Die Champagne ist jetzt ukrainisch

Kiew treibt seine Entrussifizierungspolitik des öffentlichen Raumes voran

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.

Kiew setzt seine Nationalisierungspolitik fort. Am Mittwoch unterstützte ein Fachkomitee des ukrainischen Parlamentes die Umbenennung von fünf Städten und 104 Dörfern im zweitgrößten Land Europas. Deren russische Bezeichnungen sollen demnächst ukrainisiert werden. »Heute haben wir den historischen Namen zurückbekommen«, berichtete der sichtlich erfreute Abgeordnete Roman Losynskyj in einem Facebook-Video direkt aus der Sitzung und sagte, dass die Küstenstadt Juschne von nun an Port-Anental (richtig wäre Annental) heißen wird.

Für die 30 000-Einwohner-Stadt in der Nähe von Odessa geht damit ein zehnjähriger Prozess zu Ende. Bereits 2014 hatten die Stadtoberen darüber nachgedacht, den russisch angehauchten Namen Juschne (was »südlich« bedeutet) einfach ins ukrainische Piwdenne zu übersetzen. Doch Kiew war dagegen, der Name sei nicht einmalig genug, hieß es. Jetzt, 168 Vorschläge später, fiel die Wahl auf Port-Anental, nach einer Siedlung, die deutsche Kolonisten im 19. Jahrhundert gegründet hatten.

Die Platte bekommt einen deutschen Namen

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Die Entscheidung, eine erst 1978 entstandene Stadt, die komplett aus Plattenbauten besteht, nach einer historischen Siedlung zu benennen, die sich nicht einmal an dem Ort befand, sondern einige Kilometer weiter westlich, stößt nicht bei allen Ukrainern auf Freude. »Diese kleine Speichelleckerei reiht sich ein in die allgemeine Tendenz der aktuellen Regierung, Straßen zu Ehren westlicher Politiker und Monarchen zu benennen, in der Hoffnung, so den Verbündeten irgendwelche Almosen aus dem Kreuz zu leiern«, giftete der bekannte Linke Wjatscheslaw Asarow auf Telegram. In Kiew gibt es seit vergangenem Juli eine Ronald-Reagan-Straße.

Juschne ist in der aktuellen Umbenennungsrunde nicht der einzige Ort, der einen westlich angehauchten Namen erhält. Künftig darf sie die Ukraine auch über ein Neu-Paris und Schampan (Champagne) freuen. Vor allem Letzteres sorgte durchaus für Schmunzeln. Der Wein aus der Region könne sich jetzt Champagner nennen, scherzte der Abgeordnete Oleksij Hontscharenko. Das ist weder aktuell noch historisch korrekt. Denn auch Nadeschdiwka, das seinen Namen zugunsten der französischen Region ablegen musste, war einst eine deutsche Siedlung mit dem schönen Namen Hoffnungstal.

Dekommunisierung seit dem Euromaidan

Die Ukraine betreibt seit dem Euromaidan 2014 eine Dekommunisierungspolitik, die spätestens mit der russischen Invasion im Februar 2022 auch eine offene Derussifizierungs- und letztlich eine Nationalisierungspolitik ist. Bildmächtig wurden im ganzen Land sowjetische Denkmäler abgerissen und Straßenschilder abgenommen, die an Russland erinnerten. Am bekanntesten sicherlich die Umbenennung der viertgrößten Stadt Dnipro, die bis 2016 zu Ehren des sowjetischen Revolutionärs und Politikers Grigori Petroswskij Dnipropetrowsk hieß.

Mit Beginn des Krieges vor zwei Jahren gewann der Prozess an neuer Dynamik. Im ersten Kriegsjahr erhielten 9859 Orte einen neuen Namen. Der Nationalisierungswut mussten zudem 145 Denkmäler weichen, selbst Schriftsteller wie Alexander Puschkin sind nicht mehr sicher. Im April 2023 unterzeichnete Selenskyj ein Gesetz, das für geografische Objekte Bezeichnungen verbietet, die mit Russland verbunden sind. Die Initiatoren des Gesetzes zeigten sich damals überzeugt, den öffentlichen Raum von »aufgedrängter Ideologie« zu säubern und die »historische Gerechtigkeit« wiederherzustellen, indem man nationale Toponymie wiederherstellt und mit aktuellen Helden ergänzt.

Namensträger mit schwieriger Vergangenheit

Dabei machen die ukrainischen Behörden der russischen Propaganda auch immer wieder Geschenke. Anfang März erhielt eine Straße in Nikopol den Namen des Offiziers Petro Djatschenko, der als glühender Nationalist im Zweiten Weltkrieg mit Nazideutschland kollaborierte. Auch Erzbischof Andrej Scheptyzkyj, nach dem jetzt ein ganzer Ort benannt wird, hatte die deutschen Invasoren als Befreier von der Sowjetherrschaft begrüßt und die Aufstellung einer ukrainischen Waffen-SS-Division befürwortet.

Laut einer Umfrage vom Januar 2023 unterstützen 59 Prozent der Ukrainer die Umbenennung von Orten, die irgendwie mit Russland oder der Sowjetunion in Verbindung stehen. Dass die Deutschen von Port-Anental damals auf Einladung des Petersburger Zarenhauses in die kurz zuvor eroberten Gebiete kamen, um für Russlands Krone das Land zu besiedeln, wird dabei zu einem historischen Fakt, den man ruhig vernachlässigen kann.

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