75 Jahre IG Metall: Mit Tarifautonomie und gefüllter Streikkasse

Deutschlands größte Einzelgewerkschaft IG Metall wird 75. Derzeit geht es ihr mehr ums Geld als um die Arbeitszeit

  • Christian Ebner
  • Lesedauer: 4 Min.
Anfang Juli bei einem bundesweiten Aktionstag für die Zukunft der Beschäftigten der Mercedes-Benz-Niederlassungen
Anfang Juli bei einem bundesweiten Aktionstag für die Zukunft der Beschäftigten der Mercedes-Benz-Niederlassungen

Auf eine große Feier zu ihrer Gründung vor 75 Jahren will die IG Metall verzichten, sieht sich doch Deutschlands mächtigste Einzelgewerkschaft in einer Tradition, die bis tief ins deutsche Kaiserreich zurückreicht. Aber am 1. September 1949 – wenige Tage nach der ersten Bundestagswahl und noch vor der Wahl Konrad Adenauers zum Kanzler – musste sich die Gewerkschaft neu erfinden. Heutzutage gehört sie zu den Kraftzentren der Bundesrepublik und hat sich in schwierigen Zeiten für die Tarifverhandlungen im Herbst einiges vorgenommen.

Unter der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft zwischen 1933 und 1945 hatten die schnell gleichgeschalteten Gewerkschaften ihre Errungenschaften aus der Weimarer Zeit wieder verloren. Viele ihrer Mitglieder wurden von den Nazis verfolgt und umgebracht. »Der Kampf gegen Faschismus und Rassismus und für Demokratie ist Teil unserer DNA. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Demokratie gehen Hand in Hand«, sagt die derzeitige Vorsitzende Christiane Benner.

Tarifautonomie statt politischer Streiks

Nach Kriegsende etablierten sich zwar umgehend Arbeiterräte in den Betrieben, die Alliierten verhinderten in ihren Zonen jedoch die schnelle Neugründung von landesweiten Gewerkschaften. Insbesondere ein Zusammenschluss mit dem FDGB aus der sowjetischen Besatzungszone kam nicht in Frage, wie die Historikerin Helga Grebing in ihrem Standardwerk zur deutschen Arbeiterbewegung festgehalten hat. Ebenso wenig ließ sich die Idee einer allgemeinen Gewerkschaft für sämtliche Branchen durchsetzen, wie sie der spätere DGB-Chef Hans Böckler angestrebt hatte. Vor allem die Briten fürchteten eine undemokratische Machtposition bei einer solchen Struktur.

Letztlich wurde im Oktober 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund als Zusammenschluss von 16 Industriegewerkschaften gegründet, mit der IG Metall in Frankfurt (Main) an der Spitze. Diese bestimmten ihre Tarifpolitik selbst, während der von ihnen finanzierte Dachverband die politische Interessenvertretung der Arbeiterschaft übernahm – ohne die sogar gesetzlich verbotene Möglichkeit, für politische Streiks die Massen auf die Straßen zu bringen.

Wie die anderen DGB-Gewerkschaften wurde auch die IG Metall als Einheitsgewerkschaft ohne parteipolitische oder konfessionelle Bindung gegründet. Montan-Mitbestimmung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, mehr Urlaub, mehr Geld und immer wieder der Kampf um kürzere Arbeitszeiten waren die bestimmenden Themen. Teilweise kam es zu harten Arbeitskämpfen. Meilensteine waren die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (1957), die Fünf-Tage-Woche und schließlich die 35-Stunden-Woche, die erst 1995 vollständig umgesetzt war und in vielen anderen Wirtschaftszweigen weiterhin nicht gilt.

Nach den Gründungsvorsitzenden Walter Freitag und Hans Brümmer bestimmten bekannte Gewerkschafter wie Otto Brenner, Franz Steinkühler oder Berthold Huber die Geschicke der Organisation. Seit dem vergangenen Oktober steht mit Christiane Benner erstmals eine Frau an der Spitze des einstigen Männerladens IG Metall.

Längst hat die Gewerkschaft akzeptiert, dass die wichtigen Industriesparten Auto, Maschinenbau und Stahl vor gewaltigen Umbrüchen stehen, wenn digital und klimaneutral produziert werden muss. »Was sich dabei aber nicht geändert hat, ist unser Einsatz, unser Einstehen für die Beschäftigten. Sie brauchen Sicherheit und eine klare Perspektive, wie ihr Arbeitsplatz in Zukunft aussieht«, sagt Benner. »Für diese klare Perspektive brauchen wir jetzt Investitionen und zwar im großen Stil, von Unternehmen und der Politik.«

Am stärksten sind die Metaller in der Autoindustrie und reden besonders beim Branchenriesen Volkswagen auch betrieblich ein gewichtiges Wort mit. Am Stammsitz Wolfsburg hat die IG Metall ihre mit Abstand größte Geschäftsstelle, vertritt nach etlichen Fusionen auch IT-Fachkräfte sowie Beschäftigte der Textil- oder der Holzindustrie. Seit 2011 hat die größte deutsche Einzelgewerkschaft den Mitgliederschwund nahezu gestoppt und zählte zum Beginn dieses Jahres exakt 2 136 326 Menschen. Deren Beiträge summierten sich 2023 auf den Rekordwert von 620 Millionen Euro im Jahr. »Der Mitgliederzulauf in den Betrieben gewährleistet: Unsere Streikkasse ist gut gefüllt«, stellt die ebenfalls neue Hauptkassiererin Nadine Boguslawski fest.

Größte Geschäftsstelle in Wolfsburg

Lange Streiks sind indes selten geworden. Auch beim wichtigsten Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie ist es in den vergangenen Jahren höchstens zu befristeten Warnstreiks gekommen. In die anstehende Tarifrunde für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten zieht die IG Metall mit einer Forderung nach sieben Prozent mehr Gehalt, während die Arbeitszeit eher am Rande eine Rolle spielt. »Die Beschäftigten kämpfen mit den anhaltend hohen Preisen, im Supermarkt, fürs Wohnen, für den täglichen Bedarf. Wir kämpfen gemeinsam mit ihnen für mehr Geld, damit sie sich mehr leisten können«, sagt Benner.

Für den Unternehmerverband Gesamtmetall ist die Forderung wie üblich zu hoch. »Es gibt wahrlich angenehmere Dinge, als mit der IG Metall zu verhandeln«, sagt sein Chef Stefan Wolf. »Aber am Ende gelingt uns immer ein Kompromiss, der besser und praxisgerechter ist als jedes Gesetz. Herzlichen Glückwunsch zu 75 Jahren, IG Metall!«

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