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Die Sojaspur am Mittellandkanal
Auf einer Floß- und Fahrradtour demonstrieren die Organisationen Robin Wood und Aktion Agrar gegen Sojaimporte
Ist das eine grüne Riesenraupe, die die ergraute Fassade hochkrabbelt, dort drüben auf der anderen Uferseite? Aus der Ferne könnte man das meinen. Doch was sich da in einiger Entfernung nach oben bewegt, ist kein mutiertes Insekt – es sind die T-Shirts von sechs Aktivist*innen der Umweltorganisation Robin Wood, die gerade eine Rettungsleiter hinaufsteigen. Oben angekommen, teilen sie sich auf: Vier erklimmen eine weitere Leiter, die auf den nächsthöheren Gebäudeteil führt; zwei von ihnen klettern zudem die darüberliegenden Sprossen hinauf. Noch sind die grünen Flecken auf der verschachtelten Industrieanlage weitgehend unbemerkt.
Das ändert sich, als sie drei große rote Banner an den verschiedenen Gebäudeblöcken entrollen. »Soja« steht auf einem in weißer Schrift, »Profit« auf dem mittleren und »Raubbau« auf dem dritten. Über diesen Botschaften prangt in großen roten Lettern der Firmenname Mega, dessen Futtermittelwerk im sachsen-anhaltischen Haldensleben an diesem Morgen Ziel einer orchestrierten Protestaktion wird.
Kein gewöhnlicher Arbeitstag
Spätestens als wenige Augenblicke später eine kleine Gruppe von Fahrradfahrer*innen in Tierkostümen und klingelnd auf das Gelände des Geflügelfutterherstellers fährt, ist klar, dass es für die Angestellten des Werks kein gewöhnlicher Arbeitstag wird. Perfekt getimt schippert dann auch noch ein Holzfloß den Mittellandkanal entlang, an dem sich das Werk befindet. Das Wassergefährt platziert sich so vor dem grauen Gebäude, dass man von der anderen Uferseite gut den Schriftzug auf seinem Schrägdach lesen kann: »Für Wälder, Vielfalt und Höfe!« und »Soja nicht verfüttern!« lautet die Botschaft; darunter befindet sich neben dem Logo von Robin Wood auch jenes von Aktion Agrar, einer Organisation, die die Agrarwende vorantreiben möchte.
Eine der Gründerinnen, Jutta Sundermann, sieht vom anderen Ufer dabei zu, wie die ersten Polizeiautos eintrudeln und die Aktionskletter*innen ihren Rückzug antreten. Sie ist sichtlich erleichtert, dass alles nach Plan gelaufen ist und nimmt sich Zeit, um den Protest zu erklären: Mit seinen vier Standorten sei Mega der größte Produzent von Geflügelfutter in Deutschland. Das Unternehmen gehört zur PHW-Gruppe, deren bekannteste Marke Wiesenhof ist. Wegen des hohen Proteingehalts ist Sojaschrot wichtig für die Ernährung von Hochleistungshühnern. Die Sojabohnen stammen dabei zu einem großen Teil aus den USA oder Brasilien, wo für den Anbau in großem Stil wertvoller Wald abgeholzt wird. Hunderttausende Tonnen Soja landen Jahr für Jahr im niedersächsischen Brake, Deutschlands wichtigstem Importhafen für Tierfutter. Dort wird die Ware weiter verteilt. Ein Teil gelangt über die Weser und den Mittellandkanal nach Haldensleben.
Um darauf aufmerksam zu machen, haben sich Robin Wood und Aktion Agrar zusammengetan: für eine zweiwöchige Floß- und Radtour von Magdeburg bis Hannover, den Mittellandkanal entlang – eine ähnliche Route fahren viele Futtertransportschiffe Tag für Tag.
Nachdem auf der anderen Uferseite Ruhe eingekehrt ist, schwingt sich Sundermann aufs Rad. Später erzählt sie im Schatten einer Bank, dass Brasilien inzwischen der weltweit größte Sojaproduzent sei. Für den europäischen Hunger nach Fleisch wurden laut Daten des World Ressource Institutes allein zwischen 2001 und 2015 eine Fläche an Wald für Sojafuttermittel gerodet, die größer als Niedersachsen ist, fast die Hälfte davon im Amazonasgebiet.
Zwar reduzierte sich die Entwaldung des brasilianischen Regenwaldes mit dem 2006 eingeführten Soja-Moratorium erheblich. Doch in großen Teilen habe sich das Problem einfach nur verlagert, so Sundermann. Etwa in den Cerrado, der artenreichsten Savanne der Welt, dort schreitet die Entwaldung immer noch in erschreckendem Tempo voran. Die Konsequenzen sind seit Langem bekannt: Mit den Bäumen geht ein wertvoller CO2-Speicher verloren, das Lebensgebiet von Wildtieren wird zerstört und Brandrodungen geraten regelmäßig außer Kontrolle. Deshalb steht die Tour unter dem Motto »Soja grillt Zukunft«.
Dieser Spruch ziert das zweite Banner, des Floßes, das gerade wieder am Sportboothafen anlegt. Schon seit zwanzig Jahren ist das Floß mit dem Namen »Robina Wood« auf Deutschlands Gewässern unterwegs. Auch Aktion Agrar veranstaltet schon viele Jahre Aktionsradtouren. Dass beide Akteure sich zu einer Floß- und Fahrradtour zusammengeschlossen haben, ist eine Premiere. Genau wie der Umstand, dass das Floß dieses Jahr von einem Elektromotor angetrieben wird. Das bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich, wie die Aktivist*innen schon bitter erfahren mussten. Noch sind aber heute die Akkus voll.
Am nächsten Tag sammeln sich gegen 9 Uhr etwa ein Dutzend Fahrradfahrer*innen auf der Zeltwiese. Für die Fraktion von Aktion Agrar führt die Etappe von Haldensleben ins beschauliche Calvörde – zu einem Abstecher bei einem Galloway-Zuchtbetrieb. Für den Verein aus Magdeburg steht bei der Tour die Frage im Vordergrund, welche Alternativen es zu importiertem Soja gibt. Und in Calvörde gibt es ein positives Beispiel. Im Unterschied zu hochgezüchteten Kühen benötigen die kleinen und robusten Galloways kein Kraftfutter. Die Tiere überstehen harte Winter auf der Weide und können sich ausschließlich von Gras und Heu ernähren.
Einen weiteren Schlüssel für die »Eiweißwende« sieht Sundermann in heimischen Eiweißpflanzen, die der Mensch direkt verzehren kann, ohne den »Umweg« Tier. Denn bislang kommen viele der pflanzlichen Eiweißträger, wie etwa Linsen, von weit her. Sundermann lobt, dass die Ampel-Regierung bei der seit 2012 bestehenden Eiweiß-Pflanzenstrategie nachgebessert hat und weiter daran arbeitet.
Bis das Floß ablegt, wird es aber noch dauern. Grund dafür ist die Etappenplanung. Denn mit dem Elektromotor kann das Floß nur deutlich kürzere Strecken fahren als berechnet. Nach den unfreiwilligen Verzögerungen am Vortag steht fest: Ein Generator zum Aufladen der Batterien muss her. Nur, es ist gar nicht so einfach, ein passendes Gerät zu finden. Zur Aufgabe gemacht hat sich das der Robin-Wood-Aktivist Alexander Gerschner.
Anstatt am Steuer sitzt er nun barfuß am Laptop und recherchiert. Mehrmals greift er zum Handy, um Baumärkte und Bekannte anzurufen – doch ohne Erfolg. Seine neunjährige Tochter Ronja lässt sich nicht von der Warterei beeindrucken und spielt Uno. Die fünf weiteren Mitglieder von Robin Wood, die heute mitfahren, werden aber langsam ungeduldig.
Auch wenn die Aufbruchstimmung noch so groß ist: Zeit für eine Sicherheitseinweisung muss sein. Gerschner gibt einen kurzen Überblick über Seemannsknoten. Er hält sich an einem der fünf Pfähle fest, die die Wand des Floßes bilden und erklärt die Verhaltensregeln an Bord.
Es ist schon Mittag, als Ronja in ein riesiges Schneckengehäuse bläst und das Floß, begleitet von den Tönen des natürlichen Schiffshorns, ablegt. Mit 5,5 Kilometern pro Stunde geht es den Mittellandkanal entlang – mit 325 Kilometern die längste künstliche Wasserstraße Deutschlands. Doch egal, ob das Ufer aus Beton besteht oder mit Buschwerk verziert ist: Das Schippern über die Wasserstraße hat etwas Beruhigendes. Es weht eine leichte Brise und das Dach des Floßes spendet Schatten. Ab und zu kommt ein großes Binnenschiff entgegen, und die Besatzung fragt sich, ob es wohl Soja aus Brasilien transportiert.
Ein vorbildliches Unternehmen?
Das Unternehmen, auf dessen Dach die Aktivist*innen gestern gestiegen sind, möchte mit der Entwaldung durch Sojaanbau nichts zu tun haben: »Der nachhaltige Bezug von Sojaschrot im Geflügelfutter nimmt seit vielen Jahren einen hohen Stellenwert sein«, schreibt Mega auf Nachfrage des »nd«. Konkret verfüge die PHW-Gruppe bereits seit über zwei Jahren »über freiwillige Leitlinien«, um nicht mehr auf Soja und Palmöl für in Deutschland produziertes Geflügel zurückzugreifen, für das Wald abgeholzt wurde.
Fenna Otten, Tropenwaldreferentin von Robin Wood, macht diese Formulierung stutzig: »Da nur Bezug auf das in Deutschland aufgezogene Geflügel genommen wird, liegt es nahe, dass Mischfutter, das nicht entwaldungsfrei ist, von anderen Tochterfirmen der PHW-Gruppe außerhalb von Deutschland verarbeitet werden könnte«, erklärt sie.
Mega verweist auf weitere Zertifikate, die sicherstellen sollen, dass für das verarbeitete Soja keine Bäume gefällt werden mussten. Tina Lutz, die bei der Deutschen Umwelthilfe zu entwaldungsfreien Lieferketten arbeitet, beobachtet bei PHW diesbezüglich schon länger eine positive Entwicklung. Die Expertin führt das darauf zurück, dass Wiesenhof als bekannte Marke häufig im Fokus von Umwelt- und Tierschutzkampagnen steht.
Otten hält das Vorgehen von Mega trotzdem für Marketing. Ohnehin gehe das Problem über diesen einzelnen Konzern hinaus. Mit einer freiwilligen Zertifizierung allein lasse sich wenig gegen die gewaltige Naturzerstörung ausrichten, so die Tropenwaldreferentin. Deshalb begrüßt sie es, dass im Dezember die Übergangsfrist für die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten endet und Kontrollen beginnen. Damit soll garantiert werden, dass eine Reihe von Produkten, die in die EU eingeführt werden, ohne Abholzung gewonnen werden.
Die Verordnung sei ein Schritt in die richtige Richtung, meint Otten. Auch wenn sie bei Weitem nicht perfekt sei. Denn große Flächen der Baum- und Buschsavannen des Cerrado seien von der Regelung ausgeschlossen. Und auch Anbaugebiete, die vor 2021 gerodet wurden, gälten nach der Verordnung als entwaldungsfrei, obwohl sie es nicht sind.
Für Otten ist deshalb klar: »Um das Problem wirklich anzugehen, muss das ganze System Tierhaltung umgebaut werden.« Dazu gehört eine deutliche Reduktion der Tierzahlen, aber auch die Mast in Rekordzeit müsse beendet werden – dann wäre man auch nicht mehr auf das Hochleistungsfutter Soja angewiesen. Weltweit würden viel zu viele Ressourcen für die Erzeugung von Fleisch und tierischen Produkten verbraucht werden – die Zertifizierung von Tierfutter sei da nur reine Symptombekämpfung.
Grüne Shirts und Blaulicht
Plötzlich taucht am Ufer ein Polizeiauto auf. Es begleitet das Floß eine kurze Zeit auf einem Feldweg und verschwindet dann wieder. Nach dem Protest am Vortag sind die Behörden wohl alarmiert und befürchten weitere Aktionen. Schnell wird klar, warum sich die Polizei gerade jetzt blicken lässt: Auf der anderen Uferseite taucht eine Fabrik der Agravis-Tochter Baro auf. Agravis zählt zu den größten Agrarhandelsunternehmen Norddeutschlands und importiert in großem Stil Soja aus Brasilien. Das Unternehmen ist ein Beispiel dafür, wie schwierig eine transparente Lieferkettenverfolgung von Soja ist – aller Zertifikate zum Trotz. Denn während der Konzern mit der Einhaltung von sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsstandards wirbt, hat die Menschenrechtsorganisation Christliche Initiative Romero massive Menschenrechtsverletzungen an einer indigenen Gemeinschaft in Brasilien dokumentiert, in die der Soja-Konzern Coamo verwickelt gewesen sein soll. Coamo wiederum ist exklusiver Soja-Zulieferer von Agravis in Deutschland.
Auf Höhe der Fabrikanlage scheint zwischen zwei großen Büschen das Blau-Grün des Polizeiautos hindurch. Die Robin-Wood-Aktivist*innen winken den Arbeiter*innen freundlich zu. Es bleibt ruhig. Heute zumindest.
Aber am nächsten Tag sorgen wieder Menschen in grünen T-Shirts mit einer Kletteraktion in der Nähe einer weiteren Agravis-Futtermittelanlage für Aufmerksamkeit. Dieses Mal besteigen sie unweit von Wolfsburg eine Brücke und spannen zwischen den Brückenträgern ein großes Banner mit der Aufschrift: »Stoppt den Raubbau«. Die Aktionen am Mittellandkanal machen sichtbar: Das Feuer, das in Brasilien Wälder und ganze Ökosysteme vernichtet, wird auch hier entfacht – mitten in Deutschland.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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