Hyperinflation 1923: Als das Geld wertlos wurde

Im September 1923 erreichte die Geldentwertung in der Weimarer Republik ihren Höhepunkt. Droht uns das heute auch?

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 7 Min.
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation hatte das Geld seine Funktionen vollständig eingebüßt und konnte für andere Dinge genutzt werden, wie etwa zum Tapezieren.
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation hatte das Geld seine Funktionen vollständig eingebüßt und konnte für andere Dinge genutzt werden, wie etwa zum Tapezieren.

Düsseldorf und Duisburg waren bereits besetzt. Nun marschierten fünf französische und eine belgische Division – insgesamt 60 000 Soldaten mit Kavallerie und Artillerie, mit Panzern und Kampfflugzeugen – in das Ruhrgebiet ein. Der parteilose Reichskanzler Wilhelm Cuno protestierte und rief die Bevölkerung an der Ruhr zum »passiven Widerstand« auf. Zuvor hatten Großindustrielle eine entsprechende Initiative gestartet. Um den Widerstand zu ermöglichen, übernahm die liberal-konservative Reichsregierung die Auszahlung der Arbeitslöhne, gewährte Unternehmern günstige Kredite und ließ hierzu in großen Mengen Geld drucken. Der Einmarsch und die Ruhrbesetzung im Januar 1923 führten so zu einem nachhaltigen Kollateralschaden: Aus einer grassierenden Inflation wurde eine Hyperinflation, die massiven Einfluss auf die Geschicke der jungen Weimarer Republik und der Welt genommen hat.

»Deutsches Trauma«

Anlass für die Besetzung des Ruhrgebiets war ein Rückstand bei der Lieferung von Holz und Kohle, den der Versailler Vertrag als Reparationsleistungen vorsah. Die französischen und belgischen Truppen sollten die Kontrolle über die Kohlevorkommen gewinnen und sicherstellen, dass Deutschland seinen Lieferverpflichtungen nachkam. Im Zuge der Zerstörung wichtiger Industrieanlagen im Weltkrieg war Frankreich von den Kohlelieferungen aus Deutschland weitgehend abhängig.

Ein weiteres Motiv war ein machtpolitisches: Durch die Besetzung des Industriezentrums und durch die Abspaltung des ebenfalls besetzten Rheinlandes vom Reich sollte der »Erbfeind« nachhaltig geschwächt werden. Der französischen Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Raymond Poincaré schien ein solcher Schritt geboten, da Deutschland durch den Abschluss des Vertrages von Rapallo im April 1922 wieder als eigenständiger Akteur auf der internationalen Bühne aufgetreten war und sich Sowjetrussland annäherte. Frankreich sah seine politischen Interessen bedroht und wollte seine Vormachtstellung auf dem Kontinent absichern.

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Dieser geopolitische Hintergrund des »deutschen Traumas« (Frederick Taylor) scheint heute vergessen, stattdessen haben sich Narrative wie »Die goldenen Zwanziger« durchgesetzt. Oder die Vielfalt in Kunst und Stil, wie sie in der Hamburger Kunsthalle in diesen Tagen ausgestellt werden: 1923 wäre kein schlechtes Jahr für die Kunst gewesen, lautet das Fazit eines Besuchs.

Kaufmannstod und Bauernlegen

Präsent im kollektiven Gedächtnis der Deutschen ist allerdings noch das schwere menschliche Elend der Inflationszeit. Armen drohte die Hungersnot, und Käthe Kollwitz’ Gesichter darbender Stadtkinder wurden zur Ikone der Hyperinflation. George Grosz hielt währenddessen das leichte Ferienleben der Reichen an der Côte d'Azur zeichnerisch fest.

Doch auch die Provinz, damals wirtschaftlich und politisch weit schwergewichtiger als heute, zeigte sich widersprüchlich: Landwirte begannen, ihre Erzeugnisse zu horten, um diese erst nach der erhofften Stabilisierung der Währung zu verkaufen. Die blieb allerdings (zu) lange aus. Andere Bauern verloren ihr Altenteil. »Meine Eltern hatten sich ein Barvermögen von 30 000 Goldmark erarbeitet und erspart. Davon und von den Zinsen wollten sie in ihrem Alter leben. Sie haben ihr ganzes sauer verdientes Geld durch die Geldentwertung verloren. Sie waren nun auf die Armenpflege angewiesen«, schreibt lange Zeit später der Landwirt Claus Schwieger in der Chronik von Süderhastedt, Dithmarschen.

Dagegen profitierten Immobilieneigentümer von der Inflation, Aktionäre und Investoren aller Art – und Schuldner, große wie kleine: »Ich kenne jemanden, der sich im Herbst 1922 ein neues Fahrrad kaufte mit der Bedingung, es erst Weihnachten zu bezahlen«, berichtet Schwieger weiter. »Aber als er Weihnachten den abgemachten Preis bezahlte, war das Geld gerade noch so viel wert, dass man sich höchstens eine Klingel für das Fahrrad kaufen konnte.« Die Inflation trieb auch ungezählte Kaufleute, Mittelständler und Handwerker in den Ruin.

1923 wurde so zum »Jahr der Bewährung« für die junge Weimarer Republik, schreibt der Historiker Volker Ullrich. Doch die parlamentarische Demokratie und ihre Regierungen begegneten den existentiellen Herausforderungen nur mangelhaft. Damals führte die politische Hilflosigkeit gegenüber existentiellen Herausforderungen zu einem immensen Vertrauensverlust der Menschen in das Parlament in der fernen Hauptstadt Berlin, in Landesregierungen und Staat.

Dies wertet offenbar so mancher Zeitgenosse als Parallele zu heute, selbst in der politischen Mitte der Gesellschaft. Eine solche Resonanz erfuhren beispielsweise Artikel, die vor 100 Jahren in der »Frankfurter Zeitung« erschienen waren und nun von der »FAZ« ins Internet gestellt wurden, mit der Begründung: »Nicht selten melden sich Leser mit der Bemerkung, die Artikel aus der Vergangenheit erinnerten sie an die Zustände in der Gegenwart.«

Nazis nutzen »Tollhauszeit«

Kaufmannstod und Bauernlegen wurden vielerorts zum Einfallstor der Nationalsozialisten. Selbst das stolze Dithmarschen mit seiner gefeierten Tradition der freien Bauernrepublik wandelte sich zum Hotspot der Faschisten. Die Kaufkraft der meisten Deutschen sank rapide. Wilde Streiks, Plünderungen und politische Revolten wie der Hamburger Aufstand der KPD mehrten sich.

Im November 1923 scheiterte der Putschversuch der NSDAP unter Adolf Hitler und dem populären Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff. Nach dem Vorbild Mussolinis und dessen »Marsch auf Rom« sollte die Reichsregierung in Berlin gestürzt werden. Hitler wurde dadurch allerdings reichsweit zu einem bekannten Politiker. Die innenpolitische Lage spitzte sich, angetrieben von der zunehmenden Geldentwertung, weiter zu, die Gewalt eskalierte vielerorts. Es drohte ein Bürgerkrieg – der Ausnahmezustand wurde ausgerufen. Zum Ende des Jahres 1923 sah sich Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) gezwungen, das letzte verfügbare Mittel zur Wiederherstellung der staatlichen Autorität im Inneren einzusetzen: die Reichswehr.

Es sei diese »Tollhauszeit« (Stefan Zweig) um das Jahr 1923 gewesen, die Hitlers Machtergreifung und den Zweiten Weltkrieg erst »ermöglichten«. In der historischen Debatte scheint diese Deutung, die auf John Maynard Keynes’ Kritik am Versailler Vertrag verweisen kann, inzwischen an Zustimmung zu gewinnen, wie etwa in den jüngst erschienenen Arbeiten von Volker Ullrich, Mark Jones oder Peter Longerich. Bislang galten überwiegend die erst 1929 bis 1932 folgenden Deflation und Weltwirtschaftskrise als eigentliche Ermöglicher des deutschen Faschismus.

Das Geldwesen bricht zusammen

Die Hyperinflation war aus einer schleichenden, dann grassierenden Inflation hervorgegangen. Seit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 hatte sich im Deutschen Reich die umlaufende Geldmenge vermehrt. Die Golddeckung war aufgehoben worden. Mit der militärischen Niederlage 1918 blähte sich die Geldmenge weiter auf. Mittelbar trug dann die völlige Entwertung der als mündelsicher angesehenen Kriegsanleihen zu Preisanstieg und Geldentwertung bei.

Nachdem 1921 in London die Höhe der alliierten Reparationsforderungen festgelegt worden war, beschleunigte sich die Inflation nochmals. 1920 hatte in Deutschland ein Ei bereits 0,75 Mark gekostet, was dem Stundenlohn eines Arbeiters nahe kam. Im September 1923 musste man dann für ein Ei 1900 Millionen Mark bezahlen. Die Inflationsrate war in ihrer Spitze auf mehr als 21 000 Prozent gestiegen – kein Vergleich mit der heutigen Teuerung von rund 6 Prozent.

Im Herbst 1923 war das Geldwesen faktisch zusammengebrochen. »Das Geld hatte seine eigentlichen Funktionen, wie die Tauschmittel- und Wertaufbewahrungsfunktion, vollständig eingebüßt«, schreiben Ulrike Neyer und Daniel Stempel im »Wirtschaftsdienst«. Geldscheine seien zum Befeuern des Kamins oder als Notizzettel genutzt worden, Maria Bauer schneiderte sich ihr »Inflationskleid« aus Papiergeld. Zu bestaunen war es dieses Jahr im Historischen Museum Frankfurt. Die Ausstellung »Inflation 1923. Krieg, Geld, Trauma« war zusammen mit dem Geldmuseum der Deutschen Bundesbank erarbeitet worden.

Heute weiß man es besser?

Die Hyperinflation endete am 15. November 1923 mit der Ausgabe der sogenannten Rentenmark. Zur Sicherung dieser Übergangswährung war von der Regierung eine unabhängige Deutsche Rentenbank geschaffen worden. Im Folgejahr wurde die Rentenmark dann in die neue Reichsmark umgetauscht, ein Vorgang, der sich 1948 in ähnlicher Form mit der Währungsreform und der Einführung der D-Mark wiederholte.

Die Kraftquelle der Hyperinflation 1923 lag in der Finanzierung eines hochgradig defizitären Staatshaushaltes durch eine von den wechselnden Regierungen abhängigen Notenbank. Als die Reichsbank die Druckerpressen heiß laufen ließ, stieg die Geldmenge und damit die Inflation in astronomische Höhen. Anders als die Weimarer Republik sind heute die Länder der Eurozone stabile Demokratien, über etablierte Steuersysteme wird der Großteil der Staatsausgaben finanziert und die Europäische Zentralbank ist (wenigstens formal) unabhängig von der Politik. Die EZB kann daher – anders als die von der Regierung dominierte Reichsbank – politischen Irrungen und Wirrungen entgegensteuern. Ein zweites »1923« ist also nicht zu erwarten. Und noch eine gute Nachricht: Nach hundert Jahren ökonomischer Forschung – von Keynes bis zu Jörg Huffschmid und Rudolf Hickel – verstehen wir unterm Strich den modernen (Finanz-)Kapitalismus heute weit besser als 1923.

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