- Sport
- Fußball
Trainer von Carl Zeiss Jena im Abgrund des Vergessens
BallHaus Ost: René Klingbeil mit devotem Abschied beim FC Carl Zeiss Jena
Als mein langjähriger Lieblingscoach Hans Meyer im Herbst 1983 vom Trainerstuhl des FC Carl Zeiss Jena gesemmelt wurde, war es, als ob mir ein böser Dschinn den Zeigefinger der linken Hand amputiert hätte. Zwölf Jahre Meyer hatten Spuren in meiner Fanbiografie hinterlassen. Er schaffte es mit Jena 1981 bis ins Europapokalfinale, um dort von den ungeliebten Russen aus Tiflis zerstört zu werden. Wir wussten natürlich auch in Thüringen, dass Tiblissi, wie die Stadt in der »Neuen Fußballwoche« genannt wurde, nicht in Russland, sondern in der Sowjetunion lag. Georgier, Kasache oder Lette: Für uns Zonenbengel waren das alles Russen. Tiblissi hörte auf den verfuckten Vornamen Dinamo. Noch schlimmer: ein Scheißbullenverein.
Jedenfalls rollte Meyers Kopp, nachdem er uns auf den vorletzten Platz der Oberliga verfrachtet hatte. Drei Jahre musste er zur Strafe in Erfurt einsitzen. Es war ihm egal, er war Trainer von Beruf und wollte weiter angreifen. Weil in der DDR-Planwirtschaft Spitzentrainer nicht zahlreich an den Bäumen wuchsen, fand er den neuen Job schnell. Meyer war in seiner Karriere nie länger als ein paar Monate arbeitslos. Er hatte Glück: Als es in den 90ern mal schlecht für ihn lief und Ex-DDR-Schleifer nichts wert waren, nahm der alte Feldwebel mit Charme einen Schleichweg über Holland ins späte Bundesligaglück.
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Kurz vor Silvester 2023 wurde Trainer René Klingbeil in Jena samt Stab gefeuert. Mit vielen unschönen Nebengeräuschen – fast bundesligamäßig, wie im richtigen Fußball. Klingbeil laberte sich den Rausschmiss gekonnt schön, devotes Verhalten verlangt der Markt selbst in den Niederungen, wo es nur um Kleingeld geht. Trainerstellen sind rar und der Interessenkampf fett. Ist Kingbeil länger raus, kann er auf dem zweiten Bildungsweg Sportlehrer an einer Gesamtschule werden. Nichts gegen Sportlehrer, meiner in Weimar war der beste for ever. Und viele Gesamtschullehrer verdienen mehr Geld als beispielsweise ein Fußballtrainer in Eilenburg. Also warum nicht gleich Gesamtschullehrer in Eilenburg statt Trainer in Jena? Weil auch ein kleiner Herr Klingbeil vom großen Fußball träumt, dementsprechend die Familie vernachlässigt, sich von untalentierten Spielern nerven und von Bratwurstdealern im Vorstand schurigeln lässt. So sind die Regeln des Geschäfts.
Christian Benbennek hieß bis Juni 2022 der Trainer des BFC Dynamo, drei Jahre lang durfte er dort sein Glück versuchen. Schlussendlich scheiterte er am Aufstieg in die 3. Liga. Und stürzte in den Abgrund des Vergessens. In seinen drei Berliner Jahren wurde er jeden Monat ein Jahr älter. Der Job fraß an ihm, nagte ihm jede Trainerschönheit weg, es war erschreckend anzusehen.
Ich denke gern an meine Zeit als Trainer der Autoren-Nationalmannschaft zurück. Wir hingen eine Weile an der DFB-Nuckelflasche. Superlieb hatte ich den schönen Moritz, ein ohne Würde gealterter Goalgetter. In Wien wollte ich ihn erst zur Halbzeit bringen. Er barmte und flötete vor dem Spiel: Der Intendant des Burgtheaters käme, er könne unmöglich eingewechselt werden. Ich Idiot von einem Trainer ließ es zu. Das Tor traf er naturgemäß nicht. Ging Lebbe weiter? Ja.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.