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Cesare Paveses Tagebuch aus der Zeit des Faschismus ist neu aufgelegt worden
Als das faschistische Regime Benito Mussolinis den Dichter Cesare Pavese 1935 in die Verbannung schickte, durfte dieser zwar weiterarbeiten an seiner Literatur, litt aber immens, weil seine Freunde fern waren und Ungeziefer sich breit machte in seinem spärlich möblierten Zimmer. In dem weit abgelegenen Nest Brancaleone in Kalabrien wurde sein Tagebuch zu dem einzigen Gesprächspartner, mit dem der Dichter sich austauschen konnte über die unaufhörlich in ihm rumorenden Gedanken und Gefühle.
Es entstand in stürmischen Zeiten. Mussolini regierte Italien diktatorisch; der Zweite Weltkrieg brach mit all seiner ungeheuerlichen Gewalt über die Menschen herein; nach den langen, blutigen Kämpfen gegen Faschismus und Nationalsozialismus kam es schließlich zu einer kurzen Phase, in welcher die Hoffnung, die Welt könnte eine freundlichere werden, Blüten trieb. Und Pavese immer mittendrin. Er kämpfte gegen die Faschisten, trat für ein anderes, zivilisiertes, weltoffenes Italien ein, wurde 1945 Mitglied der Kommunistischen Partei. In seinem Tagebuch aber fanden alle diese äußeren Ereignisse kaum Niederschlag; stattdessen Auseinandersetzungen mit dem Schreiben und der Literatur, mit der Liebe, der Mythologie und der Religion. Paveses Tagebuch ist die Biografie seines Denkens.
Heutzutage winkt eine Mehrzahl der Menschen in unseren Breiten entschieden ab, wenn von Religion die Rede ist. Das sei Aberglaube, heißt es dann meist, und allzuoft die Wurzel von Fanatismus. Cesare Pavese hingegen begegnete den Texten der antiken griechischen, römischen und christlichen Mythologien voller Wissbegier. Poesie und Religion, notierte er im Tagebuch, sind enge Verwandte; beiden gehe es darum, unsere in vielem rätselhafte Existenz verstehbar zu machen. Zahlreich die Anmerkungen von Pavese zu modernen amerikanischen Dichter*innen wie Sherwood Anderson, Gertrude Stein oder Ernest Hemingway, deren Bücher er ins Italienische übersetzte. Die Amerikaner, konstatierte der Autor bewundernd, sehen Alltagsdinge nie als gewöhnlich an, sondern als verbunden mit einem größeren Zusammenhang.
Seine eigene Schreibweise, die Pavese beim Eintauchen in uralte und in hochmoderne Texte allmählich entwickelte, besticht durch einfache, kurze Sätze, mit denen er die konkrete Alltagswirklichkeit nüchtern schildert. Das war neu, anders, bahnbrechend – ein Gegengift zu der pathetischen Heimatverklärung, mit der die Faschisten die Welt überziehen. Für Roberto Rossellini und die anderen Regisseure, die in jenen Jahren dabei waren, den italienischen Neorealismus zu erfinden, ist Pavese prägendes stilistisches Vorbild gewesen.
Paveses Stil war ein Gegengift zu der pathetischen Heimatverklärung,mit der die Faschisten die Welt überziehen.
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Wenn der Dichter sich im Tagebuch über seine zahlreichen Liebeseuphorien und Liebesrückschläge auslässt, fasst er ein heißes Eisen der modernen Kunstgeschichte an, die Frage nämlich, ob die Liebe der künstlerischen Entfaltung nicht im Weg steht? Pavese hatte sich in seinen früheren Jahren als jemanden gesehen, der alles dem Schreiben unterordnet und deshalb mit niemandem eng zusammenleben könne. Ein Selbstentwurf, der zunehmend Risse bekam. Beim späten Pavese steht beispielsweise zu lesen, er besäße nicht mehr die körperliche und seelische Kraft, das moderne Künstlerideal der unabhängigen, einsamen Existenz durchzuhalten. Die wirklich große Bestätigung, schrieb er, ist die Liebe, die Umschlingung der Körper.
Als Pavese sich Ende der 40er Jahre in die amerikanische Schauspielerin Constance Dowling verliebte, keimte die Hoffnung in ihm, eine Frau fürs Leben gefunden zu haben, die aber, wie bereits einige Male zuvor schon, schrecklich enttäuscht wurde. In eben dieser Zeit war Pavese großer Erfolg beschieden. Seine Bücher verkauften sich glänzend, er genoss in Italien das Ansehen eines gefragten öffentlichen Intellektuellen und Literaturstars. Das konnte offenbar die schwerer und schwerer werdende Niedergeschlagenheit, die aus seinem Tagebuch spricht, nicht kompensieren. 1950, im Alter von gerade erst 42 Jahren, nahm Pavese sich in einem Turiner Hotel das Leben.
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Es ist viel über die Motive spekuliert worden. Ein Mangel an Liebesglück, das wiederholte Scheitern von Paveses Beziehungen, gelten als entscheidende Auslöser für die Tat. Die deutsche Literaturforscherin Verena Lenzen sieht es anders. Pavese, gibt sie zu bedenken, habe seine inneren Widersprüche und Konflikte schreibend derart in die Extreme getrieben, dass er sie nicht mehr auszuhalten vermochte.
Liest man in seinem Tagebuch, begegnet einem Paveses Zerrissenheit Seite um Seite. Mal verleiht er seinem Wunsch nach absoluter Freiheit entschieden Geltung, mal ebenso entschieden dem nach dauerhafter Verbundenheit. Mal zeigt er sich befriedigt angesichts der seinen Büchern zuteil werdenden öffentlichen Anerkennung, mal ist er verzweifelt, weil die Literatur bloß eine Ware ist, die der Geldvermehrung von Geschäftsleuten dient. Mal feiert er die Schriftsteller als Mönche der Moderne, welche den Menschen ermöglichen, die Tiefendimensionen des Alltagslebens besser zu erkennen, mal fällt er in tiefe Resignation, weil die Ansichten der Massen von reiner Propaganda bestimmt werden und die Literatur dagegen nichts ausrichten kann. Ein paar Zeilen später wieder rät er allen Schreibenden, sich ein zweites Standbein zu schaffen, einen Beruf zu ergreifen, der unabhängig macht von den Zwängen des Marktes. »In jedem beliebigen Moment muss der Schriftsteller sagen können: Nein, das schreibe ich nicht.«
Es gibt sogar Passagen im Tagebuch dieses literaturtrunkenen Dichters, da geht Pavese so weit, seine Passion mit Bausch und Bogen zu verwerfen. Viel wichtiger als alle Literatur und alles Denken, verkündet er darin, ist die Nächstenliebe, die den Schmerz eines anderen zum gemeinsamen Schicksal erklärt und dadurch Voraussetzung ist für ein von Güte und Gerechtigkeit bestimmtes Zusammenleben. Für derlei Aspekte sei die Wahrnehmung des Egoisten, dessen zukünftige gesellschaftliche Dominanz Pavese vorausahnt, vollkommen vernagelt.
Ganz gewiss handelt es sich bei Cesare Pavese um einen Schriftsteller aus einer lange zurückliegenden Zeit. Sein Tagebuch aber liest sich, als wäre es verfasst worden von jemandem, der in dem Slalom unserer Tage, die immer wieder zu heftigen geistigen Konflikten und Positionswechseln nötigen, unterwegs ist – und dessen Denken sich einfach nicht zusammenfügen will zu einer griffigen, harmonischen Welthaltung.
Was Pavese aber auszeichnet, ist, dass er festhält an Intellektualität. Stets ist er bereit, einmal eingenommene Positionen infrage zu stellen, auf ihre Konsequenzen und ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, weiter nachzudenken. Weil in Paveses Tagebuch der Mythos vom genialen und erfolgreichen Künstler zurücktritt und stattdessen ein Mensch in seinen Nöten, Krisen und Schwächen zum Vorschein kommt, ist es ein hochaktueller Text.
Cesar Pavese: Das Handwerk des Lebes. A. d. Italien. v. Maja Pflug. Rotpunkt, 460 S., geb., 32 €.
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