Infineon in Dresden: Fünf Millionen pro neuem Job

Spatenstich in Dresden für neue Halbleiterfabrik von Infineon ­– Milliardenförderung von EU erwartet

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Stachel dürfte tief gesessen haben in »Silicon Saxony«. Als im März 2022 der US-Chipriese Intel eine Großinvestition von sagenhaften 17 Milliarden Euro in Deutschland bekannt gab, kam nicht die Halbleiterhochburg in und um Dresden zum Zuge. Den Zuschlag erhielt vielmehr Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg, obwohl die Mikroelektronik dort »ein völlig neues Gebiet« ist, wie selbst der Rathauschef einräumte. Im Anschluss wurde wild spekuliert, was den Ausschlag gegen Dresden gegeben haben könnte. Ein zunehmender Mangel an Flächen? Sorge um die Verfügbarkeit hoch spezialisierter Arbeitskräfte, um die sich Firmen in Sachsen zunehmend reißen? Ein unzureichendes Angebot an grünem Strom, mit dem Intel seine Werke weltweit bis 2030 komplett versorgen will? Mancher stimmte schon einen Abgesang auf den Standort Dresden an.

Dieser freilich darf spätestens seit diesem Dienstag als rehabilitiert gelten. Da erfolgte auf einem Areal im Norden der Stadt, das an das Landschaftsschutzgebiet Dresdner Heide grenzt, der symbolische erste Spatenstich für eine neue Chipfabrik von Infineon. Die »Smart Power Fab« ist die dann vierte sogenannte Fab, die der Konzern in Dresden betreiben wird. Bei dem Vorhaben handelt es sich um die größte Einzelinvestition in der Geschichte des Unternehmens. Fünf Milliarden Euro will dieses ausgeben, rein rechnerisch also fünf Millionen für jeden der 1000 Arbeitsplätze, die einmal entstehen sollen. Die öffentliche Hand wird dabei kräftig mithelfen: Gerechnet wird mit einer Förderung von einer Milliarde Euro, mithin 20 Prozent der Gesamtinvestition.

Dass derart viel Geld aus Steuermitteln zugeschossen wird, liegt an der europäischen Bedeutung des Neubaus. Die Verfügbarkeit von Halbleitern ist für immer mehr Branchen essenziell. Nach Angaben des Digitalverbands Bitkom sind 90 Prozent der Industrieunternehmen auf Halbleiter angewiesen, für 80 Prozent sind sie unentbehrlich. Die Folgen von Produktionsengpässen und gestörten Lieferketten zeigten sich während der Corona-Pandemie, als es etwa zu Zwangspausen bei Automobilherstellern kam. Ein Großteil der Chips wird derzeit in den USA und in Asien produziert, nicht zuletzt in Taiwan. Dieser Umstand sorgt vielerorts für Sorgen. Sollten die Spannungen zwischen dem Inselstaat und China weiter eskalieren oder gar in einen militärischen Konflikt münden, hätte das dramatische Auswirkungen auch auf die Verfügbarkeit von Chips.

Angesichts dessen will die EU auf diesem wirtschaftspolitisch entscheidenden Feld unabhängiger vom Weltmarkt und Importen aus Fernost werden. Der Anteil in Europa produzierter Chips von jetzt rund 10 Prozent soll sich bis 2030 nahezu verdoppeln. Dazu wird massiv Geld ausgegeben. Die EU will 43 Milliarden Euro mobilisieren und begibt sich dabei in einen Wettlauf mit den USA, die für den gleichen Zweck 53 Milliarden Dollar lockermachen, sowie mit Ländern in Asien, die Ansiedlungen ebenfalls subventionieren. Details der EU-Förderung regelt ein European Chips Act, der als Entwurf vorliegt, aber als EU-Verordnung noch nicht verabschiedet ist.

All das erklärt, warum der Festakt in Dresden mit politischer Prominenz nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Brüssel begangen wurde: Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Einladung von Infineon-Vorstandschef Jochen Hanebeck gefolgt. Schließlich ist das neue Dresdner von Infineon eines der ersten Investitionsvorhaben, das von dem neuen europäischen Förderprogramm profitieren wird. Es könne dazu beitragen, »die Abhängigkeit von Halbleiter-Importen zu reduzieren, eigene Fähigkeiten und Kapazitäten aufzubauen und die Innovationskraft Deutschlands zu stärken«, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Eine finale Zusage über die Fördersumme gibt es zwar noch nicht, aber eine Genehmigung zum vorgezogenen Projektbeginn aus Berlin.

Mit dem Spatenstich ist auch das Rennen zwischen Dresden und Magdeburg eröffnet. Intel wollte ursprünglich im ersten Halbjahr 2023 anfangen zu bauen. Das ist hinfällig. Angeblich pokert der Konzern um die Höhe der staatlichen Förderung. Er wolle mehr als die zugesagten 6,8 Milliarden. Inzwischen hat Intel erklärt, 2024 loslegen zu wollen. In der Magdeburger Landesregierung geht man von einem Produktionsstart 2027, spätestens 2028 aus. In Dresden will Infineon bereits diesen Herbst mit der Errichtung des Rohbaus beginnen und hofft, 2026 die Produktion aufnehmen zu können.

Der Neubau ist eine erhebliche Stärkung des Mikroelektronikstandorts Dresden, der in Anspielung auf das kalifornische Silicon Valley als »Silicon Saxony« bezeichnet wird, seine eigentlichen Ursprünge aber in der DDR-Mikroelektronik hat. Das Forschungszentrum ZMD arbeitete ab 1986 an der Entwicklung eines 1-Megabit-Speichers, für den 1988 die Pilotproduktion begann. Die Fähigkeiten der Dresdner Ingenieure wurden später vom Siemens-Konzern genutzt, der 1994 die erste Chipfabrik eröffnete. Das Geschäft firmiert heute unter dem Namen Infineon.

Später folgten der US-Hersteller AMD und andere. Es gab auch Tiefschläge, so im Januar 2009, als die Chipfabrik der Infineon-Tochter Qimonda mit 3000 Beschäftigten Insolvenz anmeldete. Inzwischen geht es deutlich aufwärts. Im Juni 2021 nahm mit einer Chipfabrik von Bosch das vorerst letzte Werk der Branche die Produktion auf, die nach Angaben des sächsischen Wirtschaftsministeriums in der Region mittlerweile rund 2500 Unternehmen mit 70 000 Beschäftigten zählt. Nun folgt die »Fab 4« von Infineon. Dresden sei, sagte von der Leyen, »ohne jeden Zweifel ein digitaler Leuchtturm in Europa«.

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