80 Prozent weniger Regen als üblich

In Frankreich dürfte sich der Wassermangel im Jahr 2023 dramatisch zuspitzen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Januar ist in ganz Frankreich kein Tropfen gefallen, und auch im Februar hat es kaum und dann auch nur in einigen Landstrichen geregnet. Dadurch konnte sich das Grundwasser nicht wie sonst im Winter üblich neu auffüllen. Dabei waren diese Reserven schon zuvor geringer denn je, weil es 2022 den wärmsten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Frankreich gab.

So wird die Wasserversorgung zunehmend zum Problem. Das hat auch Präsident Emmanuel Macron eingeräumt, der beim Besuch der Landwirtschaftsmesse in Paris Anfang März erklärte: »Wir wissen, dass wir mit Problemen der Wasserverknappung konfrontiert sein werden. Um nicht später unter Krisen- und Zeitdruck Konflikte zwischen den verschiedenen Nutzern schlichten zu müssen, sollten wir alles, was damit zusammenhängt, im Voraus planen und organisieren.« Diese Erkenntnis hatte die Regierung schon vor knapp einem Jahr. Für September 2022 kündigte sie einen Nationalen Wasserplan an, doch da dabei wohl zu viele entgegengesetzte Interessen unter einen Hut zu bringen waren, wurde dieser Plan nicht zum Termin fertig. Nun soll er bestenfalls Ende dieses Monats vorgelegt werden. Wie bereits bekannt wurde, soll er etwa 50 Maßnahmen zur Sicherung der Quantität und Qualität des Wassers und zum Krisenmanagement enthalten.

Aber schon jetzt hält die Regierung Krisensitzungen ab und leitet Schritte zur Sicherung der Wasserversorgung im laufenden Jahr ein. So hat der Minister für ökologischen Wandel und Territorialentwicklung, Christophe Béchu, kürzlich die Präfekte der sieben Wassereinzugsgebiete des Landes und dann auch die Präfekte der 13 Regionen zusammengerufen, um mit ihnen die Lage zu analysieren und sie mit ersten Maßnahmen zu beauftragen. Die Situation sei »noch ernster als erwartet«, stellte er im Anschluss fest. In den Regionen Hauts-de-France ganz im Norden sowie Auvergne-Rhône-Alpes, Provence-Côte d’Azur und Okzitanien im Süden seien die Böden heute so trocken wie üblicherweise Ende Mai. Durch die Klimaerwärmung sei die Verfügbarkeit von Wasser je nach Gebiet um 15 bis 40 Prozent gesunken. »In diesem Winter sind die Regenwassermengen bisher um 80 bis 85 Prozent geringer als im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Nicht ein einziges Departement befindet sich innerhalb der Norm«, sagte der Minister. Die Präfekte hat er aufgefordert, schon lange im Voraus Anordnungen zur Einschränkung des Wasserverbrauchs zu treffen. Die Regierung werde ihrerseits den mehrheitlich staatseigenen Energiekonzern EDF und die Binnenwasserstraßeneinrichtung VNF beauftragen, ihre Schritte für die Sicherung eines ausreichenden Wasserstandes der Stauseen sowie der Flüsse und Kanäle zu koordinieren.

Für die Landwirtschaft steht zur künstlichen Beregnung von Ackerflächen kaum noch Oberflächenwasser aus Flüssen oder Bächen und überhaupt kein Grundwasser mehr zur Verfügung. Doch auch für den Bau von Regenrückhaltebecken werden wegen der damit verbundenen Umweltbedenken nur selten noch Genehmigungen erteilt. Darum versucht man auf die Landwirte einzuwirken, beispielsweise bei Mais, Getreide, Zuckerrüben und Kartoffeln möglichst Sorten mit einem vergleichsweise geringen Wasserbedarf anzubauen. Im Obst- und Gemüseanbau und in den Weinbergen sollten die guten Erfahrungen mit der wassersparenden Tröpfchenbewässerung stärker genutzt werden.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Behörden steht indes die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser. Im vergangenen Sommer war sie in etwa 700 Gemeinden gefährdet. Meist war wegen des niedrigen Grundwasserspiegels die Qualität des Leitungswassers besorgniserregend, und in 500 Kommunen musste sogar Trinkwasser in Flaschen verteilt werden. Vielerorts wurde nachts das Leitungswasser abgestellt, damit sich der Grundwasserspiegel erholen konnte.

Im südfranzösischen Departement Var haben einige Gemeinden bereits die Erteilung von Baugenehmigungen für neue Wohnhäuser gestoppt, weil die Wasserversorgung für weitere Einwohner nicht gewährleistet sei. Das löste eine landesweite Debatte aus, denn solche Schritte laufen den Bemühungen zuwider, die Landflucht zu stoppen und vom Aussterben bedrohte Kommunen neu zu beleben.

Große Reserven bestehen bei der Beseitigung von Lecks in Rohrleitungen, durch die heute im Schnitt ein Drittel des Trinkwassers verloren geht. Außerdem könnte mehr Abwasser aufbereitet und genutzt werden. Hier ist Frankreich eines der Schlusslichter in Europa. Das Abwasser, das die etwa 30 000 Kläranlagen des Landes gereinigt verlässt, wird fast durchweg in Flüsse und Bäche geleitet, und nur 77 Anlagen ermöglichen eine Nutzung für die Bewässerung in der Landwirtschaft.

Die verbleibende Zeit für eine Kurswende ist kurz. Eine Entspannung der Lage wird sich nicht so bald ergeben, selbst wenn es in den nächsten Wochen ununterbrochen regnen sollte. Die Zeit der Grundwasserauffüllung, die in mehreren Regionen zwei Monate im Rückstand ist, wird demnächst zu Ende gehen: Im Frühjahr nimmt die neu erwachte Vegetation für ihr Wachstum fast die gesamte Feuchtigkeit auf.

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