Kassenärztlicher Notdienst unter Druck

Ein Teil der eingesetzten Ärzte ist in Zukunft sozialversicherungspflichtig – ihr Einsatz könnte an den Kosten scheitern

Im Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) könnte es in naher Zukunft für Patienten noch längere Wartezeiten geben als ohnehin schon üblich. Die neue Verengung des Angebots ist auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes in Kassel zurückzuführen. Ende Oktober verfügte das Gericht, dass sogenannte Poolärzte und -zahnärzte der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Das gelte jedenfalls dann, wenn diese Mediziner Räume, Geräte und Personal der KV in Anspruch nehmen und nach Stunden bezahlt werden.

Konkret ging es um den Fall eines Zahnarztes. Dieser hatte als sogenannter Poolarzt immer wieder Notdienste in einem von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung gestellten Notdienstzentrum übernommen. Die Rentenversicherung war davon ausgegangen, dass er selbstständig ist. Der Arzt hatte seine eigene Praxis zuvor aber verkauft. Das Gericht entschied nun, dass er sozialversichert werden muss, da er eine »von dritter Seite organisierte Struktur« vorgefunden habe, »in der er sich fremdbestimmt einfügte«.

Zum Hintergrund: Mit den Poolärzten sind jene Ärzte gemeint, die nicht niedergelassen sind, bisher aber dennoch von den KVen im Notdienst eingesetzt wurden. Es handelt sich um Mediziner, die zum Beispiel in Kliniken, als Betriebsärzte oder im Öffentlichen Gesundheitsdienst angestellt arbeiten oder auch um Ruheständler beziehungsweise Ärzte, die keiner hauptberuflichen Tätigkeit nachgehen, wie vermutlich auch der genannte Zahnarzt.

Etliche regionale KVen haben bereits angekündigt, dass sie im Notdienst keine Ärzte mehr einsetzen, die nicht als Niedergelassene bei ihr unter Vertrag stehen. Besonders drastische Folgen könnte das ab Dezember für Berliner Patientinnen und Patienten haben, die nachts auf einen Hausbesuch vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst warten. Selbst in der Telefonberatung wird es Einschränkungen geben. Ab Januar wird es zudem in den KV-Notdienstpraxen weniger Personal und deshalb kürzere Öffnungszeiten geben, wie die KV Berlin mitteilte.

In der Hauptstadt übernehmen die sogenannten Nicht-Vertragsärzte jedes Jahr rund ein Drittel der etwa 14 000 Dienste im Ärztlichen Bereitschaftsdienst der KV Berlin. Vom Vorstand hieß es, dass der Dienst ohnehin schon in einer desolaten finanziellen Lage sei – und die nicht noch weiter verschlechtert werden solle. Das würde geschehen, wenn die Versicherungsbeiträge zu den Honoraren der Ärzte noch hinzukämen.

Ähnlich scharf reagierte die KV Baden-Württemberg, die einen schon angekünditen Notfallplan in Gang setzte. Mit sofortiger Wirkung wurde die Tätigkeit der Poolärztinnen und -ärzte beendet. Konkret bedeutet das, dass acht Notfallpraxen in dem Bundesland komplett und weitere dieser Praxen nur noch an Wochenenden und Feiertagen öffnen. Die Öffnungszeiten würden in vielen weiteren Praxen reduziert. Hier wie in anderen Bundesländern wollten die KVen die Urteilsbegründung abwarten, da erst dann eine rechtssichere Neuordnung des Bereitschaftsdienstes möglich sei.

Zuletzt zog die KV Schleswig-Holstein die Konsequenzen. Sie teilte in dieser Woche mit, dass die rund 400 Poolärzte im Bundesland zum 31. Dezember gekündigt würden.

Anderswo, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wird gehofft, der Gesetzgeber könnte alles noch zum Guten wenden. Ein Gesetz sollte die Tätigkeit der freiwillig am Bereitschaftsdienst teilnehmenden Ärzte für nicht sozialversicherungspflichtig erklären. Sonst sei die Versorgung kaum zu sichern. Ebenfalls auf eine solche Lösung durch den Gesetzgeber hoffen Ärztekammer und KV Westfalen-Lippe. Dort wird bis zur Klärung der Notdienst aber mit den Poolärzten fortgeführt.

Nach einer solchen Lösung sieht es durchaus nicht aus: Das zuständige Arbeitsministerium will keine Präzedenzfälle für andere Berufsgruppen schaffen und deshalb auch keine Ausnahme für die Bereitschaftsärzte.

Das Urteil hätte dann vermutlich zur Folge, dass die Vertragsärzte, also all jene, die niedergelassen für Kassenpatienten im Einsatz sind, mit zusätzlichen Nacht- und Wochenenddiensten rechnen müssen. Das ist unvermeidlich, weil die KVen an sieben Tagen der Woche und jeweils 24 Stunden die Versorgung der Bevölkerung sichern müssen, also einschließlich eines entsprechenden Notdienstes.

Weitere Folge: Bei reduziertem Bereitschaftsdienst droht noch eine stärkere Überlastung der Notaufnahmen und des Notrufes der Feuerwehren. Auch hier gibt es großen Reformbedarf. Unter den Anforderungen dafür tauchen immer wieder die integrierten Leitstellen auf. Das bedeutet, dass die verschiedenen Teile der Versorgung über die beiden Notrufe 112 und 116117 integriert werden müssten. Teils werden Fälle zwischen diesen schon weitergemeldet. Jedoch sind die 200 bundesweit bestehenden Leitstellen noch nicht einheitlich organisiert. Mit dem Urteil des Sozialgerichts und möglicherweise geringeren Ressourcen auf Dauer wächst die Notwendigkeit von Reformen weiter.

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