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Thomas Brasch: Ich bin das Schnitzel

Ein Abend mit Textschnipseln von Thomas Brasch: »Halt’s Maul, Kassandra!« am Deutschen Theater Berlin

Der renitente Künstler als Gegenstand einer Revue? Am Deutschen Theater Berlin hat man es mit Thomas Brasch versucht.
Der renitente Künstler als Gegenstand einer Revue? Am Deutschen Theater Berlin hat man es mit Thomas Brasch versucht.

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin» lautet ein bekannter Schlussvers aus einem Gedicht des Schriftstellers und Filmemachers Thomas Brasch (1945–2001) aus dem Jahr 1977. Der Vers (und im Grunde auch das Gedicht, dem er entnommen ist) beschreibt die Mischung aus Unzufriedenheit und Verlangen, die den Schriftsteller quälte, ganz gut. Die Utopie einer Gesellschaft jenseits der kapitalistischen, die den Einzelnen auf einen Arbeitskraftbehälter und Konsumenten reduziert, wollte er nicht aufgeben, aber der autoritär-kleinbürgerliche Cordhütchensozialismus der DDR war auch nicht das Staatswesen, das er sich gewünscht hatte. Aus der DDR, in der seine Theaterstücke eines nach dem anderen abgesetzt und verboten wurden, ging er, der Sohn eines hochrangigen DDR-Kulturpolitikers, 1976 in die Bundesrepublik, wo er seine Kunst publizieren durfte, dafür aber auf andere Art gründlich unglücklich wurde.

Mit dem eingangs erwähnten Vers endet der von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel inszenierte Thomas-Brasch-Abend «Halt’s Maul, Kassandra!», der wild zusammenkompiliert ist aus Gedichten, Prosabrocken, Briefen und Interviewpassagen des Dichters sowie aus Filmschnipseln, in denen man ihn reden sieht oder hört. Das von Brasch stets mitgeschleppte Unbehagen, der DDR als Idee zwar zugeneigt zu sein, sie aber in ihrer faktischen Ausformung ablehnen zu müssen, korrespondierte mit seinem Unwillen, auf die BRD als Wohnort angewiesen zu sein und mit deren alltäglichen Schweinereien und Lügen leben zu müssen.

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Wie sagt eine Brasch-Figur so schön, als sie sich aus Protest gegen die Hässlichkeit der Städte in eine Hütte im Wald zurückzieht? «Hier ist es auch nicht ideal.» Ein Zwiespalt, der das Leitmotiv dieses Theaterabends bildet: Thomas Brasch, der Unbotmäßige, der Widerspenstige, der Renitente, der Nichteingliederbare. Der nicht einverstandene Wanderer zwischen den Welten BRD und DDR. Der anarchistisch-staatsskeptische Künstler, der gegen seinen Vater opponiert, den autoritären kommunistischen Funktionär. Der Sozialist und Utopiegläubige, der sich im Westen nicht als antikommunistischer «Vorzeigedissident» anbiedern und vermarkten lassen will. Unvergessen, wie Brasch nach seiner Übersiedlung in den Westen in einem Interview dem Journalisten Georg Stefan Troller das zwischen Medien, Publikum und Künstler bestehende Verhältnis beschreibt: «Sie sind der Kellner, die Fernsehzuschauer sind die Gäste, und ich bin das Schnitzel.»

Dieser Zwiespalt ist vermutlich auch der Grund, warum in dieser Szenen- und Textmontage die mitwirkenden Schauspielerinnen und Schauspieler, die – mal leise, mal singend, mal deklamierend – die Texte des Schriftstellers vortragen oder während seine Stimme vom Band kommt, dazu die Lippen bewegen, allesamt in glitzernden Harlekin-Kostümen auftreten. Eine Anspielung!

Die Harlekinfigur, so lesen wir auf Wikipedia, «wirkt subversiv ein auf Ordnungsstrukturen der Welt, ermöglicht durch (…) rastloses Umherspringen zwischen (…) gegensätzlichen Polen. Der Harlekin vermag zu spielen, und zwar mit allem (…) Durch dieses Spiel schafft er Räume und öffnet Türen, die Kreativität und Utopien einlassen.»

Brasch, so wird uns also ein bisschen arg plakativ, mitgeteilt, war eine Art Harlekinfigur, die Vorbehalte gegen strikte «Ordnungsstrukturen» hatte und das Festhalten an der Utopie ebenso wie die Erfahrung des fortgesetzten Scheiterns der Utopie zu ihrem Lebensthema gemacht hat: «Das utopische Moment der DDR, selbst noch in seinen groteskesten Verzerrungen» (Kuttner), hat der Dichter Thomas Brasch verteidigt.

An revueartigen Anteilen wird nicht gespart: Bekannte Songs von Ideal und Ton Steine Scherben werden etwa zum Besten gegeben, und das Ensemble trägt aus irgendwelchen Gründen zeitweise die bunten Fantasieuniformjacken, die man vom Cover des «Sgt. Pepper»-Albums der Beatles kennt. Man versteht nicht immer, was das soll. Soll mir aber alles recht sein. Es ist eben das handelsübliche postmoderne Ding: Viel hilft viel.

Selbst daran, dass zwischendurch in dieser Revue Kuttner als Conferencier auf die Bühne tritt und das tut, was er am besten kann, nämlich schnell und viel reden, gewöhnt man sich nach einer Weile. Und dem Publikum gefällt’s ja auch, wenn der Berliner Allroundkünstler auf seine hektisch-locker-flockige Art erklärt, wer Thomas Brasch war («er passte in keines der Förmchen, in denen deutsche Dissidenten gebacken werden») oder wer Kassandra ist («die Seherin der Antike, die das kommende Unheil verkündet»), und auf seine Art mit dem Titel des Abends herumimprovisiert: «Drohende Klimakatastrophe? Halt’s Maul, Kassandra! Merz wird Kanzler? Halt’s Maul, Kassandra! Scholz bleibt Kanzler? Halt’s Maul, Kassandra!»

Nächste Vorstellungen: 3., 7. und 8.12.
www.deutschestheater.de

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