Anschläge in Berlin: Rechter Brandstifter wieder nur verwirrt?

Brandgefährliche Kombination rechter Ideologien wird als mögliche Schuldunfähigkeit gedeutet

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.

Ruhig und gefasst stellt der Angeklagte beim Prozessauftakt am Donnerstag dar, wieso er im vergangenen Jahr eine Anschlagserie begangen hat. Bei dem 63-Jährigen laufen verschiedene rechte Ideologien zu einer brandgefährlichen Mischung aus Hass zusammen, die sich in Brandstiftung, Sachbeschädigung und Hetze gegen queere, muslimische und an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnernde Orte und Strukturen entladen hat.

Seine Taten hatte Olaf J. bereits nach seiner Festnahme im August 2023 gestanden; im aktuellen Sicherungsverfahren fordert die Staatsanwaltschaft nun vor dem Berliner Landgericht die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Angeklagte unterliege einer »wahnhaften Störung« und eine Schuldunfähigkeit sei nicht auszuschließen. Seine Verteidigung hingegen fordert einen Strafprozess.

Anfang 2023 hatte J. mehrere Wahlplakate abgerissen, von allen Bundestagsparteien außer der AfD. Auch hatte er die Scheibe einer Bushaltestelle eingeschlagen, um ein Plakat des Bündnisses gegen Homophobie zu entfernen und zu zerreißen. Für den August werden ihm volksverhetzende Schmierereien an muslimischen Orten wie einer Moschee und arabischen Bildungsstätte in Kreuzberg und Neukölln zur Last gelegt. Dort bezeichnete er Muslime unter anderem als »Okkupanten«.

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Tage später beging er drei Brandanschläge. Diese trafen zunächst das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen am Tiergarten. Von dort trieb es ihn in den Grunewald zum Holocaust-Mahnmal »Gleis 17«. Dort zündete er die »Bücherboxx« an, eine zum Bücherregal umgebaute Telefonzelle mit Literatur zu den Verbrechen des Nationalsozialismus. Der dritte Anschlag traf die Vereinsräume des Vereins RuT – Rad und Tat – Offene Initiative Lesbischer Frauen auf der Schillerpromenade in Neukölln. Hier schlug er zunächst die Scheibe ein und warf dann mehrere Brandsätze ins Innere.

Bei seinen Taten hinterließ er meist Bekennerschreiben, die er mit seinem Pseudonym »Kassandros«, teils mit dem Zusatz »Berolinesis« unterschrieben hatte. So konnten ihm auch die verschiedenen Anschläge zugeordnet werden. In den Schreiben werden Bibelverse zitiert, die unter anderem die Vernichtung Ungläubiger prophezeien oder die Tötung von Homosexuellen fordern.

Im Gerichtssaal macht der Rentner keinen Hehl aus seinen politischen Überzeugungen. Er beleidigt die Opfer seiner Taten im Stil seiner Pamphlete aufs Derbste. Queerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus kommen mit christlichem Fundamentalismus und Verschwörungstheorien zusammen. Er habe die Bibel zehn Jahre lang studiert und wolle mit den Anschlägen die Menschen vor den Konsequenzen ihrer Sünden warnen. 2026 werde der dritte Weltkrieg ausbrechen, der die Ehre des deutschen Volkes wiederherstellen werde; er redet von der Auschwitz-Lüge und Novemberverbrechen: Geschichtsrevisionismus pur.

Auf die Frage des Richters, wieso es keine anderen im Alten Testament verurteilten Gruppen treffe, beispielsweise Kinder, die ihre Eltern nicht ehren, hat der Angeklagte keine Antwort.

Ferat Koçak, Sprecher für antifaschistische Politik der Linken im Abgeordnetenhaus, sieht hier eine Beeinflussung der Anschlagspläne nicht nur durch Bibelpassagen, sondern durch gesellschaftliche Diskurse. »Die Abschiebepraxis von Ampel-Regierung und CDU verortet die Gefahr bei Menschen mit Migrationsgeschichte«, sagt er. Bei dem Täter handele es sich um einen überzeugten Nazi und Rechtsextremisten, der zu seinen Taten stehe, daher dürfe man nicht von einem verwirrten Einzeltäter sprechen. Er müsse verurteilt werden, um Nachahmer und rechte Strukturen abzuschrecken.

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