Serbien: Ausgelagertes Grenzregime

Das Transitland auf dem Balkan soll möglichst viele Asylsuchende von der Weiterreise in die EU abhalten

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 5 Min.
Sichere Drittstaaten: Serbien: Ausgelagertes Grenzregime

Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2022 kamen 119 127 Geflüchtete und Asylsuchende nach Serbien. Nur 320 von ihnen haben indes laut serbischem Kommissariat für Flüchtlinge und Migration einen Antrag auf Asyl gestellt, 4181 gaben an, dies zu beabsichtigen. Die offiziellen Angaben zeigen: Serbien ist für Menschen auf der Flucht kein Ziel, sondern dient als Transitland in Richtung Westeuropa. In der Strategie der EU kommt dem Balkanland somit eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Geflüchteten zu. Serbien wird zum Gatekeeper und zur Pufferzone für Tausende Menschen, die entweder ihren gefährlichen Weg fortsetzen oder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Vorangetrieben wurde diese Abschottung von der rechtsnationalistischen Regierung im Nachbarland Ungarn. Für Budapest ist Serbien bereits seit 2011 ein sogenannter sicherer Drittstaat. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Land Geflüchteten adäquaten Schutz bietet. Zwar hat Belgrad die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert, doch ist man weder gewillt noch in der Lage, eine angemessene Umsetzung zu gewährleisten.

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Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen ist man noch immer mit den Zehntausenden Geflüchteten aus den Jugoslawien-Kriegen der 90er Jahre überfordert. Zum anderen steckt Serbien seit mehr als einem Jahrzehnt in einer ökonomischen Krise. Die staatlichen Mittel sind beschränkt, weswegen das Land auf Hilfe aus der EU angewiesen ist. Diese Gelder sind an Gegenleistungen geknüpft, etwa an die Kontrolle der Migration.

Hinzu kommt, dass die Regierung selbst Serbien als Transitland betrachtet, das die Asylsuchenden so schnell wie möglich und ohne Kosten wieder verlassen sollen. Das lässt sich unter anderem daran ablesen, dass im Jahr 2022 nur 30 Asylanträge genehmigt wurden und sich die Prozedur über Jahre hinziehen kann. Kritiker werfen Belgrad daher vor, keine kohärente Asyl- und Migrationspolitik zu haben. Vielmehr reagiert man immer wieder auf Forderungen der EU, der Serbien beitreten will.

Brüssel drängte Belgrad etwa im vergangenen Jahr, die visafreie Einreise von Menschen aus Ländern wie Tunesien, Indien, Burundi und Kuba zu verhindern. Das wurde schließlich bereitwillig umgesetzt. Zudem gibt es Berichte, dass syrischen Geflüchteten am Belgrader Flughafen die Einreise verwehrt wurde. Im Gegensatz dazu steht die bereitwillige Zuerkennung von Schutz für Menschen aus der Ukraine – auch weil diese meist privat unterkommen.

Der Kooperationswille mit der EU reicht darüber hinaus. So hat die liberale Rechercheplattform Statewatch im März 2023 enthüllt, dass bereits im Jahr zuvor die Mehrheit der EU-Staaten, die Schweiz sowie Länder des Westbalkans einen »Rückkehr-Aktionsplan« vereinbart hatten. Dieser sieht ein koordiniertes Vorgehen bei der Abschiebung von Asylsuchenden vor. Damit können etwa Kettenabschiebungen aus EU-Staaten über Serbien drohen.

Außerdem hat Belgrad verschiedene bilaterale Vereinbarungen und Abkommen zur Migration und zur Asylpolitik etwa mit Ungarn geschlossen. Und auch Deutschland ist aktiv. Beamte der Bundespolizei beteiligen sich an einer Operation der EU-Abschottungsagentur Frontex in Serbien, um die Grenzen zu Bulgarien und Ungarn zu überwachen. Die Kooperation mit Frontex war auch Thema des Besuchs der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im März in Serbien. Dabei bedankte sich Regierungschefin Ana Brnabić bei der schwedischen Politikerin für die finanzielle Hilfe.

Seit 2015 ist Serbien Teil der »Balkanroute«. Über Nordmazedonien, Bulgarien oder Kosovo überqueren Geflüchtete die serbische Grenze, um Richtung Norden zu gelangen. Die Wege führen meist weiter zu den EU-Staaten Kroatien und Ungarn, letzteres Land hat eine Sperranlage entlang der Grenze errichtet, oder nach Bosnien-Herzegowina. An den jeweiligen Grenzen droht den Geflüchteten staatliche Gewalt. Journalisten und Menschenrechtsgruppen haben illegale Zurückweisungen seitens der kroatischen Polizei gut dokumentiert. Es gibt aber auch immer wieder Berichte von Pushbacks durch serbische Einsatzkräfte an den Grenzen zu Nordmazedonien und Bulgarien.

Täglich erreichten zwischen 250 und 300 Menschen Serbien, schätzt Radoš Đurović vom Zentrum zum Schutz und zur Hilfe für Asylsuchende im Gespräch mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RTS. Rund 5000 Geflüchtete, die meisten von ihnen aus Syrien und Afghanistan, hielten sich durchschnittlich in dem Balkanland auf. Mithilfe von Schmugglern versuchten sie weiterzukommen, wobei die meisten beim ersten Versuch an der Grenze zu Ungarn scheiterten. Doch das schade dem Geschäft der Schleuser nicht. »Je erfolgloser die Versuche sind – so absurd es ist –, desto mehr Geld verdienen die Schmuggler«, sagt Đurović. Es habe sich eine verbrecherische Organisation entwickelt, die viel Geld mit den Asylsuchenden verdiene. Die Abschottung der EU ist somit zur lukrativen Einnahmequelle für Kriminelle geworden.

Dazu trägt auch bei, dass die 14 staatlichen Flüchtlingszentren überfordert sind. Abseits von diesen entstanden vor allem im Norden Serbiens informelle Camps, etwa in leer stehenden Gebäuden oder in Wäldern, in denen Asylsuchende auf eine Gelegenheit warten, die Grenze zu überqueren. Dort sind sie weitgehend von der Hilfe abgeschnitten, die staatliche Stellen, das in Serbien vertretene UNHCR oder große Organisationen bereitstellen. Zugleich befinden sie sich jenseits der Öffentlichkeit und werden somit leichter Ziel von Gewalt.

Doch selbst die offiziellen Flüchtlingslager bieten keinen Schutz. So wurde im April ein Video öffentlich, das einen brutalen Polizeieinsatz im Camp Sombor nahe der Grenze zu Ungarn dokumentiert. Geflüchtete berichten zudem, dass die Gewalt von Polizisten in den vergangenen Monaten zugenommen habe, wie die Menschenrechtsgruppe Klikaktiv in ihrem jüngsten Quartalsbericht ausführt. Die Gruppe befürchtet einen negativen Trend, sodass »Menschen auf der Flucht es zukünftig in Serbien schwieriger haben werden«. Auch steige die Zahl von Inhaftierten in den drei serbischen Abschiebelagern. Dort könnten die Menschen bis zu einem halben Jahr festgehalten werden, so Klikaktiv, womit Serbien gegen EU-Richtlinien und grundlegende Menschenrechte verstoße.

Dass Serbien kein sicheres Land für Geflüchtete ist, ist eine Folge der europäischen Abschottungspolitik, die von der EU in Nichtmitgliedsstaaten auf dem Balkan ausgelagert wird. Rechte von Asylsuchenden werden so systematisch verletzt. Belgrad ordnete sich dabei bereitwillig den Vorgaben aus Brüssel unter. Die steigenden Zahlen von Abschiebehäftlingen, drohende Kettenabschiebungen und immer mehr Fälle von Polizeigewalt deuten darauf hin, dass Serbien als Vollstrecker einer inhumanen EU-Migrationspolitik dient.

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