Verteidigung von links

Leo Fischer rät der Linkspartei, ihr Programm zur Verteidigungspolitik endlich zu erneuern

Ob Die Linke diese Maximalposition durchhalten kann, wird immer fraglicher.
Ob Die Linke diese Maximalposition durchhalten kann, wird immer fraglicher.

Preisfrage: Braucht Die Linke überhaupt eine Position zur Verteidigung? Gibt es nicht genug andere, attraktivere Themen, die die anderen Parteien ihr freigeräumt haben? Das war doch das Erfolgsrezept zur Bundestagswahl: Miete, Preise, Löhne – und die eindeutige Benennung der Merz’schen Kooperation mit dem Faschismus. Im aktuellen Wahlprogramm der Linken gibt es – abseits von ein wenig Generalkritik – zum Beispiel kaum konkrete Ideen zur Reform der EU. Vermisst jemand die EU-Positionen der Linken?

Wenn sie unbedingt eine Verteidigungspolitik braucht, dann wohl eine andere: Die Positionen des Wahlprogramms stammen erkennbar aus dem Jahr 2021, also aus einer anderen Welt. Im Grunde waren sie schon damals veraltet – teilweise scheppert da die Rhetorik der alten Friedensbewegung noch mit, die über die Corona-Jahre hinweg in Teilen reaktionär wurde, über Diktaturen gar nichts mehr, übers Impfen dafür umso mehr wissen wollte.

Leo Fischer
Leo Fischer

Foto ist privat, kein Honorar

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Die verteidigungspolitischen Positionen im Linke-Programm sind derart maximalistisch, derart überspannt, dass sie nicht einmal die Chance haben, an ihren Widersprüchen zu scheitern. Sie lassen sich nicht mal gut verkaufen. Die wenigsten haben Die Linke aktuell wegen ihrer Außenpolitik gewählt – vielmehr war jene oft die Quelle der berühmten »Bauchschmerzen«. Auch diejenigen, die sie vertreten, fühlen sich erkennbar unwohl in ihrer Haut.

Würden die Positionen der Linkspartei zur Polizei so klingen wie jene zur Verteidigung, stünde da: Eine bessere Welt wäre eine ohne Polizei. Die Polizei gehört abgeschafft, sie ist ein Instrument der herrschenden Klasse, zementiert Ungleichheit, perpetuiert Unterdrückung. Das alles ist und bleibt zweifellos wahr. Es steht aber nicht im Wahlprogramm. Im aktuell gültigen Programm stehen stattdessen realisierbare, zeitkritische Maßnahmen: unabhängige Polizeibeauftragte, Reform der Polizeiarbeit, Schutz vor Rassismus. Alles Maßnahmen, die die Polizei nicht unmittelbar abschaffen – aber auch ihrer Abschaffung in einer vernünftigen Gesellschaft nicht im Wege stehen.

Eine linke, oppositionelle Verteidigungspolitik bedeutet im Kapitalismus nicht scheußliche Gitarrenmusik und »Die Waffen nieder«, sondern die Festlegung des Regierungshandelns auf eine Verteidigung der Demokratie, der Bürger*innenrechte – ebenjener Fortschritte, die auf dem Weg zu einer vernünftigen Gesellschaft schon gemacht wurden.

Stattdessen prägen die Linke derzeit persönlich-moralische Gedankenspiele. Würde ich zur Waffe greifen? Würde ich töten? Würde ich fliehen? Ist ein kapitalistisches Land es überhaupt wert, verteidigt zu werden? Politik wird zum Persönlichkeitstest, und die sich bildenden Teams verbeißen sich in den sozialen Medien ineinander, als hinge alles davon ab, als müsse man sich jetzt sofort für Lämmchenpazifismus oder mörderischen Militarismus entscheiden. Das kann die Partei zerreißen. Dass sie dennoch unbedingt darüber sprechen will, ist ihre Tragödie.

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