Entlastung fürs Jüdische Krankenhaus: Eine Frage des Geldes

Unbefristeter Streik am Jüdischen Krankenhaus geht weiter, Berlin verweigert Finanzierung von Entlastung

Es ist bereits der elfte Streiktag am Jüdischen Krankenhaus (JKB). Zuletzt hatten sich täglich pro Schicht etwa 60 der 840 Beschäftigten im Streiklokal in Wedding getroffen. Nicht so am Donnerstagmorgen: Vor der Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses soll mit einer Kundgebung auf die Verantwortung der Landespolitik für die Arbeitsbedingungen hingewiesen werden. Etwa 100 Mitarbeiter*innen und Unterschützer*innen sind gekommen.

Als gewerkschaftliche Antwort auf die Überlastung des Personals und nach dem Vorbild etlicher Krankenhäuser bundesweit strebt die Belegschaft des JKB einen sogenannten Tarifvertrag Entlastung (TV-E) an. Darüber sollen für jede Station spezifische Personalschlüssel und belastende Situationen und ein Ausgleich durch Freischichten vereinbart werden. Die Hoffnung: Die Arbeitgeber lassen aufgrund der Regelung solche Situationen gar nicht erst zu, sondern stellen mehr Personal ein.

Verdi-Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer berichtet, dass die Klinikleitung nach nunmehr vier Monaten ein erstes eigenes Angebot vorgelegt habe. Aber: »Wenn wir das Angebot der Arbeitgeber annehmen würden, würden wir schlechte Arbeitsbedingungen in einem Tarifvertrag festschreiben«, sagt Neunhöffer. »Für die Beobachtungsstation der Notaufnahme soll der Personalschlüssel von 1:4 auf 1:6 gesenkt werden.« Die Leitung werde sich weiter bewegen müssen. Noch im Tagesverlauf stand eine weitere Verhandlungssitzung an.

Ben Brusniak, Verdi-Gewerkschaftssekretär, teilt »nd« mit: »Wir haben vier Stationen geschlossen und auf drei weiteren die Kapazitäten reduziert. Insgesamt läuft das JKB mit einer Bettenkapazität von 30 Prozent.«

Das JKB hatte sich grundsätzlich bereit erklärt, einen TV-E abzuschließen, jedoch auf die Finanzlage verwiesen. An anderen Häusern, wie den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen, waren die Mittel vom Land gestellt worden. Der Berliner Finanzsenat will davon jedoch nichts wissen. Ein Sprecher verweist gegenüber »nd« auf die Tarifautonomie. »Der Senat ist daher weder in die Tarifauseinandersetzung am JKB involviert noch ist eine Finanzierung eines Tarifvertrags Entlastung am JKB durch den Senat denkbar.«

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»Das Land Berlin ist in Verantwortung«, meint hingegen Neunhöffer. »Es sendet allein fünf Mitglieder in das Kuratorium des Krankenhauses.« Das JKB selbst äußerte sich gegenüber »nd« nicht dazu, inwieweit Anstregungen um öffentliche Gelder unternommen würden.

»Sie machen eine wichtige Arbeit und wir wissen, dass es ein Problem gibt«, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner auf der Kundgebung. »Ich kann aber nicht sagen, was sie hören wollen.« Er wisse zurzeit nicht, wo das Geld herkommen solle. »Ich werde die Frage aber mit in die Koalitionsgespräche nehmen und verspreche, intensiv nach einer guten Lösung zu suchen.«

Unter der politischen Prominenz – es kamen Ricarda Lang (Grüne), Janine Wissler (Linke), der medienpräsente Krankenpfleger Ricardo Lange und nahezu die gesamte Linksfraktion des Abgeordnetenhauses – sucht man Vertreter*innen der regierenden SPD vergeblich.

Die Beschäftigten hätten ihnen viel zu berichten gehabt: von bis zu 35 Patient*innen, für die eine Fachkraft zuständig sei, von Ernährung per Schlauch, weil keine Zeit sei, die Patient*innen zu unterstützen, von Überlastungsanzeigen, die gestellt würden und die von der Pflegedienstleitung mit »Das schaffst du nicht alleine?« beantwortet würden.

»Dass die Arbeitsbedingungen an den Krankenhäusern katastrophal sind, hat sich inzwischen rumgesprochen«, sagt Tobias Schulze, Sprecher für Gesundheit der Linken, zu dem Streiktrupp vor dem Abgeordnetenhaus »doch es gibt keine politische Lösung, deshalb ist es wichtig, dass sie die Gestaltung der Arbeitsbedingungen selbst in die Hand nehmen.«

»Fachlich sind sich alle einig, es gibt kein inhaltliches Argument gegen einen TV-E, also muss Geld fließen«, sagt Gewerkschafterin Neunhöffer. Laut Klinikleitung würde eine TV-E Zusatzkosten von 15 Millionen Euro verursachen. Ein entsprechendes Faktenschreiben sei an mehrere Abgeordnete, den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) gegangen, berichtet der »Tagesspiegel«. Darin weise die Klinikleitung außerdem den Vorwurf zurück, dass es am JKB »patientengefährdende Arbeitsbedingungen« gebe.

Tobias Schulze unterstreicht die Idee eines landeseigenen Fonds für gute Arbeitsbedingungen. Wer entsprechende Bedingungen bereitstelle, könne eine Förderung erhalten. Er verweist aber auch auf den bundespolitischen Rahmen und die anstehende Krankenhausreform: »Wenn die kommt, sehe ich für das JKB keine Überlebenschance.« Neunhöffer sagt, hier muss das Land ebenfalls aktiv werden und sich für eine Krankenhausreform einsetzen, die den Namen verdient.

Schulze benennt auch den 50 Millionen teuren Neubau, dessen Grundstein 2022 gelegt wurde und den das JKB stolz als selbst finanziert darstellen würde. »Es ist aber ein Umweg, weil die öffentliche Hand nicht genug bereitstellt.« Und wo soll das Personal herkommen, wenn an der Charité und Vivantes die Arbeitsbedingungen besser sind? Und sollte das JKB tatsächlich dichtmachen müssen, was wird dann aus dem Neubau?

Abseits der Parteipolitik unterstützen zahlreiche Initiativen, darunter »Gesundheit statt Profite« den Arbeitskampf. Das Bündnis hat eine Spendenkampagne gestartet, um die Differenz zwischen Streikgeld und Lohn während des Arbeitsausstands ausgleichen zu können.

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