Herzen auf dem Tisch

Diesen Mittwoch gibt es in Berlin eine Benefizlesung deutsch-jüdischer Autoren für die israelisch-palästinensische Friedensinitiative »Parents Circle«

  • Leni Karrer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie kann man angesichts der Gewaltspirale in Nahost jenseits von Verhärtung und Vergeltung noch miteinander sprechen? Den Dialog hat sich die Vereinigung »Parents Circle« auf die Fahnen geschrieben: In verschiedenen Formaten und vor verschiedenen Auditorien treffen sich seit drei Jahrzehnten israelische und palästinensische Familienangehörige, die im andauernden Konflikt ein Familienmitglied verloren haben. So betreibt der Verein Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit, zeigt den Schrecken des Geschehens und setzt sich für ein Ende des Blutvergießens ein.

Den »Parents Circle« unterstützen möchten auch die Autoren Alexander Estis und Slata Roschal, die am heutigen Mittwoch zur Benefizlesung »Eine unwahrscheinliche Existenz« ans Deutsche Theater Berlin einladen. Hier kommen junge Stimmen deutsch-jüdischer Literatur zu Wort: Alexander Estis, Iryna Fingerova, Dmitrij Kapitelman, Slata Roschal und Dana von Suffrin (gelesen von Schauspielerin Daria von Loewenich) gehen in ihren Texten in je individueller Art auf die Ereignisse in Nahost, aschkenasische Familiengeschichten oder Aspekte jüdischer Lebensrealität in Deutschland ein. Musikalisch umrahmt wird der Abend vom Akkordeonisten Michael Saposchnikow.

Dabei handelt es sich bereits um die fünfte Veranstaltung innerhalb einer deutschlandweiten Veranstaltungsreihe, die Alexander Estis und Slata Roschal initiiert haben. Die Münchner Autorin, die mit ihrem lyrischen Roman »153 Formen des Nichtseins« zuletzt für den Deutschen Buchpreis nominiert war, erläutert: »Es geht uns bei dieser Lesung um eine aktive Haltung, einen Ausdruck von Solidarität.« Antisemitische Aussagen und die hässlichsten Aufrufe gegen Israel seien, selbst unter Intellektuellen, unter Autor*innen wie Verleger*innen, wieder salonfähig geworden. Autor, nd-Kolumnist und Kurt-Tucholsky-Preisträger Alexander Estis, dessen 2022 erschienenes Buch »Fluchten« sich unter anderem mit Migrationsgeschichten befasst, verweist daneben auf das Schweigen des Kulturbetriebs nach dem 7. Oktober, auf die darauffolgenden Relativierungen, vermeintlichen Kontextualisierungen und gefährlichen Polarisierungen.

In ihren Texten geht es den Autor*innen jedoch nicht nur um die Auseinandersetzung mit Antisemitismus, sondern auch um das Miteinander von arabischen und jüdischen Menschen, von Deutschen und Juden, um jüdisch-ukrainische Identität mit der doppelten Betroffenheit von Krieg, um das gesamtgesellschaftliche deutsche oder auch das ganz persönliche Verhältnis zu Israel.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Die Texte der Autor*innen widersetzen sich zu simplen, polarisierenden Parteinahmen; über die Literatur wird eine Einfühlung jenseits der politischen Parole möglich. Auch die Mitglieder des »Parents Circle« wollen, dass die Grautöne im Nahost-Konflikt wahrgenommen werden, es geht ihnen um die diversen Perspektiven beider Seiten, um das gegenseitige Zuhören als einen ersten Schritt zur Versöhnung.

Eine Hauptaufgabe dieser Organisation besteht darin, sogenannte Dialogue Meetings zu veranstalten – angeleitete Gespräche zwischen Palästinensern und Israelis. An Schulen und anderen Institutionen teilen Angehörige hierbei ihre persönlichen Geschichten von Verlust und Trauer. Die Teilnehmenden werden so erstmals mit der Trauer der anderen Seite konfrontiert.

Über 300 000 Menschen haben an den Workshops des »Parents Circle« seit seiner Gründung 1998 teilgenommen. »Wie können Sie gleichgültig bleiben, wenn jemand sein Herz auf den Tisch legt?«, fragt eine Teilnehmerin nach einem solchen Treffen.

Auch am Deutschen Theater werden am Mittwoch die Herzen auf den Tisch gelegt.

»Eine unwahrscheinliche Existenz. Stimmen deutsch-jüdischer Literatur nach dem 7. Oktober«, 27.3., 20 Uhr, DT, Berlin

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal