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Ein Gesetz nur für Lilly
Der US-Pharmakonzern Eli Lilly investierte 2,3 Milliarden Euro – und erhielt dafür offenbar eine lukrative Gesetzesänderung von der Bundesregierung
Dokumente aus dem Gesundheitsministerium (BMG), die NDR, WDR und »SZ« vorliegen, bestätigen nun, was schon seit Monaten vermutet wird: Die Bundesregierung hat sich vom US-amerikanischen Pharmakonzern Eli Lilly unter Druck setzen lassen. Demnach soll Eli Lilly, kurz Lilly, eine Investition mit der Forderung verknüpft haben, das Medizinforschungsgesetz im Sinne des Konzerns zu gestalten. Die Bundesregierung ist dem Wunsch nachgekommen und hat sich damit aktiv über Warnungen aus den eigenen Reihen vor den Konsequenzen der Änderung hinweggesetzt.
Aber worum geht es genau?
Wird ein Medikament zugelassen, können Pharmafirmen in Deutschland zunächst einen beliebigen Preis von den gesetzlichen Krankenkassen verlangen. Danach wird mit den Kassen verhandelt, welchen Preis sie dem Konzern für das Medikament erstatten. Er gilt dann rückwirkend ab dem siebten Monat nach Zulassung und muss offengelegt werden.
Das ist deshalb so relevant, weil der deutsche Preis für Arzneimittel als Referenzpreis in anderen Ländern genutzt wird. Andere Länder passen ihre Medikamentenpreise an die Preise an, die in Verhandlung zwischen den Krankenkassen und Pharmaunternehmen in Deutschland entstanden sind.
Die Bundesregierung hat das entsprechende Medizinforschungsgesetz so geändert, dass die mit den Krankenkassen verhalndelten Preisen künftig geheim gehalten werden können.
Der aktuell größte Profiteur der geheimen Preise dürfte Eli Lilly sein. Andere Pharmakonzerne haben sich laut Industriekreisen kaum für das Gesetzesverfahren interessiert – in Gesundheitskreisen wird die Gesetzesänderung sogar »Lex Lilly« genannt. Eli Lilly hat nämlich Ende 2023 das Medikament »Mounjaro« auf den Markt gebracht, das sowohl als Abnehmmedikament und als Diabetes-Medikament fungieren kann.
Der Clou ist: Die Preise für das Medikament sind noch nicht verhandelt. Da »Mounjaro« als Diabetes-Medikament keinen Zusatznutzen im Vergleich zu schon existierenden Medikamenten hat, würde die Krankenkasse wahrscheinlich nur einen reduzierten Preis erstatten. Bliebe der mit den Krankenkassen verhandelte Preis für das Diabetesmittel geheim, könnte Eli Lilly das Abnehmmedikament sehr viel teurer verkaufen. Mit einem ähnlichen Medikament ist sein Konkurrent Novo Nordisk, das Ozempic herstellt, zum wertvollsten Unternehmen Europas geworden.
Aber was hat die Bundesregierung davon, wenn sie der Firma mit dieser Gesetzesänderung entgegegenkommt?
Eli Lilly plante, im rheinland-pfälzischen Alzey eine neue Fabrik zu bauen. Dafür kündigte die Firma nicht nur Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro an, sondern auch 1000 neue Arbeitsplätze. Diese Investition, die mit Sicherheit auch im Interesse der SPD-geführten Landesregierung war, hat Eli Lilly offenbar vorher an die Änderung des Gesetzes geknüpft.
Den Notizen eines Abteilungsleiters im BMG zufolge hat die Firma der Bundesregierung unmissverständlich kommuniziert: »Eli Lilly knüpft seine Investitionsentscheidung an die Zusage der Bundesregierung, vertrauliche Rabatte bei innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen.« Im November 2023 wurde Karl Lauterbach noch einmal ein Schreiben vorgelegt, in dem steht: »Befürworter einer solchen Regelung ist insbesondere die Firma Lilly, die ihre Investitionsentscheidung in Alzey an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte.«
Das hat sich die Bundesregierung offenbar nicht zweimal sagen lassen müssen. Denn in einem Papier des Referats 117 des BMG vom 13. September 2023 heißt es: Es »kann dem CEO von Eli Lilly, Dave Ricks, mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen«. Und das, obwohl BMG-Beamte offenbar davor gewarnt hatten, »dass die Ermöglichung eines vertraulichen Erstattungsbetrags zu erheblichen Problemen führen würde« und voraussichtlich auch »zu Mehrkosten«.
Die Krankenkassen befürchten durch die Gesetzesänderung Zusatzkosten in Milliardenhöhe. Unter anderem, weil die Ärzte bei geheimen Preisen seltener günstigere Alternativen verschreiben – einfach deshalb, weil sie die günstigeren Preise dann nicht kennen.
Selbst wenn nur für zehn Prozent aller neuen Medikamente der Preis geheim bliebe, »wären bereits im ersten Jahr Mehrkosten von bis zu 840 Millionen Euro denkbar«, hat der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ausgerechnet. Weil mehr neue Medikamente dazu kommen werden, könnten sich innerhalb einer Dekade »acht Milliarden Euro an zusätzlichen Jahreskosten aufbauen«, teilt GVK-Arzneimittelvorstand Stefanie Stoff-Ahnis mit. Lauterbachs Ministerium kommentierte, die Berechnung basiere auf »unsischeren Annahmen«.
Der Kritik an der Gesetzesänderung war sich das BMG offenbar bewusst. In einem Vermerk von November 2023 heißt es, dass die Möglichkeit für Geheimpreise aufgrund des öffentlichen Widerstandes gegen die Gesetzespläne eingeschränkt werden soll. Bestehen bleiben sollte sie aber ausgerechnet für »Arzneimittel, die aufgrund von Lifestyle-Indikationen nur teilweise erstattungsfähig sind«. Damit »wäre sichergestellt, dass die Zusage gegenüber Lilly eingehalten würde, da Mounjaro darunterfallen würde«.
Laut Informationen von NDR, WDR und SZ soll Olaf Scholz Druck auf Karl Lauterbach ausgeübt haben, um die Regelung durchzubringen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach lehnte einst die vertraulichen Erstattungspreise ab. Als SPD-Fraktionsvize erteilte er dem Wunsch der Pharmaindustrie noch 2016 »ein klares Nein«, die damals in Zeiten der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz entsprechend verändert sehen wollte. Die Regelung nannte Lauterbach damals eine »unerträgliche Bevormundung der Ärzte.«
Inzwischen ist as Tauschgeschäft zwischen Bundesregierung und Eli Lilly vollbracht: Am 8. April 2024 fand dann der symbolische Spatenstich für die neue Eli-Lilly-Produktionsstätte in Alzey statt. Mit dabei: Olaf Scholz, Karl Lauterbach und die rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Und die vom Pharma-Unternehmen gewünschte Änderung des Medizinforschungsgesetzes hat Bundestag und Bundesrat passiert.
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