Von CDU bis Ampel: 30 Jahre verfehlte Agrarpolitik

Brandenburger Bauern werben für eine zukunftsfähige, sozial- und umweltgerechte Landwirtschaft

Was will der Bauernprotest? Klar, der Deutsche Bauernverband als Hauptakteur und größte Interessenorganisation fordert nach außen die komplette Rücknahme der Kürzungen bei den Subventionen für Agrardiesel und bei der Kfz-Steuer. Doch die Gemengelage ist bedeutend komplexer. Sie unterscheidet sich nach Regionen. Verschiedene Gruppen und Organisationen rufen auf, sich zu beteiligen. So geht auch die Motivation weit auseinander.

Vereinzelt werden die Proteste von Rechtsradikalen dominiert, in Sachsen verwächst sich die Szenerie zum Teil zu rechtem Protest ohne nennenswerte Beteiligung von Bäuer*innen. In Cottbus nahmen am Montagabend nach einem Autokorso mit 1500 Fahrzeugen 2000 Personen an einer Demonstration unter dem Motto »Die Ampel muss weg« teil. Anmelder: Der AfD-Kreisvorsitzende Jean-Pascal Hohm. Doch davon, dass rechte Kräfte oder deren Themen das Geschehen dominieren, kann nicht die Rede sein.

Auch in Brandenburg, gibt es eine Minderheit antifaschistischer Bäuer*innen, Landwirt*innen kleiner Ökobetriebe und Angestellter, die zu den Protesten aufrufen und mit eigenständigen Positionen teilnehmen. Einige organisieren sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), einem Zusammenschluss aus konventionell und ökologisch wirtschaftenden Bauernhöfen. Die AbL tritt »für eine zukunftsfähige sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft sowie für entsprechende politische Rahmenbedingungen« ein. Häufig findet sich die AbL in Opposition zum mächtigen Bauernverband wieder, jetzt aber stehen beide gemeinsam auf der Straße.

»Ich sehe, dass die Landwirt*innen vereint auf die Straße gehen«, sagt Marie Löhring. Nach einer Kundgebung in Eberswalde erklärt sie im Gespräch mit »nd«, dass die Proteste eine Chance seien, der Gesellschaft die insgesamt prekäre Lage der Branche vor Augen zu führen.

Löhring ist Mitglied der AbL Nordost, engagiert sich insbesondere bei deren Jugendorganisation (jAbL). »Mir geht es vor allem um eine nachhaltige Lebensmittelproduktion und langfristig gesicherte Arbeitsplätze und Existenzen in der Landwirtschaft«, sagt sie. Löhring hat in Nordrhein-Westfalen eine Ausbildung zur Landwirtin gemacht, als solche in Mecklenburg Vorpommern gearbeitet und ist nun neben dem Studium Angestellte in einem Betrieb in der Uckermark.

Der Druck in der Branche, der die Leute jetzt auf die Straße treibt, sei multifaktoriell, sagt sie. »Agrardieselsubventionen und Kfz-Steuer fallen deshalb ins Gewicht, weil wir über die Preise nicht selbst bestimmen können. Durch die Marktmacht und das De-facto-Preisdiktat der Lebensmittelkonzerne sind wir auf einen politischen Rahmen angewiesen, der uns Planbarkeit verschafft.« »Agrardiesel und Kfz-Steuer waren die Themen, die das Fass zum Überlaufen brachten«, stimmt Julia Bar-Tal zu, die Geschäftsführerin der AbL ist. »Aber es geht im Grunde um 30 Jahre Agrarpolitik nach dem Motto ›Wachse oder weiche‹ und viel zu geringe Erzeugerpreise«, sagt sie zu »nd«.

Mit der neuen Regierung habe es Hoffnungen gegeben, sie habe aber das Gefühl, dass es an mutiger Agrarpolitik und damit an langfristigen Perspektiven und verlässlichen Rahmenbedingungen fehle. »Wir haben uns in zahlreichen Kommissionen und Bündnissen an Gesetzesentwicklungen beteiligt. Diese Ergebnisse sind bisher immer auf politischer Ebene abgeschmiert«, sagt Bar-Tal, die selbst einen Landwirtschaftsbetrieb im Osten von Brandenburg führt. Auch sie beteiligt sich an den Protesten.

Marie Löhring hofft, dass die Dynamik der Proteste in konstruktive Bahnen gelenkt werden kann, und meint damit genau die Rückkehr zu der von Bar-Tal angesprochenen Bündnisarbeit. Dafür brauche es Gelder. Sparen sei überhaupt der falsche Weg, wenn das System ökosozial umgebaut werden soll. Förderungen sollten aber langfristig erfolgen. Von der bisherigen Pauschalförderung würden vor allem Großbetriebe profitieren, sagt Löhring.

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Oft fällt das Argument, die Proteste seien – geführt vom Bauernverband als Lobbyorganisation – eine Erhebung von Großunternehmern, die den Hals nicht vollbekommen können. »Es gehen alle auf die Straße«, sagt Bar-Tal und argumentiert für einen differenzierten Blick. »Die Not im bäuerlichen Teil der Branche muss verstanden werden.« Ihr gehe es um die Familienbetriebe, die bis zu 80 Stunden die Woche arbeiteten und sich selbst und der Familie kaum 2000 Euro ausbezahlen könnten. Wenn dort 3000 Euro im Jahr wegfielen, sei das nicht tragbar, sagt Bar-Tal. »Wir verlieren jedes Jahr Tausende Betriebe. Die Krankheitsstände, Burn-out- und Suizidraten sind sehr hoch.«

Auch nach unterschiedlichen Standorten in Deutschland müsse man differenzieren, sagt Marie Löhring von der jAbL. »Im Westen haben wir viel mehr kleinbäuerliche und Familienbetriebe. In Brandenburg, wie in ganz Ostdeutschland haben wir viele ehemalige LPGs, Agrargenossenschaften. Hier spielt die Bodenfrage noch mal eine größere Rolle: Spekulation mit Boden, Landgrabbing von Investor*innen und dadurch steigende Pachtpreise erhöhen den ökonomischen Druck auf die Landwirt*innen.« Grundsätzlich könne sie sich vorstellen, auch selbst einen Betrieb zu gründen, »aber realistisch bleibt mir als Privatperson, die nicht geerbt hat, in Brandenburg nur die Angestelltenperspektive. Alles andere ist nicht finanzierbar.«

Die Arbeitsbedingungen seien mies. »Leute werden in der Regel schlecht bezahlt und die klassische 40-Stunden-Woche ist eine Seltenheit auf den Betrieben. Wenn andere im Sommer in den Urlaub fahren, arbeiten wir durch.« Auch in der Landwirtschaft würden Fachkräfte fehlen. Die Arbeitsbedingungen täten ihr Übriges dazu und: »Durch die Unterfinanzierung der Branche, ist es schwierig an den Arbeitsbedingungen etwas zu drehen.«

Von einer Chance des vereinten Protestes spricht Löhring, auch wenn es Überschneidungen der CDU/CSU mit dem Bauernverband gebe und dieser in den letzten Jahren alles andere als proaktiv auf einen sozialökologischen Umbau hingewirkt habe. »Es ist aber auch klar, dass es Zivilcourage braucht und wir uns abgrenzen müssen, von Hass und Hetze, von rechts. Damit gehen wir in die Proteste«, sagt Löhring.

Dort zu protestieren, wo die Positionen schon klar sind, sei einfach. Dann blieben aber alle in ihrer Blase: »Die Ökos gehen auf die ›Wir haben es satt‹-Demo, und die aktuellen Proteste lassen sich von rechts kapern«, sagt Löhring. Auch AbL-Geschäftsführerin Bar-Tal beobachtet Mobilisierungen, die nur gegen die Ampel agitierten und Verschwörungstheorien verbreiteten. »Das darf aber nicht mit den eigentlichen bäuerlichen Anliegen vermengt werden«, sagt Bar-Tal.

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