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Einzelhandel: »Wenn wir streiken, bleiben Regale leer«

Heike Dumke, Betriebsrätin der Rewe-Gruppe, im Gespräch über die Streiks im Handel

Ein Streik im Logistik-Lager der Handelsunternehmen verursacht weitaus größeren Schaden als eine Arbeitsniederlegung in den Filialen.
Ein Streik im Logistik-Lager der Handelsunternehmen verursacht weitaus größeren Schaden als eine Arbeitsniederlegung in den Filialen.

Frau Dumke, Sie haben ja schon einige Tarifrunden im Einzelhandel mitgemacht ...

Ja, aber eine Tarifrunde wie diese habe ich noch nicht erlebt. Die ist nicht nur in der Länge einmalig – wir sind mittlerweile im achten Monat in Berlin und Brandenburg. Wenn wir sonst lange im Arbeitskampf waren, haben wir zwischendurch immer weiterverhandelt. Es gab immer das klar erkennbare Ziel, den Tarifvertrag abzuschließen. Jetzt habe ich wie viele Kollegen den Eindruck, dass die Arbeitgeber gar nicht mehr gewillt sind, einen Abschluss zu erreichen.

Im Sommer hat Verdi mehrfach gestreikt. Es gab Kundgebungen und Flashmobs, die Streikenden schienen sehr motiviert.

Es war stimmungsvoll. Wir waren mit etwa Tausend Teilnehmenden immer eine ordentliche Menge an Menschen, die gestreikt haben. Auch jetzt, nach so langer Zeit, sind wir immer noch sehr viele.

Aber natürlich werden es weniger Leute, die streiken.

Das kann man so nicht sagen. Klar brechen immer Leute weg, dafür kommen andere dazu, die einfach so die Schnauze voll haben von dem Theater. Gerade in den großen Lebensmittelunternehmen verstehen viele nicht, dass die Arbeitgeber freiwillig mehr Gehalt zahlen, aber keinen Tarifvertrag wollen. Dass die Stimmung in den Betrieben schlecht ist, bedeutet aber nicht automatisch, dass alle bereit sind etwas zu tun. Es treten dennoch viele deswegen in den Streik hinzu. Wir wollen endlich einen Tarifvertrag und werden alles dafür tun.

Interview

Heike Dumke, Betriebsratsmitglied der Rewe-Gruppe, hat 1982 bei Bolle in Westberlin Einzelhandelskauffrau gelernt, ist seitdem in der Gewerkschaft und seit 1984 im Betriebsrat
Verdi bestreikt am 2. und 3. April erneut den Einzel-, Groß- und Pharmahandel. Kernforderung ist 2,50 Euro mehr Lohn pro Stunde. Die Verhandlungen sind vor Monaten zum Erliegen gekommen.

Warum zahlen die Arbeitgeber freiwillig mehr?

Das machen unter anderem Penny, Rewe, Kaufland, Lidl, Edeka und auch Ikea. Es ist eine Reaktion auf unsere Streiks. Sie wollen, dass wir streikmüde werden und nicht mehr so viele mit rauskommen. Denn entgegen dem, was die Arbeitgeber öffentlich behaupten, tun die Streiks weh. Wenn wir selber streiken, bleiben Regale leer, und wenn die Logistik-Lager auch bestreikt werden, wie Donnerstag in Lübbenau, dann sind die Verluste für die Arbeitgeber noch größer, auch wenn sie versuchen, das mit von weit hergeholten Streikbrechern zu kompensieren.

Sie setzen weiterhin auf Warnstreiks. Wurden mal andere Ideen diskutiert, wie mehr Druck entfaltet werden kann, Erzwingungsstreiks zum Beispiel?

Nein, bis jetzt nicht.

Die Arbeitgeber verweisen darauf, dass die Tarifauseinandersetzung auf die größte jemals erlebte Krise des Einzelhandels trifft. Wie ordnen Sie die wirtschaftliche Situation der Branche ein?

Die Branche ist differenziert aufgestellt. Die großen Lebensmittelhändler und auch Ikea weisen seit Jahren, insbesondere auch durch die zurückliegenden Krisen, Gewinnmargen aus. Genaue Zahlen kenne ich nur von der Rewe-Gruppe. Eigentlich wissen sie gar nicht, wohin mit dem Geld, nur eine Beteiligung der Mitarbeiter, die findet nicht statt. Viele kleine und mittlere Betriebe, denen es zum Teil schlecht geht, sind gar nicht mehr tarifgebunden. Warum diese Unternehmen für den künftigen Tarifvertrag mitgedacht werden sollen, erschließt sich mir nicht.

Wenn die Branche so vielfältig ist, ist ein Branchentarifvertrag dann noch die richtige Idee?

Das denke ich schon. Kleine Betriebe erhalten über die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband viele Vorteile, die gibt es aber nur, wenn da größere Unternehmen hinterstehen. Ich rede für die kleinen Selbstständigen, die in den Innenstädten oder auch in kleineren Städten ihre Läden, ihre Boutiquen haben. Du kannst heutzutage keine Mitarbeiter mehr generieren, wenn du nicht ordentlich bezahlst. Und wenn die Unternehmen freiwillig mehr Gehalt zahlen, geht es offenbar nicht ums Geld, sondern darum, dass sie nach Gutsherren-Prinzip agieren wollen.

Der Organisationsgrad im Einzelhandel ist traditionell niedrig. Warum ist das so?

Die Branche besticht durch eine hohe Teilzeitquote, dadurch wird weniger Geld verdient und sich natürlich überlegt, ob man sich den Gewerkschaftsbeitrag leisten will. Die Teilzeitverträge kriegen wir nicht weg, also müssen wir anders punkten, eben über das Gehalt. Das gelingt uns mal besser, mal weniger gut.

Dennoch, in Berlin und Brandenburg arbeitet eine sechsstellige Zahl von Menschen im Einzelhandel. Dem stehen 1000 Beschäftigte auf den Streikkundgebungen gegenüber.

Es ist eine Schwierigkeit, die Mitglieder zu den Kundgebungen oder gar zum Streik zu bewegen. Wenn es mal gelingen würde, dass alle Mitglieder in den Streik treten, wären es schon 6000. Es gibt viele Gründe, warum der Einzelne nicht kommt, allein schon, wenn der Streik auf einen freien Tag fällt. Andererseits haben wir im Zuge des laufenden Arbeitskampfes viele neue Mitglieder gewonnen.

Wie verteilt sich der Organisationsgrad in Berlin?

Gut aufgestellt sind wir in den Märkten in der Ackerhalle in der Invalidenstraße, in beiden Filialen in der Schönhauser Allee und am Helene-Weigel-Platz in Marzahn. Aber je weiter du rauskommst Richtung Stadtrand, desto dünner wird es.

Im Sommer haben die Belegschaften einiger Penny-Märkte die Filialen so bestreikt, dass sie nicht öffnen konnten. Heute kommen die Beschäftigten nicht mehr zum Streik, unter anderem weil so viel liegengebliebene Arbeit nachgeholt werden musste.

Was da gelaufen ist, war teilweise grenzwertig. Sie hätten sich aber auch mehr wehren können. Das haben sie aus verschiedenen Gründen nicht getan. Die wurden von den Vorgesetzten dahingehend unter Druck gesetzt, dass es negative Konsequenzen hätte, wenn sie am Streik teilnehmen würden.

Von verschiedenen Seiten wird auch die Struktur von Verdi kritisiert. Die Tarifverträge laufen in den Bundesländern über unterschiedliche Zeiträume. Gleichzeitig sollen die Abschlüsse bundesweit koordiniert werden, obwohl jedes Land für sich abschließt – ein unübersichtlicher Mix aus Bundes- und Landeskompetenz.

Ich finde es richtig, dass wir Tarifautonomie haben und dass wir in den Landesbezirken entscheiden und nicht im Bund. Ein Bundestarifvertrag würde das schlechteste Landesniveau für alle bedeuten. Gleichzeitig müssen wir das Geschehen dahingehend koordinieren, dass nicht das schwächste Land zuerst einen Vertrag zu den billigsten Konditionen abschließt und damit für die anderen zum Präzedenzfall wird. Außerdem sind die Verträge derzeit so unterschiedlich gestaltet, dass es überall Vorteile gibt, die wir nicht aufgeben wollen.

Das heißt, wir warten eigentlich auf einen Abschluss der stärksten Landesverbände. Welche sind das?

Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Und wann denken Sie wird die Unterschrift da sein? Was wird Verdi bis dahin in Berlin und Brandenburg noch tun?

Schwer zu sagen, ich hoffe vor der Sommerpause. Bis dahin werden wir weiter immer wieder streiken. Bisher tut sich meines Wissens nach aber bundesweit nichts. Die Kollegen haben nirgendwo ein Angebot für einen weiteren Verhandlungstermin.

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