Ein uneinlösbares Anderswo

Dystopien und Milliardärsfantasien bescheren dem Weltraum zu Unrecht schlechte Presse, meint Leo Fischer

Die Deutschen wollen auf den Mond! Soeben hat Deutschland das Weltraumabkommen »Artemis« unterzeichnet. 2019 initiiert, soll es bis 2027 wieder Menschen auf den Mond und vielleicht sogar auf den Mars bringen. Für die Umsetzung hat die Nasa nun insgesamt 29 Länder sowie einige Privatunternehmen ins Boot geholt. Russland hingegen, das die Teilnahme zunächst erwogen hatte, ist nun dem chinesischen Mondprogramm beigetreten.

Seit 1972 wurde die Mondoberfläche nicht mehr von Menschen betreten: Angesichts dieses ungeheuren Zeitraums wirken die Ziele von Artemis geradezu kläglich, wie ein Hobby. Einen fünfzig Jahre alten Erfolg zu wiederholen, das klingt keineswegs nach Aufbruch und technologischer Utopie. Gleich, wer das neue Mondrennen macht: Es wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hoffnungen und Träume, die die Mondlandung seinerzeit auslösten, verblasst sind. Es wird ein Revival, keine bahnbrechende Leistung, die Millionen inspiriert.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins

»Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme

der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten

Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und

entsorgt den liegen gelassenen Politikmüll.

Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Der Weltraum hat keine gute Presse: Der Kapitalismus hat es zuletzt auch geschafft, dass die Sterne ihren Glanz verloren haben. Die großen Orbitalteleskope, die nie dagewesene Bilder des Kosmos liefern, sind gerade noch für eine Meldung unter Vermischtes gut; für eine Marssonde begeistern sich vielleicht noch ein paar Liebhaber. Die Internationale Raumstation, die die Menschheit zusammenführen sollte, droht an nationalen Eigeninteressen zu scheitern. Währenddessen dient die private Raumfahrt vorwiegend als obszönes Statussymbol von Milliardären.

Auch das Genre der Science Fiction wirkt wie eingefroren; neben endlosen Remakes der großen Franchises, die meist nur dem Abgrasen billiger 70er-Nostalgie dienen und aus denen jedes technologisch-spekulative Moment zugunsten von Militärpropaganda getilgt ist, ist ihr wichtigstes Subgenre die Dystopie. Die Furcht vor der Unterwerfung durch Technik erstickt jede Hoffnung darauf, durch sie befreit zu werden.

Und was wäre unter den derzeitigen Bedingungen im Weltraum auch zu holen? Ein paar Unternehmen träumen davon, Asteroiden auszuhöhlen, den endlosen Kampf um Rohstoffe auch ins All zu tragen. Auf der anderen Seite wirkt jede Ressource, die nicht in die Bekämpfung der Klimakatastrophe investiert wird, wie eine frivole Selbstbeschäftigung. Es kostet ein kleines Vermögen, einen Menschen auch nur eine Minute im All am Leben zu erhalten. Ein Exodus der Spezies ist unter den derzeitigen Bedingungen gänzlich ausgeschlossen und beerdigt so immerhin die Hoffnung der Milliardäre, sie könnten sich nach der Verwüstung der Erde ins All zurückziehen.

Man kann dem Artemis-Projekt wirklich nur Glück wünschen, Glück vor allem für seine Öffentlichkeitsarbeit: Für das Projekt zu werben, dürfte der schwierigste Punkt der Mission sein. Ob ausgerechnet deutsche Astronaut*innen diesen Schwung mitbringen werden, bleibt abzuwarten. Alexander Gerst beeindruckte mit Statements zum Klimawandel und zur Endlichkeit der irdischen Ressourcen – die aber indirekt die Notwendigkeit seiner eigenen Profession in Frage stellten.

Wofür brauchen wir eigentlich den Weltraum? Immerhin ist er werbefrei: Der Blick nach oben erlaubt es nach wie vor, sich für einen Moment aller Konsumbotschaften zu entledigen. Er macht letztlich nur Werbung für sich selbst, für ein Anderswo, das niemals eingelöst wird. Vielleicht wäre es das beste Weltraumprojekt, sich öfter mal diesen Blick nach oben zu gönnen.

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