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Protest gegen Berliner Groko: Keine Zeit für Rückschritte

Berliner Initiativen wollen mit einer Demonstration die schwarz-rote »Rückschrittskoalition« verhindern

Es ist ein ungewöhnlicher Zusammenschluss in der Berliner Initiativen-Landschaft: Von Kotti und Co über die Initiative Schwarzer Menschen bis zu Omas for Future rufen über 20 Gruppen zu einer Demonstration am Samstag auf. »Rückschrittskoalition stoppen« heißt das erklärte Ziel, denn mit einem schwarz-roten Senat befürchten die Engagierten der Hauptstadt große Rückschritte bei diversen politisch umkämpften Themen. Ob es um Klimagerechtigkeit, die Situation Geflüchteter und migrierter Menschen, repressive Sicherheitspolitik oder Wohnen geht – in all diesen Bereichen kann es aus Sicht der Initiator*innen mit Kai Wegner als voraussichtlichem CDU-Senatschef nur schlimmer werden.

Die Koalition stoppen können aktuell nur noch die SPD-Parteimitglieder, die nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen über den Koalitionsvertrag abstimmen. Deswegen richtet sich die Demonstration, die um 12 Uhr am Hermannplatz startet und bis zum Willy-Brandt-Haus zieht, an die sozialdemokratische Basis. Doch es gehe nicht nur darum, die Regierungsbildung zu verhindern, sagt Lisa Jaspers, Sprecherin des Zusammenschlusses von Initiativen #BerlinZusammen, der die Demonstration organisiert. »Wir sind nicht nur dagegen, sondern wir sagen auch klar, was wir fordern. Es gibt schon viele Lösungsansätze, aber wir glauben nicht, dass unsere Visionen für die Stadt unter einer CDU-Regierung Realität werden können.« Auch wenn sich die Koalition nicht mehr verhindern ließe, könnte die breite Vernetzung ein wichtiger Schritt sein, um dauerhaft Druck aufzubauen.

Jaspers erzählt, wie kurzfristig sich die Demo-Orga zusammengefunden hat. Angefangen habe es nach den Sondierungsgesprächen in einer Telegram-Gruppe mit rund zwölf Mitgliedern, in den vergangenen zweieinhalb Wochen sei sie schnell auf über 400 Menschen angewachsen. »Man hat gemerkt, dass die drohende Groko nachvollziehbare Befürchtungen bei sehr, sehr vielen Menschen erzeugt«, sagt Jaspers. In der Vergangenheit habe Berlin bereits schlechte Erfahrungen mit CDU-Regierungsbeteiligung gemacht. »Wir haben keine Zeit mehr, wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, was die Klimakrise, aber auch den Wohnungsmarkt betrifft.«

Die Zeit, um Berlin klimaneutral zu machen, läuft davon – wenn der anstehende Volksentscheid Erfolg hat, blieben Berlin bis 2030 noch sieben Jahre. Das könnte eng werden, vor allem, wenn ein schwarz-roter Senat bereits beschlossene Maßnahmen wie das Mobilitätsgesetz torpediert. Diese Angst hat Ragnhild Sørensen von der Initiative Changing Cities. Obwohl das Gesetz, das aus einem Volksbegehren der Gruppe hervorging, auch von der SPD stammt, scheint die Partei nicht für die Umsetzung einzutreten. Derweil sende Kai Wegner Signale, das Gesetz schlicht ignorieren zu wollen: »Wenn er sagt, er hat nicht vor, die geschützten Radwege an Hauptstraßen umzusetzen, dann redet er von 800 Kilometern. Dann haben wir kein Radnetz, sondern Stückwerk.« Kümmere sich die künftige Regierung nicht um die Gesetzesumsetzung, müsste man in der darauffolgenden Legislatur wieder bei null anfangen, so Sørensen.

Bedenken bestehen auch bei der Frage, wie es mit dem Tempelhofer Feld weitergeht. Wegners Ankündigung, mit einer Volksbefragung noch einmal die Bebauung zur Debatte zu stellen, steht laut #BerlinZusammen außerdem für fehlenden Respekt gegenüber Partizipationsprozessen und sogar demokratischen Entscheidungen – denn bei einem Volksentscheid 2014 hatte sich bereits eine Mehrheit gegen die Bebauung ausgesprochen. »Man könnte sich darüber freuen, wie viele Berlinerinnen und Berliner es gibt, die ihre Stadt mitgestalten wollen. Aber dann sehen wir, was mit ihrem Willen gemacht wird«, sagt Lisa Jaspers.

Einen schwarz-roten »Rollback« zurück in die 80er Jahre befürchtet Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) und Vorstandsmitglied des Vereins Decolonize Berlin. Pilotprojekte wie die 2019 gestartete Koordinierungsstelle, die sich um eine Aufarbeitung der Berliner Kolonialgeschichte bemühe, stünden nicht auf der CDU-Agenda. »Wir gehen davon aus, dass es Einschnitte geben wird«, sagt Della mit Blick auf die Finanzierung dieses und anderer rassismuskritischer Projekte. Das habe sich besonders deutlich im CDU-Wahlkampf gezeigt: »Der war geprägt von populistischen und zum Teil wirklich rassistischen Themen.« Zwar sei auch die SPD keine treibende Kraft antirassistischer Politik. »Aber Berlin hat sich auf dem richtigen Weg befunden, eine Stadtgesellschaft zu organisieren, die tatsächlich divers ist.«

Die Stimmungsmache gegen migrierte Menschen beunruhigt auch Diana Henniges, Sprecherin von Moabit hilft. Nicht erst seit der Vornamensdebatte nach den Silvesterkrawallen tue sich die Union als Hetzerin hervor; bereits 2019 habe Kai Wegner Seenotretter*innen als »Schlepperhelfer« bezeichnet, erinnert sie sich. »Und der soll jetzt Bürgermeister unserer Stadt werden.« Seine Partei sei zugleich nicht fähig, die Versorgung von Geflüchteten in Berlin zu organisieren, wie sich 2015 unter einer CDU-geführten Sozialverwaltung gezeigt habe. »Damals ist die Situation maximal eskaliert, und das lag durchaus an der CDU«, bezieht sich Henniges auf die dramatische Überforderung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales. Im Vergleich dazu sei es ein großes Glück gewesen, die Fluchtbewegung aus der Ukraine mit einer links geführten Sozialverwaltung zu koordinieren.

Menschenwürdige Standards in den Unterkünften, eine weiterhin lockere Handhabe der Wohnauflage, sodass Geflüchtete aus den Erstaufnahmezentren ziehen dürfen, und Kooperationsbereitschaft mit zivilen Akteur*innen, das wünscht sich Henniges von der künftigen Regierung. Von Wegner erwartet sie das Gegenteil: »In vielerlei Hinsicht wird er unseren Klienten das Leben zur Hölle machen.«

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