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Ein Berliner Denkmal für Gustav Landauer
In Kreuzberg soll an den lange in Berlin aktiven freiheitlichen Sozialisten erinnert werden, aber dafür braucht es Geld
Die Zeit Gustav Landauers sei noch nicht da, schrieb der anarchistische Publizist und politische Aktivist Erich Mühsam zum 10. Jahrestag der Ermordung seines Freundes, der am 2. Mai 1919 nach der Zerschlagung der Münchner Räterepublik von Freikorpssoldaten schwer misshandelt und dann erschossen worden war. Bestraft wurden seine Mörder nicht. Mehr als 100 Jahre nach Landauers Ermordung scheint die Zeit reif für Landauer. Davon ist zumindest der Liedermacher Konstantin Wecker überzeugt. Er setzt sich, wie viele andere, für die Errichtung eines Denkmals an den freiheitlichen Sozialisten Landauer ein. Die Gustav Landauer Initiative (GLI) konnte ihn für die Schirmherrschaft für das Denkmal gewinnen. Auf der Auftaktveranstaltung zur Fundraising-Kampagne für das Vorhaben am Dienstagnachmittag wurde in der Aula der Nürtingen-Grundschule in Kreuzberg ein vorher aufgezeichneter Beitrag von Wcker verlesen.
Wecker sieht die Ermordung Landauers als Auftakt für eine Tradition faschistischer Massaker und knüpft damit an die Position des Publizisten Sebastian Haffner an, der in seinem Buch »Deutsche Revolution 1918/19« bereits 1968 die Morde der Freikorps an revolutionären Arbeiter*innen und Intellektuellen 1919 als »Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit, zu den millionenfachen Morden in den folgenden Jahrzehnten der Hitler-Zeit« bezeichnete. Wecker betonte in seiner Rede, dass er Landauer nicht in erster Linie als Opfer des Freikorpsterror sieht. Für ihn ist er ein politischer Visionär, der gerade in einer Zeit wieder aktuell ist, in der Antimilitarist*innen, Pazifist*innen und Deserteure erneut als Vaterlandsverräter*innen, Feiglinge oder Utopist*innen verhöhnt und ausgegrenzt werden.
»Auch deshalb habe ich mit Freude und aus tiefster Überzeugung die Schirmherrschaft für ein Landauer-Denkmal mitten in Berlin am Mariannenplatz übernommen und unterstütze diese erinnerungspolitische Intervention mit ganzem Herzen«, sagte Wecker. Landauer hat über Jahrzehnte, von 1889 bis 1917, in Berlin gelebt. Um ihn am Ort seines Wirkens zu würdigen, wird Geld gesammelt, zur Finanzierung des künstlerischen Entwurfswettbewerbs für das Gustav-Landauer-Denkmal. Mittlerweile sind auf Startnext über 2000 Euro eingegangen. Das sei allerdings erst ein Bruchteil der Gelder, die für gebraucht würden, um das Denkmal zu realisieren, betont Jan Rolletschek von der Gustav-Landauer-Initiative. Es seien nur wenige Menschen, die sich dort ausschließlich ehrenamtlich für die Ehrung Landauers engagieren, betont Rolletschek.
Der unermüdlichen Arbeit der GLI ist es zu verdanken, dass in letzter Zeit wieder mehr über das politische Wirken von Landauer bekannt geworden ist. Die GLI hat bereits zu Landauers 100. Todestag eine informative Ausstellung erstellt, die sehr detailliert über Landauer und seine politischen Aktivitäten informierte. Aktuell ist sie vom 6. Mai bis 10. Juni jeweils Dienstag, Donnerstag und Samstag in Haus C des Gebäudekomplexes der Nürtingen-Grundschule zu sehen. Deren Rektor Markus Schega kann sich sogar vorstellen, dass die Schule einmal den Namen von Gustav Landauer tragen wird. In einer engagierten Rede betonte er am Dienstagnachmittag, dass ihn die Auseinandersetzung mit den Ideen Landauers aber auch des Anarchokommunisten Peter Kropotkin inspiriert hätten. Kropotkin setzt sich in seinen Schriften auch mit der Solidarität in der Tierwelt auseinander. Das sei ein Kontrapunkt zu der Vorstellung, dass in der Natur nur das Prinzip fressen und gefressen werden gelte. Schega sieht hier auch Anknüpfungspunkte, Schüler*innen mit der anarchistischen Gedenkeinwelt vertraut zu machen. Schließlich setzten sich junge Menschen oft für die Rechte von Tieren ein. Schega begrüßt es sehr, dass das Landauer-Denkmal auf der Wiese am Rande der Nürtingen-Grundschule errichtet werden soll.
Vor der Auftaktveranstaltung für das Landauer-Denkmal machte eine kleine Gruppe einen Spaziergang auf den Spuren des anarchistischen Kreuzbergs. Es war auch eine Suche nach Landauers Engagement in diesen Stadtteil. Die GLI hat in den letzten Jahren bei ihren Forschungen auch die anarchistische Geschichte von Kreuzberg wieder bekannt gemacht und dabei die Rolle von Landauer herausgearbeitet.
»Schon vor der Jahrhundertwende wurde das nördliche Kreuzberg immer mehr zum anarchistischen Zentrum seines Engagements für eine gerechtere Gesellschaft.«
Konstantin Wecker Liedermacher
»Schon vor der Jahrhundertwende wurde das nördliche Kreuzberg immer mehr zum anarchistischen Zentrum seines Engagements für eine gerechtere Gesellschaft, zum Beispiel in der Konsumgenossenschaft Befreiung: Am 1. Oktober 1895 eröffnete in der Kottbusser Straße 11 das erste Ladenlokal der Befreiung, das eine Vorreiterrolle in der Berliner Genossenschaftsbewegung spielte«, betont Konstantin Wecker mit Verweis auf diese Forschungen. 1908 gründete Gustav Landauer den Sozialistischen Bund, zu dessen ersten Mitgliedern Erich Mühsam, Margarethe Fass-Hardegger und Martin Buber gehörten. Von 1909 bis 1915 gab Landauer in Berlin eine Zeitschrift mit dem Titel »Der Sozialist« heraus, diesmal als Organ des Sozialistischen Bundes.
Am Dienstagnachmittag gab der Schauspieler Helmut Mooshammer zunächst beim kurzen Spaziergang und im Anschluss in der Aula der Nürtingen-Grundschule einen kleinen Einblick in das Denken Landauers, indem er einige Passagen aus dessen programmatischer Schrift »Aufruf zum Sozialismus« aus dem Jahre 1911 las. »Der Sozialismus ist ein Bestreben, mit Hilfe eines Ideals eine neue Wirklichkeit zu schaffen«, heißt es da. Schon in dieser Passage werden die Differenzen zur Sozialismusdefinition von Marx und Engels deutlich. Für Landauer war der Sozialismus in erster Linie eine Kulturbewegung. Im Jahr 2025 lohnt es sich weiterhin, darüber zu streiten. Doch vor allem sollte endlich dem jüdischen Sozialisten Landauer gedacht werden. »Doch das Auslöschen und Vernichten der Erinnerung darf ihnen niemals gelingen. Deshalb sollten wir uns an die Ideen und Utopien der Getöteten erinnern, damit sie niemals vergessen werden, weder die Ideen, noch die Menschen« so die poetische Begründung von Konstantin Wecker.
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