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Nazis wie du und ich

Dominik Grafs Dokumentarfilm »Jeder schreibt für sich allein« widmet sich Schriftstellern, die das nationalsozialistische Deutschland nicht verlassen haben. Muss das sein?

Anatol Regnier auf Spurensuche im Archiv
Anatol Regnier auf Spurensuche im Archiv

Schon früh in diesem zwei und eine dreiviertel Stunde dauernden Film wird das cineastische Vorhaben genau ausformuliert: Man wolle sich den Schriftstellern annähern, die dem Deutschland unter der Hakenkreuzfahne gerade nicht den Rücken gekehrt haben; die Perspektive auf diese Persönlichkeiten solle aus der damaligen Zeit und Situation entwickelt werden und dafür das Wissen der Gegenwart über die massenmörderische Nazibestie für einen Moment ausgeblendet werden. Ganz so, als wäre das möglich. Unter dem Deckmantel des unvoreingenommenen, analytischen Blicks, mit dem wir uns alle etwas dümmer machen und dabei klug fühlen sollen, verliert sich der Film in seinem Bemühen um Differenziertheit.

»Jeder schreibt für sich allein« heißt dieser Film. Der bekannte Macher dahinter ist Dominik Graf. Wem der Titel bekannt vorkommt, irrt nicht: Es handelt sich um eine filmische Auseinandersetzung mit Anatol Regniers gleich benanntem Sachbuch und eine Anspielung auf Hans Falladas Spätwerk »Jeder stirbt für sich allein«. Unter anderem Erich Kästner und Gottfried Benn, der erwähnte Hans Fallada und Hanns Johst, Ina Seidel und Will Vesper werden porträtiert, aber auch Thomas Mann (der bekanntlich Deutschland frühzeitig verlassen hat und auch nach Ende des Krieges nicht zurückzukehren bereit war).

Regnier sucht vor der Kamera nach Spuren der erwähnten Schriftsteller. Dazu steigt er in Archive, besucht historische Schauplätze und begibt sich ins Gespräch mit den Gelehrten dieser Tage – darunter die Wissenschaftshistorikerin und Journalistin Julia Voss, der Literaturhistoriker Florian Illies, der Schriftsteller Albrecht von Schirnding.

Etwas naiv wird gefragt, ob ein Nazi ein guter Autor sein könnte, ein guter Autor ein Nazi. Herrje, es soll Künstler gegeben haben, die ihre eigene Mutter nicht aufrichtig geliebt haben! Die Idee, die Güte eines Werkes korrespondiere mit der menschlichen Lauterkeit und politischen Vorbildlichkeit seines Schöpfers, entstammt dem Reich der Fantasie, nicht der Realität. So ist der Film dann auch am schwächsten, wenn er Aussagen zur literarischen Qualität trifft. Ein bisschen armselig auch, wie sich alle (Julia Voss ausgenommen) begeistert von der Benn’schen Dichtung und geradewegs schockiert von seiner Anbiederung an die Faschisten zeigen.

Erich Kästners Selbstmythifizierung, er habe zwölf Jahre unter Schreibverbot zu leiden gehabt, wird mit der Realität konfrontiert. Auch der hochproblematische Begriff der »inneren Emigration« wird zwar einer Kritik unterworfen, aber hier unnötigerweise überhaupt noch mal ausgegraben. Offenbar wieder nichts als weiße Westen in den Schreibstuben! Illies kann sich seinen Appell nicht verkneifen, man möge die Dichter nicht richten.

Bei dem Blut-und-Boden-Poeten der ersten Stunde Will Vesper kippt das Ganze ins durchaus Absurde. Man lässt es so aussehen, als wäre hier ein Künstler versehentlich falsch abgebogen. Dabei war Vesper seit jeher nur ein Verse machender Propagandist. Und im Film fehlt selbstredend nicht der Vergleich mit seinem Sohn. Bernward Vesper, ebenfalls Schriftsteller, war mit Gudrun Ensslin liiert. Das Weltbild der RAF, der Kinder der Nazis, wird in die Nähe der Ideologie ihrer Eltern gerückt. Gleichsam menschenverachtend. Bei aller berechtigten Kritik am linken Terror in Westdeutschland ist diese Gleichsetzung geschichtsblind und gefährlich.

Der mehrfach vehement geäußerte Hinweis darauf, man habe 1933 noch nicht ahnen können, wie es um Deutschland 1945 stehen würde, ist auf bestechende Weise einleuchtend. Die Filmemacher begehen allerdings den ungeschickten Fehler, so zu tun, als sei das sogenannte Dritte Reich ein politisches System wie jedes andere auch gewesen, in dem im Laufe der Zeit dann ein industrieller Massenmord begangen worden ist. Leise angemerkt sei hier, dass in Deutschland nicht erst 1938 Faschismus ausgebrochen ist, dass nicht erst 1939 ein Krieg vorbereitet wurde, dass nicht erst 1942 Andersdenkende existenziell bedroht waren. Die Barbarei nahm spätestens mit der Machtübernahme ihren Anfang. Die Shoah ist die logische Folge aus dem kruden Phantasma eines »gesunden Volkskörpers«.

Allerorts wird »Jeder schreibt für sich allein« als Filmessay deklariert, was eine Offenheit der Form nahelegt, die dieses Werk überhaupt nicht aufweist. Mit teils schweren (und manchmal schwer erträglichen) Klängen wird der Film unterlegt. Man sieht Landschaftsbilder. Jemand flüstert Textpassagen der vorgestellten Autoren. Weder literarische noch biografische Tiefen ist man aber zu erreichen imstande. Viel zu sehr ist der Film auf das bedacht, wofür er auch teils lauthals gelobt wird: immer schön den Abstand zu halten und niemals den Zeigefinger zu heben. Dem Nationalsozialismus und der Frage »Gehen oder bleiben?« soll der Zuschauer nur als Individualproblem begegnen.

Da nimmt es nicht wunder, dass »Jeder schreibt für sich allein« mit Rorschach-Klecksereien gerahmt wird und der Geschichte des US-amerikanischen Psychiater Douglas M. Kelley. Der untersuchte im Rahmen des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses Vertreter der obersten Nazi-Riege und musste feststellen, dass es sich bei den Angeklagten um psychisch unauffällige Personen oder ganz gewöhnliche Verrückte handelte. Einige Jahre später nahm sich Kelley mittels einer Zyankalikapsel das Leben und tat es damit Hermann Göring gleich.

Die Botschaft ist deutlich angekommen. Ein bisschen Nazi könnte in uns allen stecken. Und also sei auch der schreibenden Zunft verziehen, die sich zwischen 1933 und 1945 in Deutschland eingerichtet hatte. Dominik Graf, ein Nachgeborener des Jahrgangs 1952, verbietet sich selbst das moralisierende Urteil. In der Tat wäre ein solches wohlfeil, weil das nachträgliche Bekenntnis, man hätte sich selbst heldenhaft verhalten, selbstgefällig wäre. Die Alternative zum moralischen Blick muss aber nicht der um jeden Preis differenzierte und um Verständnis ringende sein – sie könnte ein politischer Blick auf die deutsche (Literatur-)Geschichte sein.

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