Je billiger, desto Flüchtlingsunterkunft

Freie Träger und Linke: Private Unternehmen als Betreiber von Unterkünften für Geflüchtete bevorteilt

Ist gemeinnützig immer besser? Die Berichterstattung zu Arbeits- und Unterbringungsbedingungen in der Unterkunft in Tegel stellt diese Annahme infrage.
Ist gemeinnützig immer besser? Die Berichterstattung zu Arbeits- und Unterbringungsbedingungen in der Unterkunft in Tegel stellt diese Annahme infrage.

Bei der Auswahl von geeigneten Betreibern für Flüchtlingsunterkünfte ist in Berlin ausschließlich der Preis das entscheidende Kriterium. Eine entsprechende zunächst befristete Maßnahme habe der Präsident des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten Mark Seibert zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs im Laufe des Jahres 2024 verfügt. Das teilt der Senat auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elif Eralp (Linke) mit.

Die Maßnahme ist demnach mit dem hohen personellen Aufwand begründet, den ein Konzeptverfahren mit sich bringt – »beispielsweise nach dem Schema 30 Prozent Preis, 70 Prozent Qualität«, teilt der Staatssekretär für Soziales Aziz Bozkurt (SPD) mit. Zuvor hätten sich die formulierten Konzepte bereits so weit angenähert, dass der Preis ohnehin schon das entscheidende Kriterium gewesen sei.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Damit die Bewerber in die engere Auswahl kommen, müssen sie sich anhand der Kriterien »Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie technische und berufliche Leistungsfähigkeit« als geeignet erweisen. Danach wird nach Kosten sortiert. »Die Auswahl alleine nach dem Preis bedeutet daher keine Qualitätseinschränkung«, erklärt Bozkurt.

Seit dem Aussetzen des Konzeptverfahrens habe in sieben von acht Ausschreibungsverfahren ein gemeinnütziges Unternehmen aufgrund des besten wirtschaftlichen Angebots den Zuschlag bekommen. In einem weiteren Verfahren habe sich kein gemeinnütziges Unternehmen um den Betrieb beworben.

In den Jahren 2022 und 2023, führt Bozkurt weiter aus, hätten sich im Verhältnis häufiger nicht gemeinnützige Unternehmen durchgesetzt, »auch weil diese in den Qualitätskriterien regelmäßig mit ›gut‹ oder ›sehr gut‹ bewertet worden sind«.

»Nach wie vor bekommen private Träger häufig den Zuschlag mit der Begründung, dass sie ein günstigeres Angebot gemacht haben.«

Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk (EFJ)

Laut Bozkurt hatten Anfang Dezember 2023 mehrere freie und gemeinnützig arbeitende Träger, die Flüchtlingsunterkünfte betreiben, in einem Schreiben an den Senat und das LAF ihre Sorge über die zu dem Zeitpunkt schon angenommene neue Vergabepraxis des LAF zum Ausdruck gebracht. Sie befürchteten, dass »die Bietenden gemeinnütziger Organisationen mit hohen tariflichen Entlohnungs- und Arbeitsstandards gegenüber gewerblichen Bietenden« benachteiligt werden könnten.

Bozkurt selbst habe daraufhin den Trägern die bevorstehende Neuregelung, die nur noch den Preis für den Zuschlag berücksichtigt, angekündigt und erklärt, dass eine Bevorzugung von gemeinnützigen Trägern rechtlich nicht zulässig sei.

Ein Sprecherin des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EFJ), das das Schreiben an den Senat mitunterzeichnet hatte, betreibt eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Lichterfelde. Eine Unternehmenssprecherin sagte »nd«, dass sich aus Sicht des EJF nichts geändert habe. »Nach wie vor bekommen private Träger häufig den Zuschlag mit der Begründung, dass sie ein günstigeres Angebot gemacht haben.«

Auch Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, sieht die freien Träger aufgrund des gegenwärtigen Vergabeverfahrens benachteiligt, da sie im Gegensatz zu vielen Konzernen hohe Standards und Tarifverträge haben.

Eine humane Unterbringung und gute Arbeitsbedingungen sollten wesentlich für die Auftragsvergabe sein. Doch ob sie bei sozialen Trägern sichergestellt sind, wie Eralp sagt, ist zweifelhaft. So dauert ein von der Deutsches Rotes Kreuz Sozialwerk gGmbH initiierter Rechtsstreit mit »nd« über die Berichterstattung zu den Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen in Berlins größter Unterkunft Tegel noch immer an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.