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Äpfel und Kirschen vergleichen

Unzureichende Gegenwartsanalyse: Das Theater Magdeburg und an die Berliner Sophiensæle bringen russische Klassiker in neuem Gewand auf die Bühne

Es muss nicht immer Mallorca sein, Brandenburg ist auch schön – zumindest in »Datscha« nach Gorki.
Es muss nicht immer Mallorca sein, Brandenburg ist auch schön – zumindest in »Datscha« nach Gorki.

Keine Eisenstein-Retrospektive im Kino, kein Bulgakow in den Buchhandlungen, keine russische Star-Sopranistin in der Oper. Und auch keine russischen Klassiker mehr auf den Theaterbühnen. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 waren die Rufe derjenigen deutlich zu vernehmen, die die Wirtschaftssanktionen gegen Russland mit ihrer bescheidenen Wirkung nur zu gerne um eine antirussische (und antisowjetische) Bereinigung der Kultur ergänzt gesehen hätten. Aber keine Sorge, den Wünschen der Freizeitzensoren wurde kaum entsprochen. Und auch das Theater kennt sie noch, seine Klassiker.

Dem Bühnenzeitgeist entsprechend, spielt man allerdings nicht mehr den Kanon rauf und runter, sondern man »überschreibt« die altneuen Stücke. Man bietet dem Publikum also Altbekanntes und Taufrisches zugleich, setzt auf universale Botschaften aus anderer Zeit und verpflanzt sie in einen gegenwartssatten Kontext, nutzt den Dramenklassiker als bewährte »Marke« und rühmt sich gleichsam der Uraufführung eines neuen Stücks.

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Am vergangenen Wochenende feierte »Onkel Wanja« am Theater Magdeburg, der dort »Onkel Werner« heißen muss, seine Premiere. Am Mittwoch folgte ein Premierenabend an den Berliner Sophiensælen, die Gorkis »Sommergäste« unter dem Titel »Datscha« firmieren ließen. Aber – sprechen die alten Klassiker in ihren Überschreibungen noch zu uns?

Der Autor und Regisseur Jan Friedrich hat seinen Anton Tschechow gelesen. Nur hat er ihn dann leider zur Seite gelegt, um »nach Tschechow« eine Gegenwartsgeschichte zu liefern. Der ambivalente Dramenheld Wanja wird zu einem enttäuschten ostdeutschen Mann in der Midlife-Crisis, der den Namen Werner trägt. Von der Politik enttäuscht, partnerlos, ohne berufliche Perspektive. Es ist das Psychogramm des AfDlers von vorgestern, das hier nicht ohne großen Klamauk auf der Bühne präsentiert wird. Sein Schwager, der Kunstprofessor, wird zu einer Frau in lesbischer Beziehung, die als Politikerin alle linken Hoffnungen ihrer Heimat enttäuscht hat. Die Figurenübertragungen wirken eher beliebig. Dem Rechtsruck kommt man so analytisch nicht auf die Spur. Mehr als ärgerlich, da dieses Thema eine ernsthafte Auseinandersetzung verdient hätte. Mag sein, dass uns die Tschechow’sche Handlung mitsamt ihrem Abstand zu unserer Lebensrealität mehr über gesellschaftliche Verwerfungen hätte erzählen können als dieses ungenaue Abbild unserer Umwelt.

Einen anderen Weg geht die Regisseurin und Schauspielerin Isabelle Redfern, die Golda Bartons »Sommergäste«-Überschreibung »Datscha« auf die Bühne gebracht hat, die sich nur sehr lose an Gorkis Stück orientiert. Die Datscha steht hier in Brandenburg und wird von fünf Berlinerinnen aufgesucht. Die Damen, fast sämtlich mit Migrationshintergrund, haben mit ihren Männern gute westdeutsche Partien gemacht und tragen nun zur Schau, was das heißt: Wohlstandsverwahrlosung.

Nur ein Mann steht auf der Bühne, als Teil der arbeitenden Bevölkerung ein Exotikum, und wird von den Frauen umlagert. Um weibliche Abhängigkeiten geht es, um Aufstiegschancen für ein (post-)migrantisches Milieu, um Generationenkonflikte und nicht zuletzt um Verachtung – für die da unten und für die Provinzler im Osten. Aber an aktuelle Diskurse anknüpfen kann »Datscha« so wenig wie »Onkel Werner«. Hier werden die Konflikte verlacht, die als Wunde offengelegt gehört hätten. Da hilft ein etwas befremdlicher Naturalismus in der Spielweise nicht weiter. Gorkis »Sommergäste« waren der Prolog zur Russischen Revolution von 1905, »Datscha« wirkt eher wie ein endloses Zwischenspiel im überlangen Drama des Spätkapitalismus.

Anknüpfung an literarische Tradition, Fort- und Neuschreibung bekannter Stoffe sind kein Gegenwartsphänomen; in der Literatur- und Theatergeschichte haben diese Praktiken selbst viele neue Klassiker gezeitigt, die wiederum zum Ausgangspunkt künftiger Arbeiten werden können. Aber die Gefahr der falschen Analogie bleibt ebenso wie die der Verflachung, der für die Kunst blinden Aktualisierung um der Aktualisierung willen.

Am 11. Oktober feiert am Hamburger Thalia Theater »Der Kirschgarten« Premiere, natürlich in einer neuen Überschreibung. Der Titel lautet – regierte am Theater nicht einstmals die Fantasie? – »Der Apfelgarten«. Ob’s dem alten Tschechow gerecht wird? Oder zumindest etwas über die überspannten Verhältnisse der Gegenwart zu erzählen weiß? Mal sehen.

Nächste Vorstellungen von »Onkel Werner«: 29.9., 5.10. und 2.11.
www.theater-magdeburg.de
Nächste Vorstellungen von »Datscha«: 28.9., 12. und 13.10.
www.sophiensaele.com

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