Künstliche Intelligenz: Angst-Gegner oder Verbündete?

In der Science-Fiction treten künstliche Intelligenzen schon seit Jahrzehnten auf. Erst allmählich nicht mehr nur als Bösewichte

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.
Mittlerweile tauchen in der Science-Fiction vermehrt Androide, Roboter und künstliche Intelligenzen auf, die um ihre Eigenständigkeit kämpfen.
Mittlerweile tauchen in der Science-Fiction vermehrt Androide, Roboter und künstliche Intelligenzen auf, die um ihre Eigenständigkeit kämpfen.

Nicht wenige Menschen haben Angst vor künstlichen Intelligenzen. Weil sie uns in mancher Hinsicht womöglich überlegen sind, uns gar beherrschen könnten? Oder sind das eher Vorbehalte aus dem Bauch heraus, die nicht selten etwas mit bestimmten Assoziationen in Sachen KI zu tun haben, die auch kulturindustriell durch die Science-Fiction genährt werden? Denn in diesem Genre werden schon seit Jahrzehnten viele der gängigen Ängste gegenüber der Technologie durchexerziert.

Die Vorstellung einer künstlichen Intelligenz, die erst einmal herangereift und, mit genug Daten ausgestattet, plötzlich die Welt beherrschen könnte, findet sich schon im Filmklassiker »Der Rasenmäher-Mann« (1992). Darin schafft es eine KI, sich über das Telefonnetz in alle Datenbanken einzuhacken und am Ende des Films alle Telefone weltweit gleichzeitig klingeln zu lassen. Deutlich drastischer ist der exterminatorische Vernichtungskrieg der Maschinen gegen die Menschen in der Terminator-Filmreihe (seit 1984), wo ein System Namens Cyberdyne an Skelette erinnernde Roboter mit großkalibrigen Laserkanonen bewaffnet über knackende menschliche Schädel laufen lässt. Aber auch in dem Film »Transcendence« (2014) mit Johnny Depp wird von einer sogenannten Singularität, also einer quasi aus sich selbst und einer Datenakkumulation entstehenden KI erzählt, die sich ausbreitet und mittels Nanorobotern versucht, die Welt zu beherrschen.

In der Kulturindustrie wird die Möglichkeit eines digitalen, unabhängigen Bewusstseins meist mit einer kaum hinterfragbaren Selbstverständlichkeit als substantielle Bedrohung für die Menschheit inszeniert. Spannend wird es, wenn dieser Stehsatz durchbrochen wird. Denn es geht auch anders. Der Anime-Science-Fiction-Film »Ghost in the Shell« (1995) erzählt von einer skurrilen Mordserie in einer zukünftigen Welt, bei der Roboter und Androiden ferngesteuert zu Mordwerkzeugen mutieren. Der vermeintliche Bösewicht, der das tut, so stellt sich heraus, ist aber kein Mensch, sondern eine aus Datenverknüpfungen der Sicherheitsapparate selbst entstandene KI, also eine Singularität. Ein nicht beabsichtigtes Nebenprodukt der Sicherheits- und Rüstungsindustrie, gegen die diese nun ankämpft. Der nur teils menschlichen Detektivin, die mit der Verfolgung beauftragt ist, bietet die KI schließlich eine Allianz an, um als neue symbiotische Lebensform gemeinsam gegen den autoritären Herrschaftsapparat zu kämpfen. Die KI ist hier kein allmächtiger Apparat, sondern eine prekäre Lebensform, die keineswegs essenziell alle Menschen bedroht. Vielmehr bietet sie ihrer Verfolgerin in einem Akt subalterner Solidarität an, sich zu etwas Neuem zu verschmelzen, was dann auch geschieht. In der Realfilm-Neuauflage (2017) mit Scarlett Johannsen wurde dieses Ende zugunsten einer individuellen Unversehrtheit der Detektivin verändert, was dem Stoff seiner kritischen Sprengkraft beraubt. Denn im Original-Anime aus den 90ern wird der KI zugestanden, emanzipatorisches Bewusstsein zu entwickeln.

Emanzipatorische Erzählung statt Bedrohung durch Technik

Ähnliches findet sich auch in Dietmar Daths Roman »Venus siegt« (2016), der von sozialistischen Kämpfen zwischen Merkur, Erde, Venus und dem Asteroidengürtel erzählt. Dort sind es vor allem die in Habitaten im Asteroidengürtel siedelnden Roboter, die zusammen mit den widerständigen Menschen gegen die marktkonformen Autoritäten zu Felde ziehen und sozusagen das Rückgrat eines interplanetaren Aufstands bilden. Sogar ein mit Bewusstsein ausgestatteter künstlicher Arm, der die sozialistischen Widerstandskämpfer zwischen den Planeten koordiniert, taucht in diesem Roman auf, der das Thema künstliche Intelligenz auch durchaus ironisch und mit Witz in Szene zu setzen weiß. Dabei ist es so, dass ein wie auch immer geartetes Wesen, das Bewusstsein hat, herrschaftsförmig oder eben auch widerständisch agieren kann. Bewusstsein bedeutet in erster Linie eben auch, eine Wahl treffen zu können. Das setzt der essentiallistischen Vorstellung einer bösartigen KI eine emanzipatorische Erzählung entgegen und konterkariert die häufige Sorge, jede Technisierung müsse zwangsläufig zur Bedrohung mutieren. Dem hatte auch schon Donna Haraway in ihrem »Cyborg-Manifest« (1985) heftig widersprochen.

Mit der Figur des Cyborgs versucht die feministische Theoretikerin, einen »ironischen, politischen Mythos zu entwickeln, der Feminismus, Sozialismus und Materialismus die Treue hält«, wie sie schreibt. Der bei vielen Linken verbreiteten Technikfeindlichkeit erteilt sie eine klare Absage, es gelte vielmehr, sich Technologien subversiv anzueignen. Das setzt Marge Piercy in dem von Haraways Manifest beeinflussten Roman »Er, Sie und Es« (1991) um, in dem die Geschichte eines Cyborgs erzählt wird, der in einer hyperkapitalistischen Zukunft eine unabhängige Gemeinde vor Angriffen durch sich alles einverleibende Konzerne gewährleisten soll. Der Cyborg namens Jod, eine Art technologischer oder digitaler Golem, wird schließlich nicht nur der Geliebte seiner Schöpferin, sondern entwickelt zuweilen sehr menschliche Züge, unter anderem hinsichtlich Ethik und Moral.

Zu Jod gesellen sich in der Kulturindustrie mittlerweile immer mehr Androide, Roboter und künstliche Intelligenzen, die nicht selten um ihre Eigenständigkeit kämpfen. So auch in der Serie »Westworld« (2016–2022), die von einem Vergnügungspark erzählt, in dem sich Gäste an menschlich aussehenden Robotern austoben, sie quälen, vergewaltigen und ermorden. Bis die künstlichen Lebensformen sich organisieren und gegen ihre rücksichtslose Inwertsetzung als Konsumartikel kämpfen und einen erfolgreichen Aufstand machen.

Von einem vielversprechenden Schulterschluss zwischen Mensch und Maschine handelt auch der Film »Vesper Chronicles« (2022), wo in einer postapokalyptischen Welt Androiden mithilfe einer Biotechnologie produziert und wie Sklaven gehalten werden. Der Independent-Film erzählt davon, wie eine Androidin ausbricht und sich mit einer jungen Frau verbündet. Wie sich herausstellt, trägt die Androidin in ihrem Körper den Bauplan resistenter Samen, die sonst nur den reichen Bewohnern bestimmter abgeschotteter Zonen zugänglich sind. Dadurch können Patente gebrochen und Eigentumstitel unterlaufen werden. Lässt man in der Kulturindustrie die künstlichen Intelligenzen erst einmal nicht mehr nur die Weltherrschaft anstrebende Bösewichter, mordende Militärmaschinen oder Polizisten spielen, können sie auch durchaus zu Verbündeten werden, die gegen autoritäre Strukturen ankämpfen. Und von diesen KIs gibt es in der Kulturindustrie langsam immer mehr.

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