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  • Italiens Außenminister in Berlin

Seenotrettung wird zur Chefsache

Bundesregierung vergibt erstmals Gelder an Hilfsorganisationen, aus Italien hagelt es Kritik

Zu den ersten Begünstigten der Förderung aus dem Auswärtigen Amt gehört der deutsche Verein SOS Humanity, der im Mittelmeer das Rettungsschiff »Humanity 1« betreibt.
Zu den ersten Begünstigten der Förderung aus dem Auswärtigen Amt gehört der deutsche Verein SOS Humanity, der im Mittelmeer das Rettungsschiff »Humanity 1« betreibt.

Es gibt noch keine »Debatte innerhalb der Ampelkoalition«, wie das »Handelsblatt« berichtet, aber die Parteien sind sich uneinig: Die Grünen verteidigen die Vergabe öffentlicher Gelder an Hilfsorganisationen, die Geflüchtete retten, die in seeuntüchtigen Booten über das Mittelmeer kommen. Der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki stellt die Unterstützung jedoch infrage. Es müsse geklärt werden, ob dadurch diplomatische Probleme mit engen EU-Partnern entstehen könnten, sagte er der Zeitung.

Das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock (Grüne) hat vergangene Woche die Förderung von zwei Organisationen bekannt gegeben. Der deutsche Verein SOS Humanity, der das Schiff »Humanity 1« betreibt, erhält 790 000 Euro. Damit sind die Mitglieder imstande, ein Viertel ihres Jahresbudgets zu decken. Die in Italien ansässige katholische Nichtregierungsorganisation Sant'Egidio bekommt 420 000 Euro für die Versorgung von Geretteten an Land.

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Obwohl Sant'Egidio auch vom italienischen Staat finanziert wird, sieht die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in der deutschen Förderung eine Einmischung in inneritalienische Angelegenheiten. Deshalb hat sie einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschickt. Darin kritisiert sie, dass die Vergabe der »erheblichen Mittel« nicht mit der italienischen Regierung koordiniert worden sei.

In ihrem Brief wiederholt die Vorsitzende der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia die auch durch ihre eigene Politik widerlegte Behauptung, dass die Anwesenheit von Rettungsschiffen dazu führe, dass sich die Abfahrten von Booten »vervielfachen«. Melonis Parteikollege und Verteidigungsminister Guido Crosetto unterstützt sie dabei. Er sagte am Wochenende, dass Berlin ein befreundetes Land in Schwierigkeiten bringe. Der italienische Außenminister Antonio Tajani, der auch Vorsitzender der rechtsliberalen Partei Forza Italia ist, wird am Donnerstag nach Berlin reisen und hofft auf Erklärungen der Bundesregierung.

Die Kritik an der Bundesregierung und dem Kanzler kommt jedoch zu spät und richtet sich an die falsche Adresse: Der Bundestag hat bereits 2021 beschlossen, die zivile Seenotrettung mit insgesamt acht Millionen Euro zu unterstützen. Von 2023 bis 2026 sollen jährlich zwei Millionen Euro ausgezahlt werden. Das Auswärtige Amt setzt diese Verpflichtungen um.

Ursprünglich war nicht geplant, auch Projekte an Land zu finanzieren. Stattdessen sollten die Mittel an den Verein United4Rescue gehen, in dem sich verschiedene deutsche Organisationen zur Seenotrettung zusammengeschlossen haben. Dort sollte dann über die Verteilung der Gelder entschieden werden. United4Rescue ist selbst an zwei Rettungsschiffen der Organisationen SOS Humanity und Sea-Eye beteiligt.

Rechte und konservative Medien haben die geplante Vergabe an United4Rescue jedoch angegriffen und dabei gezielt auf ein Vorstandsmitglied des Vereins abgezielt, das mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Katrin Göring-Eckardt liiert ist.

Der Verein will nicht spekulieren, warum er nun nicht direkt gefördert wird. Dass die einzelnen Organisationen direkt beim Auswärtigen Amt Gelder beantragen müssten, erhöhe den bürokratischen Aufwand jedoch für alle enorm, erklärte eine Sprecherin dem »nd«.

Es seien mehrere Anträge eingegangen, die geprüft würden, sagte dazu ein Sprecher des Auswärtigen Amts auf Anfrage des »nd«. Die übrigen Gelder für dieses Jahr würden vergeben, sobald »alle erforderlichen Schritte abgeschlossen sind«.

Das Ministerium betont zudem die Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung: Zivile Seenotretter leisteten im zentralen Mittelmeer mit ihren Schiffen eine lebensrettende Aufgabe, genauso wie die italienische Küstenwache, so der Sprecher. Diese nimmt tatsächlich die meisten Menschen im zentralen Mittelmeer an Bord, wie das »nd« erfuhr, nur etwa zehn Prozent der Rettungen erfolgen durch private Organisationen.

Auch die Ampel-Parteien haben im Koalitionsvertrag betont, dass die Seenotrettung eine staatliche Aufgabe sein sollte. »Wir streben eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer an«, heißt es darin. Es wurden jedoch bisher keine Initiativen für eine staatliche Seenotrettung von der Bundesregierung ergriffen. Die Beschwerde von Meloni an den Bundeskanzler bietet eine weitere Gelegenheit dazu. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigt, dass der Brief beantwortet wird.

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