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  • Dominik Grafs Film »Jeder schreibt für sich allein«

Leben wie unaufgeräumte Durchgangsstationen

Der Dokumentarfilm »Jeder schreibt für sich allein« handelt von Schriftstellern, die sich mit dem NS-Regime arrangierten. Der Regisseur Dominik Graf im Gespräch

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.

Anatol Regnier beschreibt im Sachbuch »Jeder schreibt für sich allein« das Verhalten von zahlreichen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in der Zeit von 1933 bis 1945. Wie haben Sie den Stoff filmisch erschlossen?

Ich wollte nie Nazis in meinen Filmen zeigen. Bei der Verfilmung von »Fabian« musste ich es zum ersten Mal zwangsläufig versuchen, aber es ist mir nicht wirklich gelungen, finde ich. In diesem Film nun hat man natürlich die ganze Zeit frontal mit dem Nazireich zu tun. Das ist auch das erste Mal, dass ich mich mit meinen Gefühlen demgegenüber auseinanderzusetzen hatte. Anatol Regnier hat in akribischen Katastrophenszenarien all die Schicksale der vielen hiergebliebenen Schriftsteller nachgeschrieben, und ich hätte diese Geschichten am liebsten genauso abgefilmt, wie sie bei ihm stehen. Aber solche Neun-mal-eine-Stunde-Epen gibt es im Fernsehen nicht mehr.

Stattdessen wurde daraus ein dokumentarischer Filmessay, der von Lebensentscheidungen und Lebensschicksalen erzählt. Was war Ihnen bei der Umsetzung wichtig?

Für mich war in Absprache mit Felix von Boehm relativ zügig klar, dass wir uns an ganz bestimmten Schlüsselfiguren entlanghangeln wollten. Jede Figur steht für jeweils eine andere Strategie innerhalb der zwölf Nazijahre. Gottfried Benn zum Beispiel steht für die Anbiederung den Nazis gegenüber und dann auch wieder baldige Abstoßung, weil sie seine Hymnen gar nicht wollten. Hans Fallada für eine Art von Davonrennen vor einem Grauen, das unentrinnbar war und zu dem er sich in seinem Roman »Jeder stirbt für sich allein« schließlich bekannte, Thomas Mann begab sich ins Exil und Erich Kästner in die berühmte innere Emigration.

Was bedeutet innere Emigration?

Albert von Schirnding erklärt den von Frank Thiess nachträglich erfundenen Begriff der inneren Emigration sehr gut, indem er ihn gleichzeitig heftig hinterfragt. Was soll innere Emigration denn sein? Wenn man aus der Tür tritt, macht man den Hitlergruß und zu Hause nimmt man quasi die Armbinde ab und sagt: »Es ist alles ein Mist da draußen, aber wir kriegen das schon irgendwie wieder hin«? Diese Schizophrenie ist gerade für Künstler, die sich pausenlos selbst hinterfragen, schwer aufrechtzuerhalten. Kästner hat diesen Begriff nicht erfunden und auch nicht für sich in Anspruch genommen. Aber durch sein Verstummen und seinen politischen Rückzug ist er rückwirkend ein Vertreter dieser inneren Emigration. Er hatte zugesehen, wie auch seine Bücher verbrannt wurden und hatte Angst. Verständlich. Und mit seiner gut bezahlten Kooperation mit der Ufa bei »Münchhausen« wurde er zum Mitläufer wider Willen.

Sie stellen auch die Frage, ob man ein guter Schriftsteller und zugleich Nazi sein kann, und gehen in dem Zusammenhang auch auf das Werk von Gottfried Benn ein. Wie soll man mit Schriftstellern wie ihm beispielsweise in der Schule umgehen?

Man kann nicht über Kunst urteilen, indem man die Menschen, die sie geschaffen haben, erst mal an der Himmelspforte fragt: Warst du ein guter Mensch oder warst du ein böser Mensch, und wenn du »böse« warst, wird deine Kunst jetzt für die Nachwelt ausradiert. So einfach ist das nicht. Es ist viel komplexer. Es ist erschütternd, über Gottfried Benn zu erfahren, dass und wie er sich an die Nazi-Ideologie rangeworfen hat, aber auch zu verstehen, wie kompliziert er als Mensch war und wie nahe er in seinem Weltbild schon seit dem Ersten Weltkrieg in antidemokratischen Fantasien unterwegs war.

Inwiefern traf das auf Benn zu?

Für Benn sah die faschistische Welle nach Hoffnung und nach einer nationalen Utopie aus, die den für ihn verlogenen »demokratischen Mist« wegspült und dafür einen neuen, »anderen Menschen« zum Vorschein bringt. »Ein Volk will sich züchten«, hat er Klaus Mann geschrieben. Was für ein Begriff! Er war verblendet durch die Nazi-Ideologie. In der Preußischen Akademie der Künste war er derjenige, der seine Kolleginnen und Kollegen aufgefordert hatte, sich zum »neuen Staat« zu bekennen. Es hat aber nur Monate gedauert, dass er mit den Nazis paktierte, danach haben sie ihn ganz schnell abserviert, weil sie ihn als Spinner ansahen, den sie nicht gebrauchen können. Am Ende konnte er froh sein, dass er nicht ins KZ kam.

Auch Nazischriftsteller wie Hanns Johst und Will Vesper stellen Sie vor. Mit Ina Seidel auch eine Frau. Warum ist Seidel die einzige?

Ina Seidel war für mich ein einprägsames Beispiel, weil zunächst auch nicht eindeutig. Sie hatte Naturgedichte geschrieben und 1930 den Roman »Das Wunschkind« über eine Frau, die in der letzten gemeinsamen Nacht mit ihrem Mann ein Kind zeugt, bevor er in den Krieg zieht, ein Riesenerfolg. Sie folgte Benns Ruf in die Akademie als zweite Frau dort, beteiligte sich von da ab am Führerkult und vergötterte Hitlers blaue Augen. Nach dem Krieg bekannte sie sich zum Irrtum. Agnes Miegel zum Beispiel wäre eine zu ähnliche Figur gewesen, Ricarda Huch gehörte zum Kapitel »innere Emigration«. Bei der Auswahl ging es mir vor allem um unterschiedliche Haltungen zum Regime. Das Akademie-»Gelöbnis treuester Gefolgschaft« von 1933 unterschrieben 80 Männer und acht Frauen.

Welches der Schicksale war für Sie am einprägsamsten?

Neben Kästner das von Jochen Klepper. Er war eigentlich ein nach einem strengen Kodex agierender Christ, der aber in merkwürdigem Obrigkeitsgehorsam gefangen einen Fehler nach dem anderen machte. Sein Roman »Der Vater. Die Geschichte Friedrich Wilhelms I.« wurde von Nazis begeistert gelesen und wurde Teil der Ausbildung von Wehrmachtssoldaten. Privat war Klepper mit einer Jüdin verheiratet, also galt er als »jüdisch versippt«. Er verpasste die rechtzeitige Flucht und beendete sein Leben durch Selbstmord mit Frau und Stieftochter auf dem Küchenboden. Es ist die dunkelste Geschichte von allen. Beim Erz-Nazi Will Vesper wird die Familiengeschichte durch den Sohn Bernward Vesper bis zur RAF fortgeführt, was mich auch persönlich berührt, da ich Freunde hatte, die im Zentrum dieser RAF-Katastrophen landeten. Und mit Günter Rohrbach wollte ich einen wichtigen, eloquenten Zeitzeugen der Nazijahre im Film befragen.

Um Sie zu zitieren: »Die Vergangenheit ist kein Feld der Belehrung.« Welchen Weg haben Sie gewählt? Ist die Doku ein Kommentar, eine Anklage oder doch ein Lehrstück?

Ich habe nichts gegen Frontalunterricht im Kino, aber vor allem will ich den Zuschauern erzählen, was Anatol Regnier aufgeschrieben hat, und will sie darauf aufmerksam machen, wie kompliziert die Dinge in Wirklichkeit sind. Ich glaube, je jünger man ist, desto stärker denkt man in moralischen Schwarz-und-Weiß-Kategorien. War bei mir auch so. Zu undifferenziert. Regnier erzählt unendlich viele Grau-Abstufungen in den Haltungen der Künstler von 1933 bis 1945. Die Werke sind das eine, Kästner, Benn, Fallada kann man literarisch durchaus als genial bezeichnen, ihr Leben war teils bitter und voller Irrtümer. Die Werke bleiben, die Leben sind unaufgeräumte Durchgangsstationen.

Wie hätte man zur Nazizeit moralisch richtig handeln können?

Na ja, Moral ... Emigration wäre das einzig »Richtige« gewesen, war ja aber für die meisten vor allem eine Flucht vor Todesdrohungen. Für die Dagebliebenen gab es nicht den einen, den richtigen Weg. Was mich im Regnier-Buch erstaunt hat, war diese allumfassende Ambivalenz bis in die finstersten Reichskanzlei-Abteilungen hinein. Ich habe mir immer beim Lesen gedacht: Dieses oder jenes Zögern, dieser oder jener Selbstbetrug hätte mir, uns allen, auch passieren können. In meiner Jugend am Gymnasium in München haben wir oft darüber gesprochen, dass wir uns nicht wie die Weiße Rose hätten verhalten können. Wir wären zu feige gewesen.

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