum betritt, ihrer aggressiv überspielten Unsicherheit, stellt Field Szenen gegenüber, die all das dekonstruieren; beispielsweise wenn Tár ihrer dementen, hilflosen Nachbarin aufhelfen muss und sie sich danach wie manisch wäscht.

In der für den queeren Studenten entwürdigenden Sequenz geht es Field nicht darum, ein konservatives Statement gegen die angebliche Übermacht der Identitätspolitik zu setzen, sondern die Szene wird von Lydia Társ Angst getrieben. Aus Angst will sie den Studenten zwingen, Bach zu spielen, statt einer zeitgenössischen Komponistin. Nicht in erster Linie, weil sie anderen in grenzüberschreitender Manier die Überlegenheit ihrer altbackenen Weltsicht aufzwingen will, sondern weil sie sich davor fürchtet, ihre hart erkämpfte Autorität aufzugeben, die Kontrolle zu verlieren und sich verletzlich zu zeigen, weil sie zulassen würde, ihr enges Korsett zu öffnen, das streng von den Händen alter, ehrwürdiger Säulenheiliger wie Leonard Bernstein zusammengehalten wird.

Field ist kein Agenda-Regisseur, er seziert nur und zeigt – und das ist schon verstörend genug. Und er hat sich für eine diabolische weibliche Figur entschieden, weil er wusste, wie Blanchett diesen Film dominieren wird. Ohne Blanchetts Zusage wäre auch dieses Drehbuch Fields in der Tonne gelandet, erzählt er in seinen zahllosen Interviews zum Film. Und wahrscheinlich ist das auch die banale Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet eine Frau diesen getriebenen, übergriffigen Charakter geben muss. Blanchett lernte für den Film Bach spielen, auf Deutsch Kinder einzuschüchtern und dirigieren. Eine Besessene und daher die perfekte Besetzung.

Wenn man dem Film eine Schwäche unterstellen kann, dann wohl das Ende. Dieser faserige Schluss, der in starkem Kontrast zum ansonsten überaus stringenten, fast formalistischen Drehbuch steht, wirft einen Schatten auf das, was Field so aufwendig über die Abgründe der Klassikindustrie recherchiert hat. Da landet Tár, ob Traumsequenz oder nicht ist unklar, wie strafversetzt in Asien, und soll dort für ein vermeintlich anspruchsloses Publikum Stücke arrangieren, zu denen die Zuschauer*innen im Cosplay-Outfit erscheinen. Ein Tick zu viel an westlichem Überlegenheitsgestus, selbst, wenn das nur in Társ Kopf stattfindet und deshalb zu ihrem egozentrischen Charakter passen würde. Unnötig für die Botschaft des Films sind diese Szenen so oder so.

Letztendlich aber ist »Tár« ein hoch ambivalenter, ein skandalöser, ein faszinierender Blick in die Abgründe menschlicher Geltungssucht.

»Tár«: USA 2022. Regie und Drehbuch: Todd Field. Mit: Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant. 158 Minuten. Start: 2.3.

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